Die Asylwürfel sind gefallen

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Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) hat ein Würfelspiel entwickelt, welches das österreichische Asylgesetz widerspiegelt. Asyl ist jedoch ein ernstes Thema. Ist es überhaupt legitim, Flüchtlingsfragen spielerisch zu behandeln?

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Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) hat ein Würfelspiel entwickelt, welches das österreichische Asylgesetz widerspiegelt. Asyl ist jedoch ein ernstes Thema. Ist es überhaupt legitim, Flüchtlingsfragen spielerisch zu behandeln?

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Spiele sind eine besondere Form der Kommunikation. Sie nehmen einen gefangen und schaffen eine neue Realität. Wer von uns hat sich nicht schon bei "Mensch ärgere dich nicht" über die Würfel geärgert, wer war nicht frustriert, der beim DKT bankrott ging oder hat sich, ganz Kapitalist, über einen Profit auf Kosten der Konkurrenz gefreut? Jeder weiß, daß es nur ein Spiel ist. Und dennoch emotionalisiert es. Diese Eigenschaft des Spiels hat sich das UNHCR zunutze gemacht und ein Würfelspiel entwickelt, das die verschiedenen Phasen von Asylverfahren in Österreich nachempfindet. Wie im richtigen Leben gibt es da die allerlei Instanzen und Verfahren, selbst die Schubhaft darf nicht fehlen.

Verschiedenfarbige Spielabschnitte symbolisieren die verschiedenen Verfahren, vom Schnellverfahren über das eigentliche Asylverfahren bis hin zu den Höchstgerichten. Die Mitspieler können wählen, wo sie um Asyl ansuchen: in der österreichischen Botschaft im Ausland, am Grenzübergang, am Flughafen, beim Bundesasylamt oder nach einer Anhaltung durch Kontrollorgane. Die "Asylwerber" würfeln sich durch das Verfahren. Die Behörden-entscheidungen werden bezeichnenderweise durch Kristallkugeln symbolisiert. Das Würfelglück entscheidet. Unterwegs tauchen Überraschungen auf. Beispielsweise verlangt die Behörde neue Beweise, es fehlt ein Dolmetscher, Folterspuren werden vom Gutachter nicht erkannt. Viele Schwierigkeiten und einige positive Wendungen bestimmen den Spielverlauf.

Höhere Asylchancen Das gesamte Spiel nimmt Anleihe an der realen Situation. Nur in zwei entscheidenden Punkten weicht es von der Wirklichkeit ab: Die "Anerkennungsquote", also die Chance, auf Asyl ist weitaus höher als im Leben, und es ist im Gegensatz zum richtigen Asylverfahren vergnüglich. Hier erhebt sich die Frage der Zulässigkeit. Darf aus Asylernst ein Asylspiel werden?

Die Antwort ist Ja. Seit Jahren hat es sich UNHCR zur Aufgabe gemacht, die Menschen in den Aufnahmeländern für Flüchtlingsfragen zu sensibilisieren. Mit klassischen Methoden erreicht man oft nur diejenigen, die ohnehin Interesse am Thema haben. Man predigt zu den Bekehrten.

Vorurteile entstehen auf der Gefühlsebene. Daher genügt es nicht, bloß zu informieren und an den Intellekt zu appellieren. Einstellungsänderungen kann man nur über die Emotion herbeiführen. Doch der erhobene, moralisierende Zeigefinger bringt uns nicht weiter; er löst Ablehnung und Abwehr aus. Es bedarf einer positiven Grundstimmung, damit Menschen sich öffnen und Stereotype erschüttert werden. Daher hat UNHCR diesen spielerischen Zugang zu einem ernsten Thema gewählt. Wer das Asylspiel spielt, findet sich unversehens in der Rolle des Asylwerbers wieder. Er bangt vor Behördenentscheidungen und kann plötzlich die Gefühle der Betroffenen verstehen: die Angst, die Hoffnung, die Wut und die Erleichterung.

UNHCR hat das Spiel dieser Tage an einem beziehungsvollen Ort vorgestellt: im Wiener Schottenstift. Der Babenberger Erzherzog Leopold V. gewährte diesem Kloster im Jahre 1181 das Asylrecht. An der Schottenkirche befand sich ein eiserner Ring. Wer vor der Polizei oder vor Gläubigern verfolgt wurde, war "frey", sobald er ihn berührte. Seither heißt der Platz vor der Kirche Freyung. Bis heute kennen Wiener Kinder beim Fangenspielen das "Leo", also einen Ort, wo man vor Häschern sicher ist. Der Wiener Volksmund hat damit dem Asylrecht und Leopold V. ein Denkmal gesetzt.

Das Institut des Asyls hat eine lange Tradition in Österreich, und gerade die Zweite Republik hat sich in diesem Bereich verdient gemacht. Das derzeit geltende österreichische Asylgesetz, das dem Asylspiel zugrundeliegt, ist so schlecht nicht. Doch die Qualität eines Gesetzes bemißt sich weniger am Buchstaben als an der Vollziehung. Erst hier zeigt sich der Geist, der ein Gesetz erfüllt.

Mit Besorgnis registrierte UNHCR in den letzten Jahren eine Entwicklung in ganz Europa. Asylwerber werden nicht mehr als Personen gesehen, die unseren Schutz brauchen, sondern als potentielle Betrüger. Man geht davon aus, daß sie "Scheinasylanten" sind und das Asylverfahren nur dazu diene, ihnen das nachzuweisen. Gegen diesen Geist müssen wir ankämpfen, den in letzter Konsequenz ist er menschenverachtend. Dieses Spiel soll mithelfen, die Situation des Asylwerbers besser zu verstehen.

Daß die Beamten in den einschlägigen Behörden nun verpflichtet werden sollen, regelmäßig das Asylspiel zu spielen, ist allerdings nur ein Gerücht ...

Der Autor war die letzten drei Jahre lang UNHCR-Vertreter für Zentraleuropa mit Sitz in Wien. Ende Juli tritt er seine neue Stelle als Leiter der UNHCR-Mission in Sarajevo an.

Bestellung Das Asylspiel ist für Spieler ab zwölf Jahren geeignet und kann direkt beim UNO-Flüchtlingshochkommissariat gegen eine Spende bezogen werden. Die Spenden kommen der Flüchtlingsarbeit des UNHCR zugute.

Faxbestellungen: 01/263 37 48

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