Der Sterbehilfe einen Riegel vorgeschoben

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Eine wichtige Entscheidung fiel heuer im Europarat: Er sprach sich eindeutig gegen die aktive Sterbehilfe aus. Auf Initiative einer österreichischen Abgeordneten wurde ein Bericht über den "Schutz der Menschenrechte und Menschenwürde von Todkranken und Sterbenden" beschlossen.

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Eine wichtige Entscheidung fiel heuer im Europarat: Er sprach sich eindeutig gegen die aktive Sterbehilfe aus. Auf Initiative einer österreichischen Abgeordneten wurde ein Bericht über den "Schutz der Menschenrechte und Menschenwürde von Todkranken und Sterbenden" beschlossen.

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dieFurche: Ende Juni nahm die Parlamentarische Versammlung des Europarates mit großer Mehrheit einen Bericht über den "Schutz der Menschenrechte und Menschenwürde von Todkranken und Sterbenden" an. In ihm wird die aktive Sterbehilfe deutlich abgelehnt. Sie haben den Bericht entscheidend mitgestaltet. Wie kam es dazu?

Edeltraud Gatterer: Es gab zu diesem Themenbereich zunächst einen Vorentwurf. Er lag ganz auf der Linie jener Politik, die derzeit in Holland praktiziert wird, vertrat also das Recht auf eigenbestimmtes Sterben, auf aktive Sterbehilfe. Ein belgischer Kollege hatte ihn verfaßt. Als er aus dem Europarat ausgeschieden ist, habe ich im Ausschuß mein Interesse an der Abfassung eines Berichtes zu diesem Themenkreis angemeldet.

dieFurche: Und Sie wurden mit der Abfassung eines Berichtes beauftragt?

Gatterer: Ja, allerdings muß darüber abgestimmt werden. Als ich bei der nächsten Tagung nach meiner Bestellung erklärte, daß ich einen ganz neuen Bericht machen will, weil der vorliegende Entwurf nicht meinen Vorstellungen entsprach, wurde das akzeptiert.

dieFurche: Waren Sie in diesem sensiblen Fragenkomplex eingearbeitet?

Gatterer: Entscheidend geholfen hat mir das Institut für Ethik in der Medizin in Wien. Professor Günter Virt hat für den Bericht Wesentliches geleistet. In diesen Themenbereich spielen ja viele Fragen hinein, die Medizin, Recht, Ethik in der Wissenschaft, Rechtsphilosophie, Europäische Rechtsgeschichte hinein. Heuer im Jänner wurde der Bericht mit dem Ausschuß und mit Experten aus verschiedenen Ländern diskutiert. Er konzentriert sich auf drei Schwerpunkte: die Palliativ-Medizin, die Patientenrechte und den Themenkreis des absoluten Schutzes für das Leben.

dieFurche: Worum geht es bei der Palliativ-Medizin?

Gatterer: Es geht darum, daß die Menschen an ihrem Lebensende so wenig wie möglich leiden müssen. Man muß ihnen möglichst die Schmerzen nehmen, sie in einem sozialen Umfeld pflegen, wo sie nicht den Eindruck haben, im Weg zu sein. Unter solchen Bedingungen ist der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe nicht gegeben. Das zeigen viele Studien. Auch bei Besuchen im Wiener Hospiz wurde mir gesagt, daß der Wunsch nach Sterbehilfe dort nie geäußert wird, weil man eben auf die Personen eingeht.

dieFurche: Welche Forderungen gibt es bei den Patientenrechten?

Gatterer: Viele haben heute Angst, daß sie gegen ihren Willen von der hochtechnisierten modernen Medizin um jeden Preis am Leben erhalten werden. Hier geht es um die Forderung nach mehr Selbstbestimmung. Patienten müssen die Möglichkeit haben zu verlangen, daß eine bestimmte Behandlung nicht mehr fortgesetzt wird. Ein schwer Krebskranker, der noch maximal zwei Monate zu leben, muß eine Operation ablehnen können. Der Patient muß das Recht haben zu sagen, daß er ab einem gewissen Zeitpunkt in Frieden sterben möchte, eben möglichst schmerzfrei und im Kreise der Menschen, die ihm am Herzen liegen.

dieFurche: Bleibt die Frage nach dem Schutz des Lebens. Sie war sicher sehr umstritten ...

Gatterer: Im Zuge der Beratungen über den Bericht gab es wachsenden Widerstand gegen die Forderung des Berichts, die aktive Sterbehilfe zu verbieten. Vor allem die Labour-Vertreter, Abgeordnete aus Holland und Belgien, zum Teil auch aus Frankreich und auch aus einigen Oststaaten forderten massiv die Möglichkeit zur aktiven Sterbehilfe. Die beiden anderen Punkte waren im Großen und Ganzen unumstritten. Dieser dritte, umstrittene Punkt aber sollte einem Antrag zufolge gestrichen werden und die Möglichkeit der aktiven Sterbehilfe berücksichtigt werden.

dieFurche: Wie wurde da argumentiert?

Gatterer: Die Befürworter sprechen immer davon, daß der Mensch in Würde sterben soll. Sie gehen davon aus, daß es unwürdig ist, Schmerzen zu haben. Viele Philosophen und vor allem die Christen sehen aber die Würde als absoluten Bestandteil des Menschen an, egal ob er gesund oder krank, sterbend oder behindert ist. Wir lehnen die Vorstellung ab, daß der Mensch nur dann Würde hat, wenn er gesund, arbeitsfähig, voll bewußt, autonom ... ist. Die Autonomie des einzelnen darf man auch nicht mit der Erfüllung beliebiger Wünsche gleichsetzen. Außerdem ist auf das Beispiel Holland hinzuweisen. Dort wird jetzt diskutiert, Kindern ab zwölf Jahren ohne Zustimmung der Eltern Sterbehilfe zuteil werden zu lassen. Aus Holland weiß man außerdem, daß Tausende zu Tode befördert wurden, ohne den Wunsch nach Sterbehilfe geäußert zu haben. Und noch etwas: Es ist politisch naiv zu glauben, daß es zu einem großen Ausbau der Palliativ-Medizin kommen wird, wenn man die aktive Sterbehilfe zuläßt. Ein Arzt in unserem Ausschuß hat aus Deutschland berichtet: Aufgrund eines höchstgerichtlichen Urteils wurde auf Antrag der Tochter, die künstliche Ernährung bei einer Frau eingestellt. Dagegen ist, wenn es ein Patienten-Testament gibt, zunächst nichts einzuwenden. Bemerkenswert war aber die Reaktion der Krankenkassen. Sie überlegten, ob nicht jeder in einer solchen Situation bei Fortführung der künstlichen Ernährung diese selber zahlen solle. Da liegt eine große Gefahr. Als Politikerin weiß ich, wie angespannt die Finanzen im Gesundheitswesen sind. Und noch etwas: Ich bin ein schwacher Mensch, der Höhen und Tiefen erlebt. Und da soll ich in einer so schwierigen Situation, wie sie das Lebensende darstellt, abschätzen können, ob sich mein Leben noch auszahlt! Verlangt man da von Sterbenden nicht mehr Durchblick und Kraft, als man im normalen Leben aufbringt?

dieFurche: Was gab schließlich den Ausschlag für die Entscheidung gegen die Sterbehilfe?

Gatterer: Wir haben uns auf die Tradition des Europarates berufen, die Menschenrechte zu schützen. Und zu diesen gehört natürlich auch das Recht auf Leben, sein Schutz. Die Frage des Lebensschutzes ist im Artikel 2 zwar behandelt, die Ablehnung der aktiven Sterbehilfe aber nicht deutlich angesprochen. Deswegen ist es so wichtig, daß es jetzt zu dieser Frage einen Bericht gibt, der mit großer Mehrheit in der Versammlung angenommen wurde. Er soll für die Länder als Richtlinie dienen. Ich hoffe, daß dieser Bericht zu einem Zusatzprotokoll entweder der Menschenrechts- oder der Bioethikkonvention wird, um eine Rechtssicherheit zu schaffen. Aber schon jetzt ist viel erreicht. Kollegen aus Osteuropa haben mir gesagt, wie wichtig dieser Bericht jetzt schon für sie ist, wenn es darum geht, in den Ländern Entscheidungen zu treffen.

dieFurche: Könnte es nach diesem Bericht in absehbarer Zeit auch wieder zu einem entgegengesetzten Beschluß kommen?

Gatterer: Ich habe mich da natürlich erkundigt, weil die Gegenspieler massive Interessen haben. In der Tradition des Europarates gibt es das aber nicht, daß es alle paar Jahre zu einem bestimmten gesellschaftspolitischen Thema Berichte gibt. Den letzten Bericht zu diesem Fragenkomplex gab es vor mehr als 15 Jahren.

dieFurche: Was bedeutet der Bericht für Österreich?

Gatterer: Im Bereich Hospizwesen wäre einiges zu tun. Wir haben zu wenige Hospiz- oder geeignete Spitalsbetten, wo Angehörige kommen können, wo man in Ruhe Gespräche führen kann und wo man entsprechend betreut wird. Auch müßte man mobile Dienste zur Unterstützung der Betreuung zu Hause ausbauen. Weiters müßten die Ärzte eine verbesserte Ausbildung im Bereich der Palliativ-Medizin erhalten. Ebenso das Pflegepersonal.

Schließlich müßte man sich generell mehr mit der Frage des Sterbens auseinandersetzen - so etwas wie Sterbeforschung. Der Umgang mit dem Tod und Sterbenden ist das letzte große Tabu in unserem Land. Das wird verdrängt. Ich weiß doch, wie es mir bei der Pflege meiner schwer krebskranken Mutter gegangen ist. Mir war so, als wäre ich der erste Mensch, dem das passiert ist. Du bist in dieser Situation einfach hilflos. Denn über den Umgang mit dem Sterben wird nicht geredet. Ein Vierzigjähriger weiß heute weniger über das Sterben als früher ein Zehnjähriger.

dieFurche: Sie stellen damit weitere Forderungen an das Gesundheitssystem. Ist es nicht schon teuer genug?

Gatterer: Hospizbetten kosten etwa die Hälfte von dem, was wir für ein Wiener Spitalsbett aufwenden. Auch ist die Palliativ-Medizin sicher nicht die teuerste Form der Medizin, wohl aber die menschlichste.

Das Gespräch führte Christof Gaspari Zur Person: Eine Vertreterin Österreichs im Europarat Edeltraud Gatterer ist im Juni 1954 in Villach geboren und seit 27 Jahren verheiratet. Sie hat zwei Kinder. Schon als die Kinder klein waren, ist sie im Zuge der Anti-Zwentendorf-Bewegung in die Politik eingestiegen. Als Christin war es für sie naheliegend sich in der ÖVP im Villacher Gemeinderat zu engagieren. Aufgrund von Vorwahlen in ganz Kärnten wurde sie 1990 für den Nationalrat aufgestellt und ist seitdem Nationalratsabgeordnete. Vom Österreichischen Nationalrat ist sie in den Europarat entsandt. Dort ist sie seit 1995 Mitglied der Parlamentarischen Versammlung und im Ausschuß für Soziales, Gesundheit und Familie tätig. Außerdem ist sie stellvertretende Vorsitzende im Unterausschuß für Frauen- und Gleichbehandlungsfragen.

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