"Der Kanzler ist schlecht beraten"

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Ein Tandem soll die ÖVP wieder zur Arbeitnehmerpartei machen, sagt der frischgewählte FCG-Chef und ÖGB-Vizepräsident Karl Klein. Vorne sitzt der neue ÖAAB-Obmann Fritz Neugebauer, hinten will Klein in die Pedale treten. Damit Bundeskanzler Schüssel sich an dem orientiert, woran er sich derzeit, wie Klein kritisiert, nicht einmal anlehne: die christliche Soziallehre.

Die Furche: Sie sind schwarzer Gewerkschafter - ein Widerspruch in sich?

Klein: Ich sehe den Widerspruch überhaupt nicht. Die christliche Soziallehre ist neben Liberalismus und Marxismus der einzige Weg, der noch nicht gescheitert ist.

Die Furche: Christliche Soziallehre ist ein schillernder Begriff. Was bedeutet er für Sie?

Klein: Man kann mit jedem Konzept Schindluder treiben. Entscheidend ist, dass wir uns in Wirtschaft und Gesellschaft wieder am Menschen orientieren. Der Mensch muss wieder zum Subjekt der Wirtschaft werden. Das ist christlich-sozial. Dann liegen wir richtig. Gefährlich ist, sich quasi zum Ohrenkitzeln eigene Lehren zu machen. Und alle, die sich mit dem Kapitalismus angefreundet haben, haben ganz sicher die Orientierung am Menschen verloren.

Die Furche: "Weil der Mensch zählt", lautete das SPÖ-Motto im letzten Nationalratswahlkampf. Was unterscheidet Sie von einem sozialdemokratischen Gewerkschafter?

Klein: Für mich ist der Mensch Person in seiner individuellen und personalen Natur. Für mich ist der Mensch nicht das Produkt seiner ökonomischen Verhältnisse.

Die Furche: Sie berufen sich auf die christliche Soziallehre. Aus Ihren eigenen Reihen hört man den Vorwurf, dass Sie die SPÖ "links überholen".

Klein: Das ist eine Frage des Standortes. Wenn ich schon ganz rechts stehe, ist jeder der neben mir steht, zwangsläufig links. Wer mich als Linken bezeichnet, weiß nicht, was Sache ist. Ich bin ein typischer Christlich-Sozialer und weiß auch worüber ich rede. Andere wissen es nicht.

Die Furche: Würden Sie sich wünschen, dass sozialdemokratische Gewerkschafter sich mehr von ihrer Partei emanzipieren?

Klein: Absolut! Ich halte es für den wesentlichen Kritikpunkt an den sozialdemokratischen Gewerkschaftern, dass sie so an ihrer Partei kleben. Das ist vollkommen anachronistisch. Die Gewerkschaftsbewegung ist heute wichtiger als noch vor 20 Jahren. Und wenn eine Partei versucht diese Gewerkschaftsbewegung zu vereinnahmen, ist das schlecht.

Die Furche: Warum ist die Gewerkschaft heute wichtiger?

Klein: Die Frage nach sozialer Gerechtigkeit, die Frage nach dem Gemeinwohl sind derzeit brandheiße Themen. Was jetzt in Gesellschaft und Politik passiert, ist die Zerstörung dieser sozialen Ideen. An sozialen Ideen orientiert sich heute niemand mehr.

Die Furche: Gilt das auch für den Bundeskanzler? Wolfgang Schüssel lässt so wie Sie keine Gelegenheit aus, sich als christlich-sozial zu bezeichnen.

Klein: Ich kenne den Wolfgang schon ewig lange, weil wir beide aus der katholischen Jugend kommen. Und ich bin verblüfft über die Tatsache, dass er sich in dieser Situation, wo er eine so starke Mehrheit in der Regierung hat, an die Ideen der christlichen Soziallehre nicht einmal anlehnt, geschweige denn sie verwirklicht. Dabei wäre das die Lösung, das wäre die Hoffnung für die Menschen. Wenn die ÖVP sich an ihren Wurzeln orientieren würde, hätte sie derzeit keine ernstzunehmenden politischen Gegner - aber genau das tut sie nicht.

Die Furche: Der Bundeskanzler würde Ihnen jetzt wohl die Worte: rückwärtsgewandt, verkrustet, nicht reformwillig, ... entgegenhalten.

Klein: Alles Schlagworte, sinnlose Schlagworte. Jemand, der sich am Menschen orientiert, kann nie falsch liegen. Die Orientierung am Menschen ist nicht uralt oder verkrustet, sondern ganz im Gegenteil: Reformorientiert ist der, der ein Ziel vor Augen hat. Und Ziele dürfen nicht nur im ökonomischen Bereich liegen, sondern müssen auch menschliche, gemeinwohlorientierte Ziele sein.

Die Furche: Wie kann ein christlich-sozialer Bundeskanzler diese Ziele aus dem Auge verlieren?

Klein: Er ist schlecht beraten. Die Beraterclique, die sich mehr und mehr umtut, ist für jene ein Problem, die schnelle Lösungen suchen. Und das tut der Wolfgang. Der Wolfgang versucht, schnelle Lösungen zu finden, plakative Lösungen - und das ist halt ein Problem, manche Dinge sind nicht schnell lösbar.

Die Furche: Haben Sie nicht die Befürchtung, dass es mit Ihrer Wahl jetzt neben Fritz Dinkhauser in Tirol einen ÖVP-Polterer in Wien gibt? Schlussendlich wird aber das gemacht, was Ihr Parteifreund der Kanzler sagt.

Klein: Ich bin kein Polterer, Fritz Dinkhauser kann das viel besser. Ich bin ein Experte und werde mit Argumenten zu überzeugen versuchen. Ich setze alle Hoffnung auf unser neues Tandem: Fritz Neugebauer im ÖAAB und ich im FCG. Wir werden versuchen, jene Arbeitnehmerorientierung in der ÖVP herbeizuführen, die derzeit fehlt. Wir werden versuchen, dass die Entscheidungsträger in der ÖVP sich nicht nur anhören, was die Bauern wollen und was die Wirtschaft will, sondern dass sie auch den Arbeitnehmern zuhören.

Die Furche: Wie soll das gehen, in einer Zeit, in der Sozialpartnerschaft und Konsensdemokratie zu Unworten geworden sind?

Klein: Sozialpartnerschaft und Konsensdemokratie sind für mich der Wert schlechthin. Die christlich-sozialen Arbeitnehmervertreter sind keine, die dem Streik das Wort reden, sondern die sagen: Das ist das letzte Mittel. Wenn es nicht mehr anders geht, muss man aber auch einmal am Tisch hauen.

Die Furche: Heftig am Tisch gehauen wird gerade bei der ÖBB.

Klein: Eine Idee muss die Bundesregierung aufgeben, dann sind die Gewerkschafter in der ÖBB wieder konsensbereit. Die Idee, dass in privatrechtliche Dienstverträge von außen eingegriffen wird. Das ist unmöglich. Aber bei der Bundesbahn will man das tun. Wenn die Regierung das macht, verstößt sie nicht nur gegen die Bundesverfassung, sondern sie kränkt die Volksseele. Das tut man nicht. Man nimmt den Leuten nichts weg, worauf sie ihr Leben ausgerichtet haben.

Die Furche: Kränkt das, was bei den Eisenbahnern passiert, wirklich die Volksseele - oder sind wir alle schon davon überzeugt worden, dass dort eh nur "Tachinierer" sitzen?

Klein: So ist es jetzt überall: Zuerst macht man die Menschen, die man nachher vernichten will, in der Öffentlichkeit madig. Aber das ist nicht meine Vorstellung von Politik.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Ein Gewerkschafter, der noch immer Priester werden will

"Ich bin Gewerkschafter geworden in Alternative zu einem Beruf, den ich noch lieber gemacht hätte: Ich wollte Priester werden. Ich würde das heute noch gerne werden, wenn es dabei die Möglichkeit gäbe, zu heiraten." Karl Klein im Originalton zu seiner Berufsentscheidung. So ist er Gewerkschafter in zweiter Generation geworden. Denn schon sein Vater war ein "sehr guter Gewerkschafter".

Geboren am 21 August 1949, ist Klein als Sohn "einer eingewanderten Böhmin" in der großen Arbeiterpfarre "Königin des Friedens" im zehnten Wiener Gemeindebezirk aufgewachsen. Dort wurde er das, was er laut Eigendefinition heute ist: ein "typischer Wiener".

Zu einem typischen Gewerkschafter reifte Klein in der SP-dominierten Gewerkschaft der Privatangestellten. Von 1990 an war er Bundessekretär der Fraktion Christlicher Gewerkschafter (FCG), Mitglied des ÖGB-Präsidiums und Leiter des Referats für Kollektivvertragspolitik.

Am Montag wurde Klein zum neuen FCG-Vorsitzenden gewählt. Er erhielt 89,4 Prozent der Delegiertenstimmen. In der Funktion des ÖGB-Vizepräsidenten wird Klein seinem Vorgänger Fritz Neugebauer am Freitag zum Abschluss des ÖGB-Kongresses nachfolgen.

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