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Sie gilt als wichtiger Motor für die Emanzipation der Frau, wenn nicht als der wichtigste: die Pille. Doch 50 Jahre nach ihrer Markteinführung in den USA ist ihr Glanz längst nicht mehr ungetrübt.

Ihr erstes Erlebnis mit der Pille war mit 17 Jahren. Der erste Besuch beim Frauenarzt endete mit drei Probepackungen einer Pillenvariante. Die beste Freundin hatte sie sich auch verschreiben lassen, einfach so. In der Schulpause gab es nur das Thema. Der erste fixe Freund würde auch noch kommen. Die Packung war fast einladend mit den verschieden gefärbten Pillen. Sie fühlte sich stolz und #am Ball#. Es folgte ein Monat Pillen-Experiment mit pochenden Kopfschmerzen und dennoch mit dem Gefühl, mehr zur Frau geworden zu sein.

Jede Frau hat ihre eigene Geschichte über die Pille zu erzählen # mit guten und weniger guten Erfahrungen. Für unsere Mütter und Großmütter war sie zunächst die mit Spannung erwartete, mit schüchternen Fragen an den Arzt eingeforderte und mit leisen Tuscheln unter den Freundinnen eingestandene oder gefeierte Befreiung: Endlich gab es einen Weg, ungewollte Schwangerschaften zu verhindern, Sexualität angstfreier, wenn auch für allzu viele noch nicht lustvoller zu erleben. Damals war die Pille noch viel höher dosiert als heute, nicht wenige Frauen mussten sie wegen starker Nebenwirkungen wieder absetzen und bekamen seufzend-erduldend ihr sechstes Kind.

Die Angst ging #

Skepsis und vor allem moralische Einwände von kirchlicher und auch staatlicher Seite begleiteten bereits die Anfänge der Pille. Zunächst durfte sie nur an verheiratete Frauen, die bereits Kinder hatten, verschrieben werden. Der Produzent der ersten Marke #Anovlar# (damals noch Schering AG, heute Bayer Schering Pharma) unterließ große Marketinginitiativen, als er im Juni 1961 die erste Pille auf den deutschen Markt brachte. Zu prüde war die Gesellschaft.

Doch der Siegeszug der ersten hormonellen Verhütung war nicht zu stoppen. Frauen forderten zunehmend die Pille ein. Selbst bei gläubigen Menschen tat sich eine immer größer werdende Kluft zwischen katholischer Lehrmeinung und der Realität ihrer Verhütungspraxis auf. Dass die Kirche die Pille immer noch ablehnt, #wird Menschen, die verantwortungsvoll mit ihr umgehen, nicht gerecht#, sagt auch Martina Kronthaler, Geschäftsführerin der Lebensschutzorganisation #Aktion Leben#. Ob die Emanzipation der Frau ohne die Pille derart verlaufen wäre, ist heute umstritten # außer Frage steht jedoch die Tatsache, dass sie dadurch einen enormen Schub genommen hat. Auch der österreichische Hormonspezialist Johannes Huber betont: #Die Pille hat zur Emanzipation der Frau essenziell beigetragen, zudem zur Humanisierung der Sexualität.#

Das Image der Befreierin der Frauen ist fix in historischen und feministischen Abhandlungen verankert # dennoch: Allmählich erlitt die Marktführerin der hormonellen Kontrazeptiva doch Imageschaden. Frauen fürchten Nebenwirkungen # Gewichtszunahme, Lustlosigkeit, langfristige Risiken # sowie den anhaltenden Eingriff in ihren Körper durch Hormone.

Doch zunächst ist die Pille, von der es heute zahlreiche Marken und Varianten gibt, schlicht zur Selbstverständlichkeit geworden, der Befreiungsaspekt ist den Frauen heutzutage nicht mehr so präsent, betont auch Sylvia Groth, Geschäftsführerin des Frauengesundheitszentrums in Graz ( www.fgz.co.at). Die Medizinsoziologin erläutert: #Von soziologischer Seite her kann man sagen, dass wir als Gesellschaft insgesamt kritischer geworden sind, wir hinterfragen stärker die Produkte, die uns angeboten werden. Das Vertrauen in die Medizin wurde durch verschiedene Ereignisse erschüttert, zum Beispiel durch die Veröffentlichung der Women#s-Health-Study 2002, die Risiken der Hormonbehandlung für Frauen im Wechsel aufzeigte.# Nach Groths Erfahrung zählen eher ältere Frauen zu den Kritikerinnen. Für jüngere stehen die Motive der Sicherheit und einfachen Anwendung im Vordergrund.

Claudia Linemayr-Wagner, Wiener Frauenärztin und Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung, sieht die kritischen Gruppen unter den eher bildungsfernen und unter den sehr gebildeten, alternativen Frauen. Erstere würden alles, was sie über die Pille in Medien und im Umfeld gehört haben, unreflektiert übernehmen, ohne Risiken in Relation zu setzen. Die Gebildeten wiederum würden es ablehnen, ihrem Körper Hormone zuzuführen.

Diese kritische Gruppe würde sich einem neuen Naturalismus verpflichten, kritisiert wiederum die französische Feministin Elisabeth Badinter in ihrem aktuellen Buch #Der Konflikt # Die Frau und die Mutter# (C. H. Beck 2010). Dieses Misstrauen gegenüber allem #Chemischen# hat nach Badinters Recherche zu Einbrüchen beim Pillenabsatz in den vergangenen Jahren geführt. Sie fürchtet, dass dadurch die Freiheit der Frauen wieder eingedämmt werden könnte. Dieser neue Naturalismus steht laut Badinter nicht nur hinter der Pillenskepsis, sondern auch hinter Initiativen zur Förderung des Stillens (ein eigenes Thema, das hier nicht vertieft werden kann).

Die Pille war und ist also stets ideologisch untermauert. Auch heute noch. Sylvia Groth erinnert an die jüngste Diskussion über die Notfallsverhütung #Pille danach#, die seit Anfang des Jahres in Österreich rezeptfrei erhältlich ist. Es gab wieder eine große Diskussion über die Hormonbelastung. Es wurde auch vereinzelt befürchtet, die Jugend könnte dadurch sexuell aktiver werden, was Studien nicht untermauern. Trotz des ideologischen Schattens entstand um die Pille ein breiter gesellschaftlicher Konsens, den Vertreter verschiedener ideologischer Richtungen einnehmen: Die Pille hat ihre großen Verdienste, aber sie ist nicht ohne Nebenwirkungen und soll nach einem individuellen Risikoprofil verschrieben werden.

Auch Johannes Huber, Leiter der Abteilung für Endokrinologie am AKH Wien, räumt ein, dass die Medizin und Pharmaindustrie #verführerisch# jede Frau damit zwangsbeglücken wollte, ähnlich wie mit der Hormonersatztherapie in den Wechseljahren. #Das war retrospektiv sicher falsch. Dort aber, wo die Indikation besteht, und eine sorgfältige Abwägung der Risikofaktoren vollzogen wird, bleibt die Pille das sicherste und einfachste Verhütungsmittel.#

Auch die #Aktion Leben# hat einen pragmatischen Zugang zur Pille, wie Martina Kronthaler erklärt: #Wir haben das Motto: Weder die Pille schönreden noch schlechtmachen. Generell ist unser Zugang zu Verhütungsmitteln, ausgewogen zu informieren. Zudem setzen wir vorher an. Es ist ganz wertvoll, wenn sich Frauen und Männer positiv mit ihrer Fruchtbarkeit beschäftigen.#

# aber wo bleibt die Lust?

Mehrere weitere hormonelle Verhütungsmethoden machen der Pille heute Konkurrenz. Verhütung ist aber bis auf das Kondom vorwiegend Frauensache. Die Angst der Frauen vor ungewollten Schwangerschaften ist im Bett großteils verschwunden, aber ist die Lust eingezogen?

Das verneinen Expertinnen. Eine Umfrage der First-Love-Beratungsstelle (2008) ergab, dass viele Mädchen meinen, dass Männer mehr vom Sex hätten. #Das ist erschütternd#, sagt Linemayr-Wagner von der Gesellschaft für Familienplanung, die diese Studie durchgeführt hat. Auch Sylvia Groth meint: #Das ist das wirklich Enttäuschende. Immer noch, nach so vielen Jahren der Emanzipation, spielt für Frauen ihre Lust eine geringere Rolle.# Für Groth und die Wiener Sexualtherapeutin Elia Bragagna (siehe Interview Seite 22/23) kein Wunder, sei doch das Wissen über die weibliche Anatomie und das Lustempfinden der Frauen mangelhaft. Es gibt zwar laut Expertinnen ein großes Interesse der Jugendlichen an Sexualpädagogik, dennoch wird diese immer noch zu wenig gefördert. Groth bedauert: #In Schulbüchern steht nichts über die Funktion, Größenverhältnisse und Signifikanz der weiblichen Lustorgane drinnen.# Ebenso kritisiert Bragagna: #Wenn dieses Wissen noch nicht an die Universitäten vorgedrungen ist, wie sollten es die Menschen auf der Straße wissen.# Das lasse Raum für Mythen, alte und neue, die sich immer noch hartnäckig halten.

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