Der Preis des Sündenfalls

Werbung
Werbung
Werbung

Das Finanzdebakel und die Garantien des zurückgekehrten Staates nehmen völlig unverständliche Größenordnungen an. Niemand vermag eine Ordnung herzustellen. Dennoch dürfen wir uns von dem Chaos nicht abwenden.

Die Ereignisse dieser Tage kommen in die Geschichtsbücher. Aber wer meint, jetzt schon abschätzen zu können, was drinnen stehen wird, irrt. Und zwar kräftig. Denn die gegenwärtige globale, nur mit knapper Not eingedämmte Krise hat viele, keineswegs einfache Ursachen. Sie hat weitreichende, noch nicht vollständig abschätzbare Folgen. Und, drittens, fehlt es für ihre Bewältigung an Rezepten. Weswegen sich die große Welt des Kapitals, sprich: die industrialisierte nördliche Halbkugel, darüber verabredete, schon bald zu einem Weltfinanzgipfel zu laden, spätestens im November, und das in New York. Dort habe nämlich alles begonnen, wie der amtierende EU-Ratsvorsitzende, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy in Brüssel lakonisch anmerkte. Das stimmt, aber nur teilweise.

Begonnen hat dieses Desaster tatsächlich in den USA, aber in Washington und schon vor über drei Jahrzehnten. Unter Präsident Richard Nixon hoben die USA das bewährte System von Bretton Woods auf. Die Menge an hergestellten Waren, an eingelagertem Gold und Devisen sowie an verfügbarem Geld mussten einander nicht mehr entsprechen. Ein Sündenfall.

Geld wurde gedruckt, nicht verdient

Geld wurde, losgelöst von Referenzgrößen, gedruckt und in Umlauf gebracht. Das half der Wirtschaft, löste aber einen Kreislauf aus, dem wir nun eine Geldmenge in grotesken Größenordnungen zu verdanken haben, mit bisher nochmals höheren Buch- und Börsenwerten, die Geld knapp werden ließen in diesen Tagen. Eine Rückkehr zu Bretton Woods ist ausgeschlossen, jene zu einer restriktiveren Geldmengenpolitik zumindest auf Sicht notwendig. Das bedeutet höhere Zinsen und damit weniger Freude bei den Wirtschaftssubjekten, aber deren Befindlichkeit kann sich ohnedies nur mehr bessern.

Geld wurde in den letzten Jahren endgültig vom Tauschmittel zum Wirtschaftsgut, zu einem produktiven Faktor, wie die Freunde des Druckens von Geldscheinen etwa in der US-Notenbank ständig beteuern. Der Flurschaden dieses Denkens ist enorm, denn auf der ständigen Jagd nach noch höherer und schnellerer Verzinsung hat das Kapital versucht, jede Chance seiner Vermehrung zu nutzen. In kürzerer Zeit noch höhere Zinsen, nötigenfalls wird Geld auf einen Jux gewettet. Die Börsen als die wahren Casinos dieser Welt. Zugleich ermöglichte eine wirklich falsch verstandene Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung ein von realen Werten und tatsächlichen Märkten völlig losgelöstes Wirtschaften. Firmen produzieren in Asien, verkaufen in Europa, versteuern auf Inseln. Einige Banken, wie alle unter Kosten- und Konkurrenzdruck, versagten in ihrer Aufgabe, die Kraft des Kapitals wohldosiert in die Unternehmen und damit den Markt zu übersetzen. Und der Staat, der wirklich nicht alles besitzen und jedes betreiben muss, begab sich der Kontrolle. Bis einige riesige Unternehmen, beginnend in den USA, zusammenbrachen. Und sich einige Top-Manager Prämien in Millionenhöhe gewährten, und dies mit dem Hinweis, das sei ohnehin nur ein Bruchteil des für die Firma Verdienten. Jetzt stehen alle vor einem Scherbenhaufen.

Rechtes Maß und Gerechtigkeit fehlen völlig

Die Leistungsfähigkeit manch internationaler Banken ist gefährdet, die Glaubwürdigkeit der Berater in finanziellen Dingen weitestgehend ihrer Grundlage beraubt. Die sachliche Basis für ein reelles und gerechtes Preis-Leistungs-Verhältnis ist angesichts enorm hoher Gagen einerseits und spottbilliger Industrieware andererseits völlig verloren gegangen. Das rechte Maß wurde ebenso verloren wie die Einsicht in die Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Verkehrte Welt: Nicht das Wirtschaften dient uns, sondern wir dem Wirtschaften. Unverständliche Welt: Der Einzelne durchschaut das Wirtschaftssystem nicht mehr.

Das Dilemma nimmt täglich neue Dimensionen an: Wissenschafter sagen, dieser Planet könne noch drei Milliarden Menschen ernähren. Die Welthungerhilfe errechnet zugleich eine Zunahme der Hungernden auf nahezu eine Milliarde Menschen. Das geht alles nicht mehr zusammen. Man möchte sich abwenden. Das aber wäre das Schlimmste.

„Die Einsicht in die Sozialpflichtigkeit des Eigentums ging verloren. Das Debakel der Finanzmärkte ist undurchschaubar. Der Einzelne versteht das Wirtschaftssystem nicht mehr.“

claus.reitan@furche.at

„Trotz der Rettungsaktionen für die Banken sind die Folgen unabsehbar. Karitativen Organisationen fehlen Spenden.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung