Der steinige Weg zu einem Stück Heimat

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Wenn in einer Beziehung ein Partner Österreicher ist und der andere Ausländer, sind Missverständnisse vorprogrammiert. Dafür gibt es aber auch immer wieder Spannendes zu entdecken und zu erleben.

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Wenn in einer Beziehung ein Partner Österreicher ist und der andere Ausländer, sind Missverständnisse vorprogrammiert. Dafür gibt es aber auch immer wieder Spannendes zu entdecken und zu erleben.

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Wenn Sarah, Laura und Anna-Caterina mit ihrem Papa Tiereraten spielen, dann wechseln sie die Sprache oft mitten im Satz. Wie selbstverständlich sprudeln die Tiernamen im einen Moment auf Deutsch und im nächsten wieder auf Italienisch aus ihnen heraus. "Ich bin die einzige im Kindergarten, die Italienisch kann" erklärt die sechsjährige Laura stolz.

Salvatore und Claudia Troia legen besonderen Wert darauf, dass ihre drei Töchter zweisprachig aufwachsen. Salvo stammt aus Sizilien, Claudia aus Österreich. "Von beiden Seiten gab es die Bereitschaft, die Sprache des anderen zu lernen", erklärt Claudia, "denn es ist unglaublich wohltuend, mit dem Partner in der eigenen Muttersprache reden zu können." Dass die Sprache ein enorm wichtiger Bestandteil der eigenen Identität ist, kann auch die 24-jährige Studentin Aldona Kuberacka aus Polen bestätigen. "Es klingt seltsam, aber auf Polnisch kann ich ganz anders lachen", sagt sie. Aldona lebt schon seit mehr als drei Jahren zusammen mit ihrem Lebensgefährten Thomas in Österreich. Sie glaubt, dass ihre Beziehung zueinander oft einfacher wäre, wenn Thomas ihre Sprache sprechen würde.

Heinz Sitterli, gebürtiger Österreicher und seit 17 Jahren mit der Mexikanerin Miriam verheiratet, hat die Muttersprache seiner Frau gelernt. Auch Miriam hatte bereits in Mexiko Deutschunterricht genommen, bevor sie nach Österreich kam. "Die Überraschung war gross, als hier niemand wirklich Deutsch gesprochen hat", erinnert sie sich, "Ich habe keine Menschenseele verstanden. Die Leute haben sich zwar bemüht, und besonders laut und mit vielen Infitiven gesprochen, aber ihren Dialekt konnten sie doch nicht unterdrücken."

Salvo und Claudia, Miriam und Heinz, Aldona und Thomas sind nur drei von vielen in Österreich lebenden Paaren, bei denen einer der beiden Partner Ausländer ist. 1998 etwa waren von insgesamt zirka 39.000 Eheschließungen fast 5.500 "gemischtkulturell", das entspricht jeder siebten Hochzeit. Bei zwei von drei dieser "gemischten" Trauungen war der Mann der Österreicher und die Frau Ausländerin. Der Großteil der ausländischen Ehepartner kam aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Deutschland, Tschechien und der Türkei. Weit abgeschlagen rangieren Ungarn, die Schweiz und Italien.

Sprachprobleme sind nicht die einzigen Schwierigkeiten, die eine Verbindung zwischen einem österreichischen und einem ausländischen Partner mit sich bringt.

Wer zahlt das Essen?

Martha Schicho, Psychotherapeutin und seit 26 Jahren in der Ehe-, Familien und Lebensberatung tätig, hat langjährige Erfahrungen mit gemischtkulturellen Paaren. Wie bedeutend die kulturellen Unterschiede sein können, wurde ihr erst im Laufe der Jahre bewusst. "Jeder der beiden versteht etwas anderes unter Partnerschaft, stellt andere Erwartungen an die Beziehung. Ein Inder etwa nimmt seine Frau in die Großfamilie auf, damit sie versorgt wird und geborgen ist. Wenn sie als Europäerin auf Gleichberechtigung besteht, ist er zutiefst verletzt und empfindet das als Geringschätzung seiner kulturellen Werte."

Vor allem das Rollenverständnis von Mann und Frau klafft aufgrund der unterschiedlichen kulturellen Wurzeln oft weit auseinander. Die Differenzen reichen von der Einstellung zur Berufstätigkeit und Ausbildung der Frau über die Hausarbeit und die Verwaltung der gemeinsamen Finanzen bis hin zum Gesprächston, der zwischen den beiden Geschlechtern herrscht. Was in dem einen Kulturkreis ganz selbstverständlich ist, kann in einem anderen eine grobe Unhöflichkeit darstellen. Aldona war zum Beispiel schockiert darüber, dass die meisten Männer in Österreich von ihrer weiblichen Begleitung erwarten, dass sie im Restaurant ihr Essen und ihre Getränke selbst bezahlt. In Polen wäre das unmöglich. "Aber Thomas hat mich darüber aufgeklärt, dass das hier ganz normal ist", erzählt sie mit einem Augenzwinkern. "Er meint es liege daran, dass die österreichischen Frauen so emanzipiert sind - im Gegensatz zu den polnischen ..."

Den steinigeren Weg in gemischtkulturellen Beziehungen hat meist der ausländische Partner zu gehen. Denn er muss nicht nur mit der fremden Sprache und den an ihn gestellten Rollenerwartungen fertig werden, sondern hat häufig auch mit Heimweh und der Sehnsucht nach der eigenen Familie zu kämpfen. Die Lücke, die durch das Leben fernab von der Familie und der vertrauten Umgebung entsteht, birgt ein hohes Konfliktpotenzial. Denn die Hoffnung, der österreichische Partner könne die Sehnsucht stillen, bleibt natürlich unerfüllt. Oft entsteht dann ein regelrechter Hass auf Österreich, es kommt zu Schuldzuweisungen demjenigen Partner gegenüber, der im eigenen Land leben "darf". Ihm wird die "offene Rechnung" dafür präsentiert, dass man sehr viel aufgegeben hat, um mit ihm zusammen sein zu können.

In dieser Konfliktsituation, so Lebensberaterin Schicho, müsse der 'heimische' Partner dem anderen ganz bewusst zeigen, dass er den erbrachten Liebesbeweis schätzt und würdigt. "Es wäre absolut tödlich, in dieser Situation zu sagen: 'Du hast es dir doch selbst so ausgesucht, also beschwer dich jetzt nicht darüber'". Im Gegenteil, der österreichische Partner sollte versuchen, dem anderen in Österreich ein Stück Heimat zu schaffen. Claudia und Salvatore etwa halten italienische Traditionen ebenso hoch wie österreichische. "Wir feiern den österreichischen Nikolo genauso wie die italienische Befania", erzählt Claudia, "Und gekocht wird sowieso italienisch, denn alle Kinder lieben Spaghetti. So kann man als 'heimischer' Partner dem andern schon sehr viel helfen."

Verrat an der Heimat Miriam und Heinz Sitterli treffen sich so oft wie möglich mit Freunden, die wie Miriam aus Mexiko oder Lateinamerika stammen. Der Kontakt zu Landsleuten und das Sprechen der Muttersprache bildet eine wichtige Brücke zum Heimatland.

Der ausländische Partner hingegen muss mit Kritik an Österreich und seinen Menschen besonders zurückhaltend sein. "Der Kritik an dem Land, das man als das seine empfindet, oder an der eigenen Familie, ist man wehrlos ausgesetzt. In diesem Punkt ist jeder verletzlich", erklärt Martha Schicho. Das weiß auch Salvatore Troia. Er versucht ganz bewusst, keine Vorurteile gegenüber den Menschen seiner Wahlheimat zu haben, sie nicht als "die Österreicher" zu sehen, sondern als einzelne Persönlichkeiten mit all ihren Stärken und Schwächen. Er strebt danach, die Heimat seiner Frau genauso zu lieben wie seine eigene. "Es ist wichtig, wirklich hier zu leben, und nicht ständig daran zu denken, dass es im eigenen Land vielleicht besser oder schöner wäre", erklärt er. "Ich bin zwar nicht in Österreich geboren", meint auch Aldona, "aber ein Stück von meinem Leben ist hier. Und erst durch Thomas habe ich das Land wirklich kennengelernt, vor allem das Gebirge, die Kultur und die Sprache."

Gute Chancen haben gemischtkulturelle Beziehungen dann, wenn beide das "Anderssein" des Partners nicht nur akzeptieren, sondern auch versuchen, es zu verstehen. Der in Österreich 'heimische' Partner darf nicht erwarten, dass der andere seine kulturelle Identität aufgibt und sich seinetwegen in Österreich vollständig assimiliert. Thomas zum Beispiel hat sich anfangs von seiner Lebensgefährtin Aldona gewünscht, dass sie nicht Hochdeutsch spricht, sondern im oberösterreichischen Dialekt. "Aber das wollte ich nicht", erklärt Aldona, "denn dieser Dialekt gehört nicht zu mir. Thomas musste lernen zu akzeptieren, dass ich aus Polen komme und auch immer Polin bleiben werde."

Aus diesem Grund nehmen die meisten der ausländischen Ehepartner die österreichische Staatsbürgerschaft nicht an, obwohl die Ehe mit einem Österreicher verkürzte Einbürgerungsfristen zur Folge hat - statt im Normalfall zehn genügen fünf Jahre, um die österreichische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Das würde aber gleichzeitig die Aufgabe der eigenen Staatsbürgerschaft bedeuten, was oft als Verlust der eigenen Identität oder sogar als Verrat am Heimatland empfunden wird.

Anstatt also absolute Anpassung zu erwarten, sollte der österreichische Partner die Bereitschaft zeigen, dessen Wurzeln - etwa durch gemeinsame Reisen in sein Heimatland - kennen zu lernen. "Gemischtkulturelle Beziehungen haben nicht nur eine Chance", bekräftigt Martha Schicho, "sie sind auch eine Chance. Wenn man neugierig ist auf das andere Denken, die anderen Sitten, die anderen Handlungsweisen, dann kann so eine Partnerschaft den eigenen Horizont unglaublich erweitern. Nur gibt es eben keine ausgetretenen Pfade. Man muss täglich Neuland erkunden."

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