"Der Patient wird entmündigt"

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Der Mensch soll wieder im Zentrum stehen, erteilt der neue Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Walter Dorner, der weiteren Ökonomisierung im Gesundheitswesen eine Absage. Die Patientenautonomie sei durch staatliche Kontrollabsichten in Gefahr, warnt er.

Die Furche: Herr Dorner, Ihr Vorgänger, Reiner Brettenthaler, hat Ministerin Andrea Kdolsky "aktive Gesprächsverweigerung" gegenüber der Ärztekammer vorgeworfen. Wie ist Ihr Draht zur Gesundheitsministerin?

Walter Dorner: Ich habe zur Frau Ministerin einen guten Draht. Ich bin mir sicher, dass es zwischen der neuen Führung der Ärztekammer und der Ministerin regelmäßige Treffen geben und eine breite Ebene der Kommunikation aufgebaut werden wird.

Die Furche: Hat es denn bisher keine Gesprächsbasis gegeben?

Dorner: Die wenigen Treffen, die wir mit Ministerin Kdolsky bisher gehabt haben, waren nicht schlecht. Sie hat ihre Art, sich zu präsentieren. Ich habe Zeit gehabt, sie zu analysieren, und werde dementsprechend meine strategischen Fähigkeiten einbringen.

Die Furche: Für welche Ziele möchten Sie ihre strategischen Fähigkeiten einsetzen?

Dorner: Wir werden unsere Anliegen und Themen offensiv einbringen. Mir geht es in erster Linie um den humanen Wert unserer Tätigkeit als Ärzte: Es muss die Kommunikation mit dem Patienten wieder mehr in den Vordergrund gerückt werden. Davon wollen wir die Ministerin überzeugen, die ja ein Technikfreak ist, was nichts Schlechtes ist. Technik ist ein Zeichen von Fortschritt. Aber die Technik muss für den Menschen da sein. Es kann nicht sein, dass die Ökonomie, die Technologie, die Technokraten und Controller bestimmen, wie die Sache läuft.

Die Furche: Mit der Technik meinen Sie in erster Linie die E-Card.

Dorner: Die E-Card ist keine Bürokratieerleichterung für uns Ärzte; das ist sie vielleicht für die Wirtschaft. Sie ist natürlich praktisch für den Patienten. Aber man muss offenen Auges durch die Welt gehen und sehen, dass dieses Wunderding viele Fehler hat.

Die Furche: Welche grundlegenden Fehler hat die E-Card?

Dorner: Es wird schlecht verrechnet, es treten Fehlverrechnungen auf. Es gibt so viele Fehler im System, die Außenstehende nicht sehen können. Wir haben zur Zeit in Wien über 8000 Fälle, wo ganz einfach die Rechnung zwischen Hauptverband und Gebietskrankenkasse nicht stimmt. Das hat jetzt auf Wiener Ebene einen großen Wirbel ausgelöst (die Wiener Ärztekammer droht sogar mit einem Ausstieg aus dem System, sollten diese Fehler nicht zügig behoben werden, Anm.). Außerdem wird die Karte missbräuchlich an andere weitergegeben. Hier würde es schon genügen, ein Foto zur Identifizierung auf allen E-Cards anzubringen. Bei diesen Problemen sollte man die Ärzteschaft ernst nehmen und sie nicht als Technikverweigerer hinstellen. Wären wir das, gäbe es die E-Card gar nicht.

Die Furche: Was steht der Arzt-Patienten-Kommunikation im Wege, die Sie als eines Ihrer Hauptanliegen nennen?

Dorner: Wenn ich beispielsweise heute mit einem Patienten in meiner Ordination ein Gespräch führen möchte, dann muss ich alles bis zum letzten Beistrich und Strichpunkt dokumentieren. Schau ich also dabei in den Computer, dann habe ich keine Zeit für den Patienten. Mache ich diese Dokumentation nachher, dann kommt man genauso unter Zeitdruck. Das kann nicht gehen. Hier muss auch von politischer Seite ein Umdenken stattfinden. Wenn die Bürokratie durch neue Verordnungen noch weiter überschwappt, dann wird das System zusammenbrechen.

Die Furche: Ist Hintergrund der Dokumentation nicht auch jener der Qualitätssicherung?

Dorner: Das ist ja nur die Ausrede, letztlich will der Staat das Leben total kontrollieren. Und er versteckt sich hinter Begriffen wie Qualitätskontrolle, Controlling, Rationalisierung usw. Das sind meiner Meinung nach Vokabeln der zukünftigen Kontrolle über das Gesundheitswesen durch den Staat. Das sind jene Parameter, die zur Staatsmedizin führen. Jeder Arzt ist doch selber an Qualität interessiert. Wenn ich als Arzt keine Qualität anbiete, dann kommt mir doch niemand, wenn zum Beispiel die Praxis heruntergekommen ist …

Die Furche: Aber das sind Äußerlichkeiten. Wie kann der Patient sicher sein, dass Qualität bei der Behandlung gewährleistet ist?

Dorner: Es gibt keinen akademischen Beruf, der einer derartig straffen Diplomfortbildungsverpflichtung und Weiterbildung unterliegt wie wir Ärzte. Das wird von der Ärztekammer kontrolliert. Es gibt keine Berufsgruppe, die sich freiwillig so viele Qualitätskriterien auferlegt. Wir wissen, dass wir in der Auslage stehen und hier ethisch und moralisch eine ganz andere Verpflichtung haben als andere Berufe.

Die Furche: Die von der Regierung geplante Elga (elektronische Gesundheitsakte) ist der Ärzteschaft auch ein Dorn im Auge, warum?

Dorner: Elga, also die elektronische Gesundheitsaufzeichnung, gibt es doch bereits seit zehn Jahren in den Spitälern. Krankenakten können bereits innerhalb eines Krankenhauses und auch des Krankenhausverbandes Wien per Datenvernetzung weitergegeben werden. Dass die Regierung aber sagt, wir machen ein generelles System und drücken es allen Österreichern per Gesetz auf's Auge, das lehnen wir ab. Das ist ein Eingriff in die Intimsphäre des Menschen. Zudem übersteigen die Kosten jeden Nutzen und könnten zum Beispiel für die Krankenkassen sinnvoller verwendet werden.

Die Furche: Was schlagen Sie vor?

Dorner: Es hat niemand von vornherein gesagt: jeder Mensch in Österreich braucht eine Bankomat-oder Kreditkarte. Warum kann man das hier nicht auch auf freiwilliger Basis machen? Wenn ein Patient zu mir kommt, der ein chirurgisches Problem hat, wozu muss ich wissen, welche Infektionskrankheiten er mit sieben Jahren hatte? Im Vordergrund des Elga-Projektes steht nicht das Service für den Patienten, sondern - und das wurde von politischer Seite sogar unmissverständlich gesagt - mit Elga soll das Gesundheitswesen nachhaltig durch Regulation verändert werden. Es geht in Wahrheit um Steuerung und Kontrolle. Es geht um Entmündigung des mündigen Menschen, Entmündigung des freien Berufstandes Arzt. Es geht in Richtung Staatsmedizin.

Die Furche: Sie haben neben den Punkten der Kontrolle auch noch die Rationalisierung kritisiert. Können Sie das präzisieren?

Dorner: Ich kann Ihnen das anhand der Spitalsärzte aufzeigen. Was die langen Arbeitszeiten betrifft, arbeiten diese unter ähnlich schlechten Bedingungen wie die Menschen zu Beginn des Industriezeitalters. Ein weiteres Beispiel: Ein Patient mit akutem Blinddarm; erster und zweiter Tag nach der Operation verlaufen problemlos, dann kann er nach Hause gehen und sein Bett wird für einen neuen Patienten frei. Früher wäre derselbe Patient fünf bis sechs Tage im Spital geblieben. Heute werden somit in derselben Zeit drei Patienten behandelt …

Die Furche: …was doch sinnvoll erscheint?

Dorner: Vom ökonomischen Standpunkt ist es natürlich sinnvoll: Wenn ich für dieselbe Zeit drei Patienten behandle, bringt das natürlich eine bessere Jahresbilanz. Da geht es aber nur mehr um die Ökonomie. Wenn derselbe Patient mit Wundheilstörung nach einigen Tagen wiederkommen muss, dann wird er als neue Aufnahme geführt, darf wieder eine bestimmte Anzahl von Tagen bleiben, damit es optimal bezahlt wird. Es wurde aber aufgezeigt, dass die Belegdauer der Patienten zwar kürzer als früher ist, aber ein und derselbe Patient dafür öfter kommen muss. Das System ist also kontraproduktiv.

Das Gespräch führte

Regine Bogensberger.

Chirurg und Ärztesprecher mit kräftigen Ansagen

Wenn es um die Grundpfeiler des österreichischen Gesundheitssystems geht, wenn er von Solidarität und dem Wohlfahrtsstaat spricht, in dem "der Ärmste, der unter der Brücke schläft, und jener, der im 5-Sterne-Hotel nächtigt", dieselben medizinischen Spitzenleistungen erhalten, dann steigert sich Walter Dorner richtig rein. Der neue Ärztekammerpräsident, der Reiner Brettenthaler an die Spitze der österreichischen Ärztekammer nachfolgte, gibt sich kämpferisch, wenn er auf die Gefahr einer Zweiklassenmedizin, Rationalisierung und ein Zuviel an Technologie angesprochen wird. Der 65-jährige Chirurg - groß gewachsen, kräftig gebaut und redegewandt - ist als Standesvertreter der Ärzteschaft schon ein "alter Hase." Zuletzt führte er die Wiener Ärztekammer. Der Mediziner, der viele Jahre lang die ärztliche Leitung im Heeresspital in Wien-Stammerdorf innehatte und in Wien Alsergrund eine Praxis führt, zeigte sich oft schlagfertig. Besonders die frühere Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat und deren Politik waren Dorner ein Dorn im Auge; er erinnert an das Chaos mit der E-Card, verstärkte Bürokratie oder die Ambulanzgebühr. Dorner zeigte sich aber optimistisch, dass sich die Zusammenarbeit mit Berufskollegin Andrea Kdolksy besser entwickeln wird. Eine gute Übereinstimmung ortet der Ärtekammerpräsident mit Wissenschaftsminister Johannes Hahn, den er in seiner Verteidigung der Quote beim Medizinstudium vollinhaltlich unterstützt. Kein Verständnis zeigt Dorner für das Verhalten der Gynäkologen Johannes Huber und Sepp Leodolter in der Causa "Neue Wunderwaffe gegen Krebs": "Diese marktschreierische Art gehört sich nicht!"

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