‚Die 15a-Vereinbarung ist zahnlos‘

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Knapp hundert Minderjährige, die alleine nach Österreich geflüchtet sind, leben derzeit in einer Einrichtung der Diakonie Österreich. Wie schnell für mehr Kinder und Jugendliche, die derzeit in Traiskirchen warten, Betreuungsplätze geschaffen werden könnten, und was es dafür bräuchte, erklärt Christoph Riedl, der Leiter des Diakonie-Flüchtlingsdienstes im Gespräch mit der FURCHE.

Die Furche: Mehr als 500 Kinder und Jugendliche leben derzeit in Traiskirchen, rund zwei Drittel sollten längst in Einrichtungen in den Ländern leben. Doch dort gibt es keine Plätze. Wie löst man dieses Problem?

Christoph Riedl: Das Problem ist nicht, dass es keine Plätze gibt, sondern dass es keine Finanzierung gibt. Wenn man ein Finanzierungsmodell anbieten würde, das nicht jeden, der sich aus der Deckung wagt, in den Ruin treibt, könnten die NGOs innerhalb von zwei Monaten 500 Plätze schaffen.

Die Furche: Die Tagsätze für Jugendliche wurden doch gerade erhöht.

Riedl: Um zwei Euro pro Tag, das ist ein Hohn. Um zwei Euro wurden auch die Sätze für Erwachsene erhöht. Allerdings geht man dabei von einem viel niedrigeren Grundwert aus. Tatsächlich haben wir jetzt gegenüber der Grundversorgungsvereinbarung von 2004 einen realen Verlust von 20 Prozent. Im Asylwerberbereich bekommen wir knapp die Hälfte des Mindesttagessatzes von betreutem Wohnen für österreichische Jugendliche.

Die Furche: Also müsste man die Tagsätze verdoppeln?

Riedl: Wenn wir für Jugendliche eine prozentuelle Erhöhung bekämen, die der Erhöhung bei den Erwachsenen enspricht, also elf oder zwölf Prozent, dann würde das schon sehr helfen. Aber auch das würde nicht darüber hinwegretten, dass es hochriskant ist, ein Quartier für Jugendliche zu eröffnen.

Die Furche: Wieso riskant?

Riedl: Wir haben vor einigen Jahren ein Quartier in Wien mit 14 Plätzen zugesperrt, weil die Flüchtlingszahlen zurückgegangen sind. Die Schließung hat uns 100.000 Euro gekostet. Die Lösung für das Betreuungsdilemma liegt in einer Mischform aus einem valorisierten Tagsatzmodell und einer Sockelfinanzierung mit der Zusage, dass auch Schließungskosten finanziert werden, wenn es wieder einmal weniger Bedarf gibt. Übrigens gilt allgemein für Asylwerber: Es gibt genug Plätze. Man müsste schauen, dass man all jene, die schon dauerhaft in Österreich bleiben dürfen, aber noch in Grundversorgungseinrichtungen wohnen, woanders unterbringt. Und dafür denen, die nachkommen, eine adäquate Betreuung bietet.

Die Furche: Wird der Asylgipfel dieses Problem lösen?

Riedl: Die NGOs, die in diesem Bereich praktische Lösungen anbieten, sind wieder einmal nicht dabei. Man wird maximal ein paar Symptome bekämpfen. Der Kern liegt in der 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern, die von Anfang an zahnlos war. Es weist zwar die Koordinationsstelle im Innenministerium die Asylwerber an die Länder zu, aber die müssen nur "Nein“ sagen. Sie picken sich die Leute raus, die sie wollen, und die anderen bleiben in Traiskirchen sitzen. So kann das nicht funktionieren.

Die Furche: Was, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern? Wenn jeden Tag neue Jugendliche in Traiskirchen ankommen, aber kaum welche in die Bundesländer überstellt werden, wird es bald voll sein.

Riedl: Dann wird es Zeit, sich die Situation einmal von der rechtlichen Seite anzuschauen. Ein Jugendlicher hat Anspruch auf einen Platz.

Die Furche: Wer sollte dieses Recht einfordern?

Riedl: Die Jugendlichen. Das Jugendwohlfahrtsgesetz und das Recht auf dem Kindeswohl entsprechende Betreuung kennen keine Nationalität. Aber da gibt es ein Problem: Wer ist ihre gesetzliche Vertretung? Das wären die Jugendämter, die zuständig sind, wenn man einen Obsorgeantrag stellt. Aber ob die das Recht der Jugendlichen durchsetzen gegen die Interessen der Länder, denen sie unterstellt sind, ist ein großes Fragezeichen. Diese Situation ist in Österreich stark missglückt. Wir müssen uns als Gesellschaft fragen: Wird diese Situation unserem Sozialstaat gerecht? Wie behandeln wir diese Jugendlichen? Was sie erleben, bevor sie zu uns kommen, ist vielfach unbeschreiblich. Wir müssen davon ausgehen, dass sie monatelang in Griechenland festgesessen sind. Dort gibt es Progrome gegen Asylwerber. Dort werden Asylwerber auf der Straße erschlagen, und die Polizei schaut zu. Es ist die Verantwortung der reichen Aufnahmestaaten, ein Angebot zu schaffen, damit das, was geschehen ist, rasch kompensiert wird. Und damit diese Kinder doch noch eine Zukunft haben. (dol)

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