Der Streit um den Baby-Code

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Ein neuer Bluttest, der das Downsyndrom bei Föten diagnostizieren kann, kommt Mitte August auf den Markt. Wird er zu mehr Abtreibungen führen, oder kann er sogar Leben retten?

Ein kurzer Stich in den Unterarm. Ein dünnes Plastikröhrchen füllt sich mit Blut. Dann geht es auf die Reise. Exakt zehn Milliliter Blut der werdenden Mutter werden an ein Genetiklabor des deutschen Unternehmens "Lifecodexx“ geschickt. Dort wird ein Mitarbeiter das Blut in ein Gerät namens "Sequenzer“ geben. "Das ist ein großer medizinischer Apparat der mithilfe eines Computerprogrammes die DNA im Blut analysiert“, erklärt die Grazer Ärztin Barbara Pertl. Die neue Methode, die sie beschreibt,wird die Gynäkologin bald in der Privatklinik Graz-Ragnitz durchführen. Der Test ist zurzeit aber höchst umstritten.

Denn im Blutplasma einer schwangeren Frau befindet sich nicht nur ihre eigene DNA, sondern auch Teile des kindlichen Codes. "Ungefähr zehn Prozent der DNA im Blut stammen vom Kind“, erklärt Barbara Pertl. Der "Sequenzer“ kann zuordnen, welche DNA-Fragmente zu welchem Chromosom gehören.

Zehn Milliliter Blut machen es daher möglich, ein ungeborenes Kind auf Downsyndrom zu untersuchen. Bisher war eine riskante Fruchtwasseruntersuchung notwendig. Bei Menschen mit Downsyndrom ist das Chromosom 21 drei Mal vorhanden, und nicht, wie die restlichen Chromosome, nur zwei Mal. Deshalb wird die genetische Veränderung auch "Trisomie 21“ genannt. Ursache dafür ist ein unüblicher Verteilungsprozess während der Zellteilung. "Hat das Kind Downsyndrom, dann steuert es DNA-Stücke vom Chromosom 21 vermehrt zur mütterlichen DNA hinzu. Das ist zwar ein minimaler Unterschied, aber ein sensitives Gerät kann das messen“, sagt die Ärztin. Die zusätzliche Erbmasse des Chromosoms 21 verursacht eine verzögerte geistige und körperliche Entwicklung. Herzfehler, ein schwaches Immunsystem und Atemwegserkrankungen gehen häufig damit einher.

Ab Mitte August soll der Bluttest, auch "Praena Test“ genannt, der den veränderten Gen-Code schon im Mutterleib enschlüsseln kann, in Österreich, Deutschland und der Schweiz auf den Markt kommen.

Bluttest-Gegner befürchten Selektion

Zehn Milliliter Blut können in Zukunft über Leben und Tod entscheiden. Bereits heute werden geschätzte 90 Prozent der Föten mit Downsyndrom abgetrieben. Die neue Diagnosemöglichkeit lässt die alte Debatte zwischen Abtreibungsgegnern und Befürwortern nun hochkochen. "Wer jetzt schon Pränataldiagnostik befürwortet, wird den Bluttest eher begrüßen. Aber Gegner werden auch damit ein Problem haben“, sagt Christian Kopetzki, Mitglied der Bio-ethikkommission.

Zu den Gegnern zählt der Verein "Aktion Leben“, der sich für den Schutz des menschlichen Lebens einsetzt. "Wir befürchten, dass der Test zu starken Druck macht auf die Eltern, und dass eine Aussortierung von Kindern mit Downsyndrom stattfindet“, sagt Daniela Orler, Sprecherin des Vereins.

Auch Birgit Brunsteiner spricht sich gegen den Test aus. Sie ist selbst die Mutter eines dreijährigen Buben mit Downsyndrom und die Obfrau des Vereins "46 plus 1“ (siehe Interview rechts). Während der Schwangerschaft wusste sie nicht über das Downsyndrom ihres Sohnes Bescheid. "Und dann war er halt da. Aber ich bin froh darüber, dass es nicht diagnostiziert wurde. Denn meinen Sohn zu haben, ist die größte Bereicherung, die es in meinem Leben gibt und es wäre ein Verbrechen gewesen, ihn abzutreiben“, sagt die Oberösterreicherin.

Vor 80 Jahren wurden die meisten Menschen mit Downsyndrom nicht älter als neun Jahre. Heute besuchen sie Schulen, lernen Lesen und Schreiben, ergreifen Berufe und haben eine Lebenserwartung von über 60 Jahren. "Menschen mit Downsyndrom können ein lebenswertes Leben führen“, sagt Birgit Brunsteiner. Eine Studie des amerikanischen Forschers Brian Skotko aus dem Jahr 2011 gibt ihr recht. Fast 5000 Menschen mit Downsyndrom, deren Eltern und Geschwister nahmen an der Umfrage teil. Das Ergebnis zeigt: 99 Prozent der Menschen mit Downsyndrom sind glücklich. Auch auf die Eltern haben die Kinder einen positiven Einfluss. Von den befragten Vätern und Müttern gaben knapp 80 Prozent an, dass sie durch ihre Kinder mit Downsyndrom das Leben optimistischer betrachten würden. Was sie von ihren Kindern gelernt haben? Geduld, Respekt und über sich selbst hinauszuwachsen.

Viele der Bluttest-Gegner befürchten: Umso einfacher ein Downsyndrom-Test wird, desto mehr Menschen werden in durchführen lassen, desto mehr Föten mit Trisomie 21 werden abgetrieben werden. Mit dem Bluttest könnte eine Barriere verloren gehen, die viele Frauen bis jetzt noch nicht zu überschreiten wagten. Wollte man bisher wissen, ob das ungeborene Kind das Down-syndrom hat, musste man eine Fruchtwasseruntersuchung durchführen lassen. Dabei wird mit einer Nadel in den Bauch der Schwangeren gestochen und Fruchtwasser entnommen. Diese Untersuchung ist riskant: Das Kind kann dabei sterben. Der Humangenetiker Berthold Streubel vom Wiener AKH, der ebenfalls in Richtung Bluttest forscht, gibt jedoch zu bedenken: "Von der labortechnischen Seite ist es viel schwieriger, das Blut der Mutter zu untersuchen, da das meiste Material, das man analysiert, mütterliches und nur wenig davon kindliches Erbmaterial ist. Deswegen sind auch die Ergebnisse des Bluttests viel schwieriger zu interpretieren.“

Bluttest kann Föten retten

Nur zehn Milliliter Blut können in Zukunft aber auch das Leben von Föten retten. Zwar gibt es in Österreich kein zentrales Register, wie viele Punktionen durchgeführt werden, die Gesellschaft für Humangenetik geht jedoch von 2000 bis 2500 Untersuchungen pro Jahr aus. Das Risiko einer Fehlgeburt nach einer solchen Punktion liegt zwischen 0,44 und 1,49 Prozent. Es ist abhängig von der genauen Art der Untersuchung und der Erfahrung des Arztes. Somit ist es immer noch ein riskanter Eingriff für den Fötus. Der Bluttest hingegen ist risikofrei. Berthold Streubel sagt dazu: "Wenn ich dieselbe Frage mit einem geringeren Risiko für das Kind beantworten kann, dann muss es natürlich mein Bestreben sein, das auch zu schaffen. Da geht es noch gar nicht um abtreiben oder nicht.“

Um nach der Diagnose Downsyndrom zu einer Entscheidung zu gelangen, müssen die Eltern beraten und informiert werden. "Egal bei welchem Test, der Knackpunkt bleibt die Beratung“, sagt auch die Grazer Ärztin. Birgit Brunsteiner ist der gleichen Meinung: "Jede Frau hat das Recht, für sich selbst zu entscheiden, aber eine Beratung sollte Pflicht sein.“ Derzeit werden die Eltern vom Arzt, der die Untersuchung durchgeführt hat, und vom Humangenetischen Institut beraten. Auch Treffen mit Menschen mit Downsyndrom und deren Eltern sind möglich. "Manche Eltern wissen aber bereits im Vorfeld, dass sie ein Kind mit Trisomie 21 nicht bekommen würden. Diese wollen sich dann auch gar nicht mit anderen Eltern treffen“, erzählt die Ärtzin Barbara Pertl. Das wichtigste sei aber, dass die Eltern genau Bescheid wissen, was die Diagnose bedeutet, und dass Unterstützung vorhanden ist. Denn im Endeffekt entscheiden sie und nicht 10 Milliliter Blut über das Leben des Kindes.

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