Die "Atypischen" auf dem Arbeitsmarkt

19451960198020002020

Neue Formen der Beschäftigung prägen zunehmend den Arbeitsmarkt. Ausmaß und Richtung der Veränderung verlangen nach einer Neuausrichtung des Sozialsystems.

19451960198020002020

Neue Formen der Beschäftigung prägen zunehmend den Arbeitsmarkt. Ausmaß und Richtung der Veränderung verlangen nach einer Neuausrichtung des Sozialsystems.

Werbung
Werbung
Werbung

Atypische Beschäftigung im europäischen Vergleich ist das Thema des jüngsten Buches des Wiener Politikwissenschafters Emmerich Talos. Die Zahl der neuen Beschäftigungsverhältnisse nahm in den letzten zehn Jahren in sämtlichen Mitgliedstaaten der EU rasant zu. Wie der Wissenschafter festhält, ist auch nicht mit einer Trendumkehr zu rechnen, vielmehr handelt es sich um eine dauerhafte, strukturelle Veränderung des Arbeitsmarktes. Das bedeutet nicht, daß das Normalarbeitsverhältnis gänzlich verschwinden wird. Es wird aber einen festen Anteil von atypischen Arbeitsverhältnissen neben den Normalarbeitsverhältnissen am Arbeitsmarkt geben.

"Atypische Beschäftigung" selbst ist wiederum ein Sammelbegriff für die unterschiedlichsten Formen der Erwerbstätigkeit. Aufgrund der Vielzahl der Gestaltungsformen von Arbeitsverhältnissen ist eine Definition der atypischen Beschäftigungsformen nur über ihre einzige Gemeinsamkeit möglich - der Abweichung von dem typischen "Normalarbeitsverhältnis". Leiharbeit, Teilzeitarbeit, geringfügiger oder befristeter Beschäftigung, Teleworking und neuer Selbständigkeit ist gemeinsam, daß sie hinsichtlich der Arbeitszeit, dem Arbeitsausmaß oder dem Arbeitsort von dem bislang als typisch angesehenen Arbeitsverhältnis abweichen.

Nordländer führen Die Studie "Atypische Beschäftigung. Internationale Trends und sozialstaatliche Regelungen" erhebt zuerst eine Reihe von Daten und Trends, um daraus in einem zweiten Schritt Handlungsoptionen abzuleiten. So zeigt die Studie, daß der Anteil von "Atypischen" am Arbeitsmarkt in den untersuchten Ländern (Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Slowenien und USA) im Moment zwar unterschiedlich groß ist. Die skandinavischen Länder und die Niederlande haben fast bei allen Erscheinungsformen der atypischen Beschäftigung sehr hohe Anteile in ihren Arbeitsmärkten zu verzeichnen, die romanischen Länder (Spanien, Portugal, Italien) wiesen demgegenüber niedrige Raten an Atypischen auf. Österreich steht mit seinen Arbeitsmarktwerten etwa in der Mitte der europäischen Skala. Die Veränderungen und Ausrichtungen verlaufen aber in den untersuchten Staaten parallel: atypische Beschäftigung ist überall im Vormarsch.

Europaweit sind vor allem Frauen von atypischen Beschäftigungsformen betroffen. Die Veränderung geht so weit, daß die atypische Form für die Frauen in manchen Bereichen mittlerweile zur typischen geworden ist (in den Niederlanden sind zwei Drittel aller berufstätigen Frauen teilzeitbeschäftigt). Die Gründe dürften vor allem im traditionellen Rollenbild gelegen sein, wonach Frauen nach wie vor für die Führung des Haushaltes und die Erziehung der Kinder hauptverantwortlich sind. Auch dienen atypische Formen der Berufstätigkeit wie geringfügige Beschäftigung und Teilzeitarbeit als Überbrückungsformen zum Beispiel nach Schwangerschaften. Talos konstatiert aber durch die Frauenarbeit kaum eine ökonomische Emanzipation der Frauen - nicht zuletzt weil die Einkommen aus atypischer Beschäftigung niedriger sind als bei Vollerwerbstätigkeit. Der Wissenschafter nennt als weitere Charakteristika atypischer Beschäftigungsformen die geringen Aufstiegschancen und eine hohes Ausmaß an Flexibilität.

Die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt stellen neue Anforderungen an das Arbeits- und Sozialrecht und damit an die Politik in diesen Bereichen. So wurde beispielsweise bereits die Anwendbarkeit mancher arbeitsrechtlicher Bestimmungen auch auf Teilzeitbeschäftigte ausgeweitet, zur Regelung der Leiharbeit wurde ein eigenes Gesetz geschaffen. In anderen Bereichen fehlt die gesetzliche Anpassung: die Abgeltung von Mehrleistung von Teilzeitbeschäftigten ist zum Beispiel im Gesetz nicht geregelt. Nicht einheitlich ist bislang auch die Behandlung von atypischen Beschäftigungsverhältnissen in Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen. Dementsprechend ist eine Forderung des Autors die prinzipielle Gleichstellung von typischen und atypischen Arbeitnehmern auf allen normativen Ebenen.

Atypische Beschäftigungsformen müssen weiters als Instrument der Familienpolitik in Betracht gezogen werden: Teilzeitarbeit in Kombination mit Teilkarenz, wie es im Moment als auszuhandelnde Möglichkeit im Elternkarenzurlaubsgesetz vorgesehen ist, muß zum Beispiel als Rechtsanspruch formuliert werden. Talos sieht als notwendige Maßnahme hier die gesetzliche Begründung eines Rechtsanspruchs auf Rückkehr zur Vollzeitarbeit nach der Karenzzeit.

Soziale Absicherung Wie der Abgeordnete der Grünen, Karl Öllinger, anläßlich der Buchpräsentation feststellte, ist aber neben der Arbeitspolitik vor allem die Sozialpolitik durch die neuen Beschäftigungsformen gefordert. Das System der Sozialversicherung geht von einem Normalarbeitsverhältnis aus. Eine Anwendung auf atypische Formen der Erwerbstätigkeit ist ursprünglich nicht vorgesehen. Daraus folgt eine großteils unzureichende soziale Absicherung der atypischen Beschäftigten. Mit der Zunahme von geringfügiger Beschäftigung und Teilzeitarbeit, aber auch von Leiharbeit mit einem geringen garantierten Mindestlohn, steigt die Zahl der armutsgefährdeten Personen in Österreich. Professor Talos formulierte in diesem Sinn, daß es weniger eine Frage des Ausmaßes und der Form der Arbeit ist, sondern mehr eine Frage der Qualität der sozialen Sicherung, die den Arbeitnehmern in atypischen Beschäftigungsverhältnissen gewährt wird. Er plädiert für eine Ergänzung des bestehenden Sozialsystems durch Schutzbestimmungen für die in atypischen Beschäftigungsverhältnissen erwerbstätigen Personen. Wegen der Veränderung des Arbeitsmarktes könnte aber auch eine Neuausrichtung des Gesamtsystems der Sozialversicherung bedacht werden, alternative Sicherungsmodelle wie das einer Grundsicherung oder eines Grundeinkommens sind hier einzubringen.

Atypische Beschäftigung wird in Zukunft Teil der Arbeitswelt sein. Diesen Teil so zu gestalten, daß keine Ausgrenzung oder Fixierung der Arbeitnehmer am Rand des Arbeitsmarktes erfolgt, daß zugleich gerade atypische Formen wie Teilzeitarbeit aber auch eine reizvolle und gesellschaftlich anerkannte Alternative der Erwerbsarbeit darstellen, ist Aufgabe der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der nächsten Zeit. Auch wenn bereits erste Schritte in diese Richtung unternommen wurden, sind noch eine Reihe von Maßnahmen notwendig, ein Ausruhen auf den Lorbeeren von bereits geschaffenen Regelungen darf nicht erfolgen.

Der Autor ist Assistent am Institut für Ethik und Sozialwissenschaften, Universität Wien.

Buchtip Atypische Beschäftigung: Internationale Trends und sozialstaatlicheRegelungen.

Von Emmerich Talos (Hrsg.) Manz Verlag, Wien 1999. 478 Seiten, öS480,-/e 34,88,

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung