"Der Mann, der uns den Samen gab"

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Wie erkläre ich meinem Kind, dass es durch eine Samenspende gezeugt wurde? Diese Frage wird in Großbritannien immer drängender.

Ich kämpfe noch immer mit der Sprache, vor allem weiß ich nicht, wie ich den Spender nennen soll. Offen gesagt, ich fühle mich unwohl mit dem Gedanken an ,diese netten Männer', es ist doch nicht ehrlich, sie als solche zu bezeichnen, wer weiß schon, was Spender zum Spenden motiviert, aber ich bin mir fast sicher, es hat nichts mit Nettigkeit zu tun, was für ein fürchterliches Wort. Spenderpapi klingt einfach nicht passend, Samenspender klingt so klinisch, also sage ich einfach ,der Mann, der uns seinen Samen gab'", schildert Kate offen ihre Schwierigkeit, die richtigen Worte zu finden.

Wie kann sie es ihrem Sohn am besten erklären, dass er durch künstliche Befruchtung gezeugt wurde? Wann ist der beste Zeitpunkt darüber zu sprechen? "Am Anfang fand ich es ganz besonders schwierig, und es wurde um nichts leichter dadurch, dass Tom offenbar gar kein Interesse hatte", erzählt Kate weiter und gibt schon zu, dass Tom auch noch gar kein Interesse zeigen konnte. Schließlich war er gerade drei Monate alt, als sie während des täglichen Bads erstmals das Thema anschnitt. Kate wollte ganz bewusst früh beginnen, "damit ich üben konnte, darüber zu reden, und Worte finden konnte, mit denen ich mich wohl fühlte." Denn eines stand für sie außer Zweifel: Der mittlerweile bald zwei Jahre alte Tom hatte ein Recht darauf, über seine Herkunft Bescheid zu wissen.

Mit dieser Einstellung gehört Kate zu einer kleinen Minderheit von Britinnen und Briten, die für Offenheit plädieren, wo die große Mehrheit weiterhin für strikte Verschwiegenheit eintritt. Schätzungen zufolge sind etwa 40.000 Briten durch Samenspenden gezeugt worden. Laut einer in Großbritannien, Italien, Spanien und den Niederlanden durchgeführten Studie erfahren aber lediglich neun Prozent der so gezeugten Kinder vor ihrem 12. Lebensjahr in einem offenen Gespräch mit ihren Eltern ihre Herkunft.

Absolutes Schweigen

Als die Befruchtung mit gespendetem Samen in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts "in organisierter Weise begann, ging man davon aus, dass alle Beteiligten, das Paar mit dem unfruchtbaren Mann, die Spender und die Ärzte, absolute Verschwiegenheit wahren wollten und niemand je die Wahrheit würde wissen wollen", heißt es bei dem 1993 gegründeten britischen Donor Conception Network, in dem sich rund 650 Familien zusammengeschlossen haben, die für Offenheit plädieren.

In den letzten Jahren, sagen Vertreter dieses Networks, habe sich jedoch einiges verändert. Nicht nur hätte ein Teil der zeugungsunfähigen "sozialen" Väter gelernt, mit der Realität umzugehen. Immer mehr Kinder und Erwachsene, die ihren Ursprung einem Spender verdanken, mahnen heute völlige Offenheit ein. Nichts sei schlimmer als durch einen Zufall die Wahrheit zu erfahren, wobei "der wirkliche Schock weniger in der Enthüllung liegt, als in der Tatsache, dass einem die eigenen Eltern etwas vorgemacht haben."

Verschweigen funktioniert überhaupt nicht, betonen einige Briten und Britinnen, die sich nicht davor gescheut haben, im Rahmen einer neuen Debatte über künstliche Befruchtung mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Ihre soziale Herkunft, das Verhältnis zu ihren jeweiligen Eltern und ihre Lebenswege mögen noch so unterschiedlich sein, eines verbindet sie alle: Von Kindheit an, berichten sie, hätten sie das Gefühl gehabt, dass etwas nicht stimme. Die einen konnten nur von einem Unbehagen sprechen, ohne die Möglichkeit, es an etwas Konkretem festzumachen. Andere sprachen von dem Eindruck, dass sie nicht wirklich dazu gehörten, dass sie in der falschen Familie wären. Manche fragten sich, warum sie so gar nichts mit ihrem ("sozialen") Vater gemeinsam hätten. Solch ein tiefes Unbehagen ist dabei keinesfalls atypisch. Nach Aussagen von Experten sollen bis zu 50 Prozent aller künstlich gezeugten Kinder irgendwie spüren, dass ihr sozialer Vater nicht ihr genetischer Vater ist.

Namen und Gesicht

Mit dem offenen Reden über Einzelschicksale ist es aber längst nicht getan. Schon gibt es eine Gruppe von Briten und Britinnen, die für eine Gesetzesänderung plädieren und das Recht auf Information über die eigene Zeugung als eine Frage der Menschenrechte debattiert wissen wollen. Der genetische Vater müsse einen Namen und ein Gesicht haben und nicht bloß "ein Behältnis mit einem Batzen Spermien" sein, wie es eine Frau, die erst spät über ihre wahre Herkunft erfuhr, drastisch formulierte.

Das derzeit geltende Recht betrachten diese Briten und Britinnen als unzufriedenstellend. Seit 1991 müssen Daten über Spender wie Name, Geburtsdatum und -ort, Beruf, Religion, körperliche Merkmale und Krankheitsgeschichte, bei der Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA) registriert werden. Personen, die vermuten, durch Samen-, Ei- oder Embryospenden gezeugt worden zu sein, haben aber lediglich das Recht darauf, ab ihrem 18. Lebensjahr diesbezügliche Erkundigungen bei der HFEA einzuholen. Auch wenn zwei durch Spenden gezeugte Personen heiraten wollen, können sie sich bei der HFEA versichern, dass sie nicht etwa genetisch miteinander verwandt sind. Die Identität des Spenders aber darf laut dem geltenden Recht nicht enthüllt werden. Eltern haben derzeit keinerlei Verpflichtung, ihren Kindern die Wahrheit zu sagen.

Welche gesetzlichen Änderungen angebracht wären, will die britische Regierung nun in einem zu Jahresbeginn lancierten sechsmonatigem öffentlichen Konsultationsverfahren ermitteln, wobei rückwirkende Regelungen nicht zur Debatte stehen sollen. Olivia Montuschi, Mitbegründerin des Donor Conception Network, begrüßt das Verfahren und befürwortet selbst eine völlige Offenheit bezüglich der Identität von Spendern. Auch sie versteht die Problematik rückwirkender Gesetze. Doch sie hat sich dem Vorschlag von Betroffenen angeschlossen, zumindest ein offenes Register einzurichten, in dem sich jene, die in der Vergangenheit als Spender auftraten, freiwillig eintragen und somit von den mit ihrem Samen gezeugten Kindern kontaktiert werden können.

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