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Als junger Psychologe wechselt Philip Zimbardo von der New York Universität an die Stanford Universität. An die Anonymität der Großstadt gewohnt, ist er erstaunt über den Gemeinschaftssinn in Palo Alto - und entscheidet sich für ein Real-Experiment: Er macht den Menschen in der Bronx und in Palo Alto je ein "Angebot zum Vandalismus" in Form eines Autos ohne Kennzeichen und mit geöffneter Motorhaube.

Otto-Normal-Demolierer

Tatsächlich wird das New Yorker Modell im Nu ausgeweidet und demoliert; das kalifornische Gegenstück hingegen bleibt unversehrt. Ja, als es einmal regnet, schließt ein älterer Herr netterweise die Motorhaube. Das Ergebnis wäre vielleicht wenig überraschend, hätte Zimbardo nicht auch die Identität der Vandalen fotografisch festgehalten: Es handelt sich ausnahmslos um Weiße, alle gut gekleidet. Wie konnten ganz normale Bürger solch destruktive Taten begehen? Zimbardo schließt individuelle Charakterschwächen aus und konzentriert seine Forschung fortan darauf, wie Situationen den Menschen dazu bringen, Böses zu tun.

Rund vierzig Jahre später weiß die Psychologie sehr viel mehr über die Macht der Umstände, wie Zimbardo - nunmehr bekannter Psychologie-Professor - mit seinem neuen, elegant geschriebenen Sachbuch "Der Luzifer-Effekt" belegt. Dabei wird in mehreren Kapiteln die Geschichte des Stanford Prison Experiments rekapituliert (das Zimbardo einst leitete).

Labor- & echtes Gefängnis

Später werden Parallelen zur Situation in Abu Ghraib gezogen (wo er einen Soldaten erfolglos vor Gericht verteidigte). Immer wieder werden kleinere und größere Ereignisse in die Erzählung eingeflochten. Zum Beispiel der Völkermord in Ruanda. In nur drei Monaten schlachteten die Hutus rund eine Million Tutsis ab; zuvor hatten die Stämme friedlich Haus an Haus gelebt. Wie konnte das passieren? Nicht immer ist das Buch so voller Grauen. Stets jedoch steht die Zerbrechlichkeit des Humanen im Zentrum. Dabei sind es gerade die weniger extremen Beispiele, die einem die eigene Anfälligkeit für unmenschliches (Nichts-)Tun deutlich machen.

So etwa jene Studie, bei der Theologie-Studierende von Psychologen eingeladen werden, um die Geschichte des Guten Samariters zu erzählen. Unter Stress gesetzt, hetzen die Referenten zum Termin - und neun von zehn verweigern einem am Weg sitzenden Notleidenden ihre Hilfe. Durch Variation des Zeitdrucks beweisen die Forscher, dass es allein dieser Faktor ist, der den Unterschied in Sachen Hilfsbereitschaft ausmacht, und nicht etwa eine angeborene Hartherzigkeit.

Zimbardo bezieht sich ausdrücklich auf Hannah Arendts Rede von der "Banalität des Bösen". Sie fand in Adolf Eichmann einen Mann, der zwar die Ermordung von Millionen Juden arrangierte, aber ansonsten "erschreckend normal" war. Dem fügt der Stanford-Professor am Ende sein Konzept von der Banalität des Guten hinzu. Denn: Prinzipiell könne jeder ein Held sein. Voraussetzung ist, dass man sich der Rollenzwänge bewusst wird. Wegen der Konsequenzen fällt der Widerstand aber selten leicht. Jener Soldat etwa, der die Bilder von Abu Ghraib den Behörden zuspielte, wurde von seinen Mitsoldaten dafür gehasst. Ja, er kriegt bis heute Morddrohungen. TM

DER LUZIFER-EFFEKT

Von Philip Zimbardo

Spektrum Verlag, Heidelberg 2008

532 Seiten, geb., €41,10

(Deutsche Fassung: ab Juli 2008)

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