Die Arbeit von MORGEN

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Die Automatisierung hat unsere Arbeitswelt massiv verändert -und wird sie weiter revolutionieren. Wird der Mensch irgendwann überflüssig?

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Die Automatisierung hat unsere Arbeitswelt massiv verändert -und wird sie weiter revolutionieren. Wird der Mensch irgendwann überflüssig?

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Vor 300 Jahren ging die erste Dampfmaschine in Betrieb. Sie veränderte die Welt wie keine andere Errungenschaft zuvor. Mit der ersten industriellen Revolution ging eine beispiellose politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Umwälzung einher. Über Jahrhunderte hatte sich das Leben wie ein zäher, ruhiger Fluss bewegt. Bis ins 18. Jahrhundert lebten 80 Prozent der Europäer auf dem Land und arbeiteten als Bauern. Die Natur bestimmte den Rhythmus ihrer Arbeit. Doch fortan verlagerte sich die Arbeit in Fabrikhallen, Stechuhren und Maschinen diktierten den Tagesablauf. In einem Vorort von Detroit ließ Henry Ford ein Auto bauen, so billig, dass es sich jeder leisten konnte. Von den USA aus trat die zweite industrielle Revolution ihren Siegeszug an, deren Symbol das Fließband wurde.

Mit dem Internet beginnt schließlich das, was in den Geschichtsbüchern schon jetzt als "dritte industrielle Revolution" apostrophiert wird: eine volkswirtschaftliche Wertschöpfung, die immer mehr auf Informationen basiert und nicht an Orte gebunden ist. Die Frage ist, wie diese Industrie 4.0, in der Computer und Algorithmen Aufgaben erledigen, unsere Gesellschaft - und auch unser Verständnis von Arbeit - verändern wird. Denn der Automatisierungsprozess schreitet unaufhaltsam voran: Selbstfahrende Autos könnten bald durch die Städte fahren, 3D-Drucker ganze Häuser produzieren, Roboter Sprachen lehren. Braucht man da noch Taxifahrer, Bauarbeiter und Lehrer?

Angst vor sozialen Verwerfungen

Das Pew Reserach Center, ein USamerikanischer Think Tank, hat zu dieser Frage eine interessante Studie publiziert (Digital Life in 2025: AI, Robotics and the Future of Jobs). Über 2000 Experten wurden interviewt, darunter namhafte Entwickler von Google, Professoren und Schriftsteller. Entstanden ist ein umfangreicher Bericht, der einen spannenden Einblick in die Arbeitswelt von morgen gibt.

Dass Roboter und künstliche Intelligenz unseren Alltag verändern werden, daran besteht für die Experten kein Zweifel. Ob die Folgen dieser Industrie 4.0 für uns aber eher positiv oder negativ sind, darüber sind die Meinungen unterschiedlich. 48 Prozent der Befragten befürchten, dass Roboter und digitale Agenten dem Menschen die Arbeit wegnehmen werden, was zu erheblichen sozialen Verwerfungen führen werde. 52 Prozent hingegen glauben, dass die digitale Technologie nicht mehr Jobs vernichtet als neue schafft. Das Silicon Valley ist also zwischen Techno-Optimisten und -Pessimisten gespalten - was an sich schon verblüffend ist, weil Optimismus die DNA der USA prägt und die positive "Can-do-Mentalität" das Silicon Valley ganz besonders.

Kreative und kurative Tätigkeiten

Hal Varian, Chefökonom bei Google, ist jedenfalls Optimist. Er gehört zu jenen, die der Ansicht sind, dass Maschinen den Menschen die Arbeit erleichtern, aber nicht wegnehmen "Wie unglücklich sind Sie, dass das Spülwasser ihre Waschbretter von Hand ersetzt hat, Ihre Waschmaschine das Kleiderwaschen oder der Staubsauger die Handreinigung?" schreibt er. "Ich denke, dass diese Verlagerung von Arbeitsplätzen sehr willkommen war, so wie es die in den nächsten zehn Jahren auftretende Arbeitsplatzverlagerung auch sein wird. Es ist eine gute Sache. Jeder will mehr Jobs und weniger Arbeit." Tatsächlich sind im Lauf der Geschichte - gemäß der Schumpeter'schen "schöpferischen Zerstörung" - immer wieder alte Berufe ausgestorben und neue entstanden. Den Büttner von einst gibt es nicht mehr, den Stellmacher ebenso wenig, und die Welt existiert trotzdem weiter. Der (post)industriellen Gesellschaft geht es, das belegen sozioökonomische Daten, materiell besser denn je - auch dank des technischen Fortschritts.

Entsprechend zuversichtlich blickt auch J. P. Rangaswami, Chefwissenschaftler bei salesforce.com, in die Zukunft: "Einige Jobkategorien werden den 'Immigranten' von Robotern und künstlicher Intelligenz überantwortet, aber mehr werden in kreativen und kurativen Aktivitäten entstehen." Die Produktivität steige, man könne Maschinen als Billigarbeiter einsetzen. Die Idealvorstellung sei mehr Freizeit und weniger Arbeit.

Genau dies prophezeit auch Jay Cross von der Internet Time Group. Was Arbeit ist, wird dabei freilich ganz neu definiert: Einst stand Arbeit für Überleben, dann für Besserleben - und schließlich für ein erfülltes Leben. In der Digitalökonomie kommt es dabei freilich zu einem Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit: Wir erhalten E-Mails nach Feierabend, müssen bisweilen im Urlaub geschäftliche Fragen beantworten. Arbeit, so die eindeutige Tendenz, wird entgrenzt.

Glaubt man Robert Cannon, Experte für Internetrecht, dann wird sie im bisher verstandenen Sinn sogar verschwinden - mit unabsehbaren Folgen: "Zu Zeiten der Industriellen Revolution, obgleich Adam Smith hier widersprechen würde, gründete unsere Wirtschaft hauptsächlich auf Arbeit. Wo es Arbeit gab, waren die Menschen die besten 'Maschinen'. In Zukunft wird die Grundlage unserer Wirtschaft - Arbeit - verschwunden sein. Der Mensch wird nicht die beste 'Maschine' sein, diese Arbeit zu verrichten. Was bleibt übrig? Kapital (Besitztum) und Kreativität (menschliche Unterstützung), und vielleicht Wettbewerb. Es wird eine massive Verdrängung der Mittelklasse geben. Es wird die besitzständische Klasse geben und die Armenklasse, die unterhalb der Schwelle arbeitet, die ökonomisch den Einsatz der Automatisierung rechtfertigt." Es kommt also zu einem race to the bottom zwischen Mensch und Maschine.

Einige Experten befürchten, dass die Automatisierung der Gesellschaft die Interaktionsmuster verändern könnte - mit mehr Isolation und weniger Mensch-zu-Mensch-Kontakt. Man denke nur an Flughafenlounges: Jeder sitzt kommentarlos vor seinem Smartphone oder Tablet, versunken in seiner eigenen, virtuellen Welt.

Google-Chefökonom Hal Varian schreckt das - natürlich - kaum: "Viele Interaktionen werden verbal sein, es wird wie eine Star-Trek-Computer-Interaktion sein. [...] Wir sind auf dem Weg zu einem universalen Zugang zu allem menschlichen Wissen über das weltweite Netzwerk von mobilen Geräten und Rechenzentren. Eine Industrie, die davon massiv betroffen sein wird, ist Bildung: Warum sollen Menschen unterrichtet werden, wenn sie das gesamte menschliche Wissen jederzeit selbst erschließen können?" Lehrerinnen und Lehrer braucht es da natürlich nicht mehr. Bildung, der Rohstoff der Arbeit, wird zu einem Individualgut. Und Google der Mentor.

Mensch füttert Maschinen

Für viele ein Horrorszenario. Doch schon längst tüftelt Google an maschinellem Lernen. Das Ziel: Maschinen sollen sich selbst weiterbilden. Andrew Ng, Gründer des "Google Brain Project", hat etwa einen Supercomputer bestehend aus 16.000 Prozessoren entwickelt, der sich das Konzept einer Katze anhand von Youtube-Videos selbst beibrachte. Und IBMs Supercomputer Watson, der einen Mensch bei der Quizshow "Jeopardy" schlug, entwickelt eigenständig medizinische Diagnosen. Schon demnächst wird er bei Krebstherapien eingesetzt.

Und das Fazit, das sich aus den verschiedenen Meinungsbildern herausdestillieren lässt? Maschinen können Arbeit zwar effektiver und billiger verrichten, aber der Mensch wird ihnen wohl auch in Zukunft in Sachen Kognition und Sprache überlegen sein. Es wird also weiter Menschen brauchen, die Maschinen mit Algorithmen füttern. Zumindest in dieser Hinsicht ist der Mensch unersetzlich.

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