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Die Asylierung von psychisch Kranken

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Psychiater schätzen,. daß über 400.000 Menschen in Österreich in irgendeiner Form eine psychiatrische Betreuung brauchen, aber sie und ihre Familien erhalten nicht die nötige Unterstützung, ja sie werden sogar von der Gesellschaft ausgegrenzt. Für eine menschenwürdigere, gleichberechtigte Behandlung dieser Menschen und ihrer Angehörigen kämpft der Verein Hilfe für die Angehörigen Psychisch Erkrankter (IIPE). Der Verein wurde 1978 von Eltern, Ehepartnern und Angehörigen von psychisch Erkrankten gegründet, die als Anwälte für jene wirken wollen, die sich nicht selbst vertreten können. Durch Aussprachen und Kontakte wollen sie sich aber auch selbst bei der Bewältigung ihrer Probleme helfen.

Einen grundlegenden Gesinnungswandel und die Verwirklichung der Psychiatriereform, die zwar eine bessere Betreuung in- und außerhalb der Krankenanstalten vorsieht, aber vielfach nicht durchgeführt wird, fordert der Vorsitzende des Vereins, Kurt Kirszen. „Da die Psychiatriereform weitgehend ohne die notwendigen Behandlungs- und Rehabilitationseinrichtungen geblieben ist, hat sich die Lage der Familien oft noch drastisch verschlechtert", beschreibt Kirszen die Situation.

Die Zurücksetzung psychisch Kranker gegenüber anderen Patienten ist allein schon an den wesentlich niedrigeren Tagsätzen an psychiatrischen Anstalten als bei anderen Spitälern zu erkennen, oder an den unzureichenden Rehabilitationseinrichtungen. Besonders schwer belastet Patienten und Angehörige aber die sogenannte Asylierung. Das bedeutet, daß psychisch Kranke bereits nach einigen Wochen Spitalsaufenthalt oder wiederholter Spitalseinweisung aus der Krankenversicherung ausgeschieden werden können.

Das schicksalschwere Urteil „Pfle-gefall" wird teilweise von Ärzten ausgesprochen, die keine entsprechende Fachausbildung haben. Die Kosten eines Spitalsaufenthaltes müssen dann vom Patienten selbst, oder, wenn er dazu nicht in der Lage ist, aus dem Sozialbudget des jeweiligen Bundeslandes gezahlt werden und in den meisten Fällen werden die Beitragsleistungen sehr herabgesetzt. Es bleibt für diese, als „unheilbar" abgestempelten Patienten nur mehr das Pflegeheim oder die Familie.

„Dadurch kommt es zu einer ungeheuren Belastung der betroffenen Angehörigen, finanzielle Opfer, zusätzliche Arbeit und vor allem ein großer Leidensdruck", weiß die Leiterin einer Selbsthilfegruppe, Brigitte Fragner, zu berichten. Eine Studie des Ludwig Boltzmann Instituts für Sozialpsychiatrie unter Leitung von Heinz Katschnig hat ergeben, daß Familienangehörige von psychisch Kranken zu 80 Prozent an psychosomatischen Beschwerden wie Schlafstörungen, Erschöpfung und Depressionen leiden. Der Bestand der Familie ist bei 70 Prozent der Betroffenen gefährdet. Maria D. Simon, Mitarbeiterin der Studie: „Zurück bleibt die Mutter im älteren Lebensabschnitt. Ihre brennendste Sorge ist, was mit ihrem Kind geschieht, wenn sie es nicht mehr betreuen kann."

Als sehr erschwerend finden die Angehörigen, daß sie zu wenig Information über mögliche Therapien und den Krankheitsverlauf erhalten. Hilfreich hingegen erachten sie den Kontakt mit anderen Betroffenen und fachkundige Beratung. Dort liegt ein Schwerpunkt der Arbeit des Vereins HPE, der mit seinen Mitarbeitern auch Einzelberatungen durchführt. „Das wichtigste'Ziel aber", so Präsident Kirszen, „ist der Wandel in der gesellschaftlichen Einstellung diesen Menschen gegenüber."

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