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Über das Leben als einziges großes Ablenkungsmanöver.

Der Tod, so eine gängige Zeitdiagnose, werde in einer von überbordendem Individualismus und Hedonismus geprägten Gesellschaft zunehmend verdrängt. Die Spaßgesellschaft verweigere sich der Auseinandersetzung mit Leiden und Sterben, das in Krankenhäuser und Altersheime ausgelagert werde.

Das klingt aufs Erste schon plausibel: In Werbung und Medien wird das Bild einer Freizeit-, Feel-Good- und Wellness-Gesellschaft vermittelt, die keine ernsthaften Störungen oder Brüche zu kennen scheint: nicht durch die Verhältnisse der Arbeitswelt, nicht durch Kinder - und eben auch nicht durch Krankheit oder Tod. Da sehen wir Menschen, für die die vielzitierte Work-Life-Balance eine Selbstverständlichkeit ist, die offensichtlich so erfolgreich im Beruf sind, dass Geld für die schönen Dinge des Lebens keine Rolle spielt - und die trotzdem genügend Freizeit haben, um kulturell, kulinarisch, sportiv und body-mäßig auf der Höhe der Zeit zu sein; da gibt es, wenn überhaupt, ein, zwei Kinder als Dekor, als Zuckerguss auf Mamis und Papis Highlife-Lebensgefühl; da kommen bestenfalls Krisen vor, die professionell als Herausforderungen begriffen und demgemäß marktkonform überwunden wurden, was wiederum der Steigerung der individuellen Performance nur dienlich sein konnte.

Das alles kennen wir - aus tv-Filmen, Tourismusbroschüren, einschlägigen Kolumnen oder Beilagen der Printmedien und anderem mehr. "Schöner leben" ist angesagt. Aber ist deswegen schon der eingangs zitierte kulturpessimistische Befund von der Verdrängung des Todes richtig?

Eher dürfte es doch so sein, dass der Mensch nie, zu keiner Zeit den Tod ausgehalten hat, ihm einfach ins Angesicht blicken konnte. Andrzej Szczypiorski, der große polnische Humanist, vertrat die Auffassung, dass es nur drei Themen gebe, die den Menschen wirklich bewegten: Liebe, Tod und Teufel (also das Böse); dem Tod aber kommt unter diesen dreien eine Sonderstellung zu. Ließe sich von daher nicht all unser Streben und Tun, unsere Arbeit und unser Vergnügen als ein einziges großes Ablenkungsmanöver vor dem Tod begreifen? Immer schon haben die Menschen sich dem Tod ex negativo genähert, im Modus des Verdrängens und Von-sich-Schiebens - und dennoch dabei die Erfahrung gemacht, dass er unzählige Male ins Leben einbricht. Dagegen bäumen sie sich dann auf, sie hadern vielleicht - und versuchen schließlich doch sich ins Unvermeidliche zu schicken, eine Form der Annahme zu finden.

Das war immer so, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Geändert haben sich die Rahmenbedingungen: Wir kümmern und sorgen uns nach wie vor um kranke und alte Menschen - aber wir dürfen froh sein, dass es auch professionelle Hilfe und Pflege gibt, die einen Teil der Last von den Angehörigen nimmt. Wir halten wie eh und je die Hände unserer Sterbenden - und finden es doch zu Recht beruhigend, dass im Hintergrund eine Spitzenmedizin arbeitet, die Leiden zu minimieren imstande ist oder, in manchen Fällen, noch hoffen lässt, wo es früher keine Hoffnung mehr gab.

Natürlich wissen wir auch um die Schattenseiten in diesen Bereichen: um überfordertes oder menschlich ungeeignetes medizinisches und pflegerisches Personal, um die Einsamkeit in Heimen und Spitälern. Das aber sind keine Auswüchse einer Spaßgesellschaft sondern Anzeichen menschlicher Unzulänglichkeit - die es freilich auch im Privaten gibt: auch dort verstehen sich Einfühlsamkeit und Aufopferung nicht von selbst; und letztlich hat es mit der Einsamkeit und Unausweichlichkeit des Todes selbst zu tun.

Das Wesen der oft gescholtenen Spaßgesellschaft besteht vielmehr darin, dass die Möglichkeiten der Ablenkung im Sinne Szczypiorskis ungleich größer geworden sind - und, vor allem, dass sie nicht mehr einer schmalen Oberschicht vorbehalten sind: Auch die Verdrängung des Todes wurde demokratisiert. Das sollten wir - wie überall sonst - für eine prinzipiell positive Entwicklung halten, die auch neue Probleme mit sich gebracht hat. Unverändert aber ist die Gegenwart des Todes, die wir nicht wahrhaben wollen, der uns zu stellen wir aber stets aufs Neue gezwungen werden.

rudolf.mitloehner@furche.at

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