"Der mündige Bürger kann entscheiden"

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Überraschend schnell konnten sich die Sozialpartner auf die Abfertigung neu einigen. Über Vor- und Nachteile, Chancen und Risiken des neuen Modells sprach die furche mit dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Vereinigten Pensionskassen, Johannes Martinek.

die furche: Wie bewerten Sie generell das neue Abfertigungsmodell?

Johannes Martinek: Die Abfertigung neu ist die richtige Antwort auf die neuen Berufs- und Lebensbilder. Es ist eine sozialpolitische Herausforderung ersten Ranges gewesen, jenen Arbeitnehmern, die - freiwillig oder unfreiwillig - häufig den Arbeitsplatz wechseln, einen Abfertigungsanspruch zu ermöglichen. Die Abfertigung ist ja nichts anderes als eine obligatorische betriebliche Vorsorge. Aber das alte Treueprinzip passt einfach nicht mehr in die heutige Welt. Gut ausgebildete Menschen wollen häufig den Arbeitsplatz wechseln, schlecht ausgebildete Arbeitskräfte - gerade das ist eine sozialpolitische Herausforderung - werden fluktuieren müssen. Beiden Gruppen diese Vorsorge zu sichern, ist eine gute Sache.

die furche: Ein weiterer Schritt Richtung betrieblicher Pensionsvorsorge?

Martinek: Die Abfertigung ist eine betriebliche Vorsorgemaßnahme. Vorsorge muss aber nicht unbedingt Rente bedeuten. Daher gefällt mir am vorgeschlagenen Modell sehr gut, dass der mündige Bürger - je nach Lebensplan - zwischen Rente und Bargeld entscheiden kann.

die furche: Wird damit nicht einem Rückzug des Staates aus der Pensionsvorsorge Vorschub geleistet?

Martinek: Ich glaube nicht, dass die Abfertigung neu ein Schritt in Richtung Kürzung des ASVG-Modells ist. Im Gegenteil, dieses Modell wird den beruflichen Entwicklungen erst gerecht. Denn, was die gesetzliche Sozialversicherung nicht kann, ist jede berufliche Entwicklung und Einkommenentwicklung zu berücksichtigen. Im Vorsorgemodell der Vereinigten Pensionskasse arbeiten wir sowieso lieber mit dem Modell einer Pyramide und weniger mit dem alten Drei-Säulen-Modell. Die gesetzliche Sozialversicherung wird weiterhin den soliden Sockel bilden. Auf diesem Sockel steht die - obligatorische und freiwillige - betriebliche Vorsorge und auf diese Schichten setzt all jenes auf, was individuell gestaltbar ist. Die ASVG, der Sockel also, wird in Österreich noch lange ein umlagefinanziertes System sein und sein müssen. Ein umlagefinanziertes und kapitalgedecktes Modell können sich dabei aber ideal ergänzen.

die furche: Strittige Punkte sind der von der Lohnsumme in die Abfertigungskasse einzuzahlende Beitragssatz (geplant 1,53 Prozent) und der Zinssatz für die Abfertigungseinlagen (derzeit sechs Prozent). Wieviel Spielraum sehen Sie hierbei noch?

Martinek: Das sind alles Dinge, die mit Augenmaß entstanden und sicher noch entwickelbar sind. Beitragssatz und Zinssatz finde ich aber prinzipiell in Ordnung. Die Sozialpartner werden schnell entdecken, dass in diesem neuen System sehr viel Phantasie steckt. Nach der langen Stagnation wird jetzt ein erster richtiger Schritt gesetzt, und weitere Entwicklungen werden kommen.

die furche: Die nicht nur aber auch durch die Terroranschläge ausgelöste rasante Talfahrt der Börsenkurse hat gezeigt, wie krisenanfällig Veranlagungen in Wertpapieren sind. Muss jetzt bei der Veranlagung der Abfertigungen umgedacht werden?

Martinek: Hier sind wir beim eigentlichen Knackpunkt: Wir können umlagefinanziert ein Sozialversicherungssystem führen - jede andere Form der Vorsorge jedoch kapitalgedeckt. Denn so wie es bisher war, dass man dem Arbeitgeber die Finanzierung und die Bilanz der Vorsorgemaßnahme umhängt, das wird bei einer hohen Fluktuation der Arbeitnehmer nicht mehr möglich sein. Letztlich würde das ja auch bedeuten, dass jedes Entwicklungsrisiko der Arbeitgeber trägt. Das heißt: ASVG-ergänzende Vorsorgemaßnahmen - egal ob betrieblich/ kollektiv oder privat - funktionieren nur kapitalgedeckt. Moderne betriebliche Vorsorgemaßnahme sind von der Systematik her beitragsorientiert. Der Arbeitgeber zahlt einen bestimmten Beitrag und daraus wird ein Kapitalstock aufgebaut. Dieses Kapital steht als Barauszahlung oder Verrentung einem Menschen zur Verfügung. Es kann dabei sicher Abweichungen von einer Zielgröße geben - das ist der Wermutstropfen, aber die gute Nachricht ist: Nur mit der Kapitaldeckung ist ein Vorsorgesystem dieser Art aufbaubar.

die furche: Wie können die Risiken bei der Veranlagung der Abfertigungskassen minimiert werden?

Martinek: Es gibt hier das System der Schwankungsrückstellungen. Ein an sich gut durchdachtes System, um grobe Ausschläge auf den Kapitalmärkten auzugleichen. Dieser Sicherheitspolster bietet eine gewisse Bandbreite, in dessem Rahmen ein Ausgleich gelingt. Diese Systeme brauchen aber eine gewisse Laufzeit, um wirken zu können.

die furche: Wem würden Sie zum Umstieg in das neue System raten?

Martinek: Noch ist die Regelung nicht fertig ausgearbeitet, aber für junge Leute würde ein Umstieg wahrscheinlich schon Sinn machen, denn das neue System beinhaltet ja die Unverfallbarkeit der Ansprüche.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

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