belastung - © Illusrtation: iStock / Olga Ubirailo (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Der Mental Load der Frauen: Unentwegt an alles gedacht

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Viele Frauen übernehmen gleichsam automatisch die Care-Arbeit in der Familie. Über die ständige mentale Belastung, die daraus folgt, (allein) für das Wohl der Angehörigen zuständig zu sein.

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Viele Frauen übernehmen gleichsam automatisch die Care-Arbeit in der Familie. Über die ständige mentale Belastung, die daraus folgt, (allein) für das Wohl der Angehörigen zuständig zu sein.

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„Du hättest doch bloß fragen müssen!“ Es ist dieser Satz ihres Partners, der die Protagonistin im Comic der französischen Zeichnerin Emma ratlos und verärgert zurücklässt. Die Vorgeschichte: Während ihr Partner plaudernd auf dem Sofa sitzt, sie das Abendessen zubereitet und die Kinder versorgt, geht auf dem Herd ein Topf über. Wenn sie ihn vorher um Hilfe gebeten hätte, denkt der Mann, dann gäbe es jetzt keine Sauerei in der Küche. Genau hier liegt für Emma das Problem: Der Mann ist zwar bereit, seiner Partnerin zu helfen – fühlt sich für die Alltagsplanung aber nicht zuständig. Er überlässt ihr dafür die Verantwortung. Mit ihrem 2017 veröffentlichten Comic traf Emma einen Nerv und trug zur Verbreitung eines Begriffes bei, der seitdem auf eine Schieflage in vielen Partnerschaften hinweist: Mental Load. Gemeint ist die Belastung, die entsteht, wenn man für alles alleine Verantwortung trägt. Und damit verbunden die kognitive und emotionale Denkarbeit, die nötig ist, damit das Familienleben funktioniert.

Unsichtbare Care-Arbeit

Mental Load, also auf deutsch die „geistige Belastung“, tragen in den allermeisten Familien die Frauen – weil sie es sind, die zu einem überwiegenden Teil die Care-Arbeit übernehmen: Sie kümmern sich darum, dass der Kühlschrank gefüllt, die Jausenboxen der Kinder bestückt und Arzttermine vereinbart sind. Sie versorgen aufgeschlagene Kinderknie, denken an das Geburtstagsgeschenk für die Schwiegermutter und das Geld für den anstehenden Schikurs. „Frauen sehen, was getan werden muss, und fühlen sich dafür verantwortlich. Dann erfüllen sie die Bedürfnisse ihrer Familienmitglieder“, sagt die Soziologin Eva-Maria Schmidt vom Österreichischen Institut für Familienforschung. Die Krux an der Fürsorgearbeit: Sie bleibt weitgehend unsichtbar. Ins Bewusstsein rückt sie erst, wenn sie nicht erledigt wird. Anerkennung erfahren Frauen dafür kaum, weder gesellschaftlich und politisch noch im persönlichen Umfeld. Manchmal nicht einmal vom eigenen Partner.

Die Unsichtbarkeit von Care-Arbeit und das Fehlen von Wertschätzung sei einer der Gründe, warum sie als große Last empfunden wird, sagt Eva-Maria Schmidt. „Dazu kommt, dass sie zeitlich nicht abgrenzbar und ihr Umfang schwer zu erheben ist.“ Zu sehr sind die unzähligen Erledigungen für die Familie, die Gedanken an alles, was zu tun ist, in den Tag hineinverwoben. Frauen planen den Einkauf unter der Dusche, besorgen Klopapier auf dem Heimweg von der Arbeit oder grübeln beim Einschlafen darüber nach, wer das Kind am nächsten Tag zum Fußballtraining bringt.

schmidt - © Foto: Christine Geserick

Eva-Maria Schmidt ist Soziologin am Österreichischen Institut für Familienforschung.

Eva-Maria Schmidt ist Soziologin am Österreichischen Institut für Familienforschung.

schrammel - © Foto: Privat

Die Psychotherapeutin Barbara Schrammel arbeitet mit belasteten Frauen.

Die Psychotherapeutin Barbara Schrammel arbeitet mit belasteten Frauen.

Dass Erwerbs- und Care-Arbeit und damit auch der Mental Load in Partnerschaften nicht gleichmäßiger aufgeteilt werden, liege in erster Linie an den starken sozialen Normen, die für viele Menschen – oft auch unbewusst – prägend seien, sagt Schmidt. Auch wenn es heute viel selbstverständlicher sei, dass sich auch Väter im Familienleben engagieren und Mütter außer Haus arbeiten: Im Hinblick auf traditionelle Rollenbilder hat sich, wie Studien zeigen, auch in den letzten Jahrzehnten nicht viel verändert. Der Vater ist für das Haupteinkommen zuständig. Die Mutter bleibt meist möglichst lange zuhause und arbeitet später oft maximal in Teilzeit, wo Arbeitsminister Kocher (ÖVP) erst kürzlich Sozialleistungskürzungen forderte.

Vorsprung von Müttern

Selbst Paare, die sich bewusst von traditionellen Rollenbildern abgrenzen wollen, würden sobald sie Eltern werden häufig in die klassische Aufteilung rutschen, berichtet Barbara Schrammel, Psychotherapeutin von der Beratungsstelle „Frauen* beraten Frauen*“. Fehlendes Wissen um die Entstehung von Mental Load, die Unsichtbarkeit von Care-Arbeit ebenso wie strukturelle Rahmenbedingungen würden es vielen Paaren erschweren, einen individuellen Weg mit ihrer Familie zu gehen. „Viele glauben intuitiv, dass Mütter es mit den Kindern besser können.“ Richtig sei: Frauen haben durch die Schwangerschaft und die Bindung zum Kind in der ersten Babyphase einen gewissen Vorsprung. Sie lernen, das Baby zu beruhigen, seine Signale zu deuten, die Windeln rasch zu wechseln – Dinge, die Väter genauso schnell erlernen könnten. Diese fühlen sich dadurch jedoch möglicherweise an den Rand gedrängt und überlassen ihrer Partnerin die Verantwortung für den Großteil dessen, was mit Familie zu tun hat.

Die Krux an der Fürsorgearbeit: Ins Bewusstsein rückt sie erst, wenn sie nicht erledigt wird.

Was mit der Geburt beginnt, setzt sich fort. Frauen sind kompetent in Sachen Familienorganisation, Männer kümmern sich ums Geldverdienen und „helfen zuhause mit“. Drohende Altersarmut, weil Frauen weniger Pension bekommen, und Überlastung – bis hin zum Burnout von Müttern – können die Folgen sein. „Dazu kommt die Enttäuschung vieler Frauen, die sich von ihrem Partner im Stich gelassen fühlen, weil sie alles schultern müssen“, sagt Schrammel. Auf individueller Ebene bleibe Paaren, die ihre Situation ändern möchten, nur ein langwieriger Aushandlungsprozess. „Der kann in der ersten Zeit anstrengend sein, vor allem weil es wenig Vorbilder gibt. Langfristig reduziert er aber Konflikte und steigert die Lebenszufriedenheit von allen in der Familie“, sagt Schrammel. „Das Ergebnis eines solchen Aushandlungsprozesses muss keine 50:50-Aufteilung sein. Wichtig ist zu merken, dass der andere auch Verantwortung übernimmt, mitdenkt und nicht eine Person alleine überlastet ist.“

Auch Väter unter Druck

Schnelle Lösungen für gerechter aufgeteilte Care-Arbeit und damit auch besser verteilten Mental Load sieht auch die Soziologin Eva-Maria Schmidt keine. Dafür viele kleine Rädchen, an denen gedreht werden müsse. „Man kann etwa dafür sensibilisieren, wie man über gewisse Dinge spricht.“ Warum den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen lediglich als Benefit für arbeitende Mütter propagieren, wenn doch auch arbeitende Väter davon profitieren, dass ihr Kind gut betreut wird? Auch lebensphasenorientierte Erwerbsarbeit sei eine Möglichkeit, die Arbeitslast von Eltern geringer zu halten. Wenn beispielsweise beide Elternteile dreißig Stunden arbeiten, können sie sich auch die Care-Arbeit gerechter aufteilen. „Väter und Vollzeit – diese Assoziation muss entkoppelt werden“, sagt Schmidt, die eine Lanze für die Männer bricht. Diese würden im modernen Familienleben häufig nämlich ebenso unter Druck stehen wie die Mütter. „Sich neben einem Vollzeitjob im Familienleben einbringen, wie das viele Väter wollen und tun, ist sehr anstrengend.“

Politisch und gesellschaftlich auf gleichzeitige Vollzeiterwerbsarbeit von Müttern und Vätern zu drängen, sei unreflektiert, finden sowohl Eva-Maria Schmidt als auch Barbara Schrammel. Das lasse Care-Arbeit, deren Existenz gerade erst an die Oberfläche dringt, erst recht wieder in die Unsichtbarkeit gleiten. Denn dass Eltern, die beide Vollzeit arbeiten, sich auch noch ausreichend um ihre Familie kümmern können, sei nur unter ganz bestimmten Bedingungen möglich, wenn man nicht ausbrennen möchte: mit verfügbaren Großeltern, einem guten sozialen Netzwerk, qualitativ hochwertigen Kinderbetreuungseinrichtungen und flexiblen Arbeitszeiten an familienfreundlichen Arbeitsplätzen. Und von diesen perfekten Bedingungen, sagt Barbara Schrammel, seien viele weit entfernt.

Buch

Die Frau fürs Leben ist nicht das Mädchen für alles!

Was Eltern gewinnen, wenn sie den Mental Load teilen
von Laura Fröhlich
Kösel-Verlag 2020
192 S., kart., € 16,50

Buch

Raus aus der Mental Load-Falle

Wie gerechte Arbeitsteilung in der Familie gelingt
von Patricia Cammarata
Beltz 2020
224 S., kart., € 18,50

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