Des Kanzlers PURGATORIUM

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Bundeskanzler Christian kern fordert mehr von der Regierung. Durch viel show und Inszenierung macht er Hoffnung - mit Erfolg? Ein skeptischer kommentar.

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Bundeskanzler Christian kern fordert mehr von der Regierung. Durch viel show und Inszenierung macht er Hoffnung - mit Erfolg? Ein skeptischer kommentar.

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Die österreichische Bundesverfassung hat Rechte und Pflichten fein säuberlich definiert; Kanzler Kern nahm kürzlich Zusatzrollen als Mentalcoach, Oberschiedsrichter, Chef-Controller, in Summe also finale Instanz des Sein oder Nicht-Seins der Bundesregierung für sich in Anspruch. Sachlich macht betroffen, dass Kern mehr als 200 Tage braucht, um das strategischoperative Informationssystem der Bundesregierung zu adaptieren. Erleben wir also doch eher Show und Inszenierung, welche Christian Kern in den fokussierten Lichtkegel illuminierter Aufmerksamkeit stellen soll, während die so notwendige Verbesserung der Regierungsarbeit weiter warten muss?

Christian Kerns Purgatorium

Raffinierte Drehbücher von Inszenierungs-Consultants würden es genauso machen. Nachdem verdutzte Regierungsmitglieder schon mehrfach vom Kern'schen Bannstrahl à la "das ist zu wenig", "das war die Pflicht, wir brauchen die Kür" wirkungsvoll hingerichtet wurden und ihren politischen (Nah)Tod erfahren durften, verfügt der strafende Gott in Gestalt des SPÖ-Vorsitzenden Christian Kern nun ein Fegefeuer, und alle schmachten und leiden. Kryptische Wortmeldungen wie "Wir sind auf einem guten Weg" usw. ließen immer wieder Hoffnung aufkeimen, das Paradies in Form der Prolongierung von Regierungssitzen zu erreichen.

Wer solche Wirklichkeit arrangieren darf, wie es Christian Kern tat, kann auf Zuschreibung von Stärke, Kompetenz, Ernsthaftigkeit, kurzum professionelle Attraktivität hoffen. Stehen dann noch brav rapportierende Sozialpartnerchefs bis zu einem gedemütigten Regierungspartner zur Verfügung, muss einem um die Wirkung dieses Arrangements nicht bange sein.

Mit Christian Kern hat die SPÖ einen Magister der Kommunikationswissenschaften auf den Schild gehoben, Ersatz des politischen Handelns und politischer Substanz durch Design und Inszenierung ist hier Programm und umfassendes Drehbuch.

Wer dann noch einen zentralen Infrastrukturbetrieb von innen kennen gelernt hat, weiß, wie Organisationen zu führen sind. Da sind Lobbys der Belegschaft, da sind machtvolle Lieferanten in der Industrie, die Bauten und Materialien verkaufen wollen, und da gibt es noch Kunden, ja, Menschen, da gilt natürlich, dass der Mensch im Mittelpunkt und damit allem im Wege steht. Für Kern dürften eben auch die Staatsbürger in ihrer Art der Willensbildung der zentrale Störfaktor im politischen Ablauf sein, diesen mit wirksamen Shows und Inszenierungen zu "orientieren" daher zentrale Aufgabe. Dass die Politik gerade in Österreich und insbesondere in Ost-Österreich immer weniger fähig ist, die Probleme der Menschen zu lösen, ist für den egozentrierten politischen Akteur bestenfalls ein Kollateralschaden von politischem Handeln, das von vornherein außer Streit steht. Demutvolles Agieren schaut anders aus, das erlebt man in Österreich am ehesten ab Salzburg westlich, aber dort ist die SPÖ ja praktisch verschwunden.

Umkehrung der Verfassung

Bundeskanzler Christian Kern perpetuiert in perfekter Form monarchisches Feudaldenken, demzufolge alle Macht von oben ausgeht. Sein oder Nichtsein liegt in seinen Händen allein. Das Parlament ist im System der Applaus-Demokratie auf die Rolle der Huldigung der Regierung reduziert.

Passt etwas nicht, wird die Beschaffung eines neuen Parlamentes eingeleitet - das ist immerhin noch gnädiger als die Bestellung eines neuen Volkes. Durch Herumdoktern am Wahlrecht soll ohnehin die Stimme des Volkes bis zur Unkenntlichkeit verfremdet werden und in den Dienst einer bequemen Machtausübung gestellt werden. Kerns demokratische Ideale sind offenbar im Süden Europas - das gegenwärtige Griechenland ist bekanntlich etwas anders als das antike Hellas - als Wiege einer Demokratie, die Kern nicht schätzt. Was wir im Westen des Bundesgebietes als politische Einstellung und beim westlichen Nachbarn Schweiz als politische Realität haben, nämlich eine auf Basis des republikanischen Denkens aufgestellte Konkordanzdemokratie ist vielen fremd, Ansätze davon schwinden infolge nachhaltiger Schwächung von SPÖ und ÖVP zunehmend.

Politischer Wettbewerb verkommt bei Koalitionsstrategen, welche es vor allem auf die "Schnittmenge" der Parteien absehen, zum kannibalistischen Politsystem, bei welchem nur noch eifersüchtig darauf geachtet wird, dass keiner etwas weiterbringt in der politisch gefundenen Schnittmenge. Ein offensives Denken würde die Wirkung der "Vereinigungsmenge" der politischen Vorstellungen der Partner im Fokus haben, beiden Erfolge gönnen und zudem dem Zeitgeist der Diversität entsprechen.

Aufstellung für Neuwahlen optimiert

Kern hat in wenigen Tagen ultimativer Führung mit cäsarenhafter Geste des Daumens auf oder ab über Bestand der Regierung autoritär befunden. Tageweise rätselte Österreich, schaffen die das, die Anforderungen Kerns zu erfüllen oder nicht. Brav rapportierende Sozialpartner-Chefs und um Absolution flehende Regierungspartner, die huldvollst und weinerlichst sich vermittelten, fortan brav sein zu wollen, verfehlen ihre Wirkung nicht.

Diese Inszenierung von offenbarer All-Macht generiert in der Welt der Image-Kreation jenes Leadership, welche es im Zuge geschickter Kampagnen nun gilt, in SPÖ-Wählerstimmen umzuformen. Es sollte nicht überraschen, wenn professionelle Meinungsforschung in den nächsten Wochen ein signifikantes Wachstum der SPÖ ausweisen wird.

Einer imagemäßig zertrümmerten ÖVP bleibt hier nur noch eine Statistenrolle mit einem dienstbeflissenen Vizekanzler, der volle Anerkennung und Dankbarkeit verdient wie auch einen guten Herrn, den Kern. Währenddessen sein ungeduldig wartender Nachfolger Sebastian Kurz lieber den Short-Cut nimmt, von Talkshow zu Talkshow eilt, um sich die Finger nicht mit konkreter Regierungs-Arbeit, wie etwa dringend notwendiger Aushandlung von Rückführungsaufträgen für Flüchtlinge, schmutzig zu machen. Droht doch konkreter Arbeit die permanente Gefahr, nicht erfolgreich zu sein, während bei Talkshows Aufmerksamkeit, Zuschreibung von Kompetenz, kurz der Platz an der Sonne abonniert ist.

P.S.: Der Wirtschaftsstandort Österreich dümpelt ab, politische Probleme wie die Pensionsfrage harren der Lösung, wie auch die Integrationsfrage nur oberflächlich behandelt wird. Kern und Kurz (K&K) können auf einen geduldigen Steuerzahler hoffen, der all diese Spiele bezahlt.

| Der Autor ist Politikberater und Publizist und lebt in Perchtoldsdorf |

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