Die Brücke der Volkswirtschaft

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Welche Verantwortung für die gesellschaftliche Entwicklung hat die Wirtschaft? Über diese Frage diskutierten der Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), Markus Beyrer, und Caritas-Direktor Michael Landau.

Die Furche: Herr Beyrer, von dem Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman gibt es den Satz "Business of business is business", also etwa "Der Zweck des Geschäfts ist das Geschäft." Ist es tatsächlich die einzige Aufgabe der Wirtschaft, Gewinne zu machen?

Markus Beyrer: Wirtschaft muss darauf ausgelegt sein, Gewinne zu machen, weil diese letztlich andere Dinge tragen. Aber es gibt starke Wechselwirkungen mit der Gesamtgesellschaft. Es gibt eine Verantwortung der Wirtschaft für die Gesellschaft.

Michael Landau: Ich bin überzeugt, dass Österreich eine gesunde, starke und leistungsfähige Wirtschaft braucht. Aber es gibt ja auch gute ökonomische Gründe dafür, für sozialen Frieden und Gerechtigkeit zu sorgen. Die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft und die Qualität der sozialen Sicherung in einem Land sind zwei Pfeiler einer Brücke - beide sind nötig.

Beyrer: Das sehe ich schon auch so. Nur muss man schauen, dass diese Brücke auch tragfähig bleibt, und eine wettbewerbsfähige Wirtschaft ist die Voraussetzung dafür. Wichtig ist, dass das gesellschaftliche Engagement freiwillig bleibt, wie wir es im Rahmen unserer Corporate Social Responsibility-Initiative (csr, gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen, Anm.) auch immer fordern. Das passt sicher auch zur christlichen Soziallehre, dass ein Eingriff von außen nur dann sinnvoll ist, wenn eine bestimmte Ebene das Ganze nicht tragen kann. Die Wirtschaft ist durchaus in der Lage, die Verantwortung für die Gesellschaft aus sich selbst heraus zu übernehmen.

Landau: Aber es ist doch illusorisch anzunehmen, dass alle Unternehmen zu jeder Zeit verantwortlich handeln. Die Wirtschaft leistet mit ihren Bemühungen um csr einen wichtigen Beitrag, aber es geht darum, im Diskurs mit den Unternehmen strukturelle und globale Regelungen und einforderbare Standards sicherzustellen. Denken Sie an die Arbeitnehmerrechte: Es begann damit, dass im 19. Jahrhundert gute Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern Rechte zugestanden haben. Aber es war wichtig, dass diese Rechte nicht dem Gutdünken der Arbeitgeber überlassen worden sind, sondern verbindlich gemacht wurden, sodass heute Sicherheit und klare Standards sichergestellt sind. Es geht auch darum, die Grenzen der Freiwilligkeit zu sehen.

Beyrer: Man kann die Situation heute nicht mit dem 19. Jahrhundert vergleichen. Damals gab es ja keine Sozialgesetzgebung. Heute sind wir mit Reglementierungen gerade in Österreich schon sehr weit gegangen. Wenn man in einem relativ stark reglementierten Umfeld etwas zusätzlich freiwillig tut, dann ist es der falsche Weg, das dann in verbindliche Standards überzuführen. Diese Aussicht fördert wohl kaum die Bereitschaft der Wirtschaft zu freiwilligem Engagement.

Landau: Werden nicht in engen Zeiten genau die ökologischen und sozialen Aspekte als erstes über Bord gehen, wenn sie nicht durch rechtliche Regelungen allwettertauglich gemacht wurden?

Beyrer: Über Bord gehen - das ist die Frage. Aber Reglementierungen sind ja auch eine Frage der globalen Wettbewerbsfähigkeit. Zur Finanzierung des Sozialsystems ist Wettbewerbsfähigkeit essenziell.

Die Furche: Wie weit dürfen Abstriche bei den Arbeitnehmern oder bei der sozialen Sicherung gehen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern? Etwa bei der Arbeitszeitflexibilisierung oder der Senkung der Körperschaftssteuer (KöSt), die weniger Geld für das Sozialsystem bedeutet.

Beyrer: Die Senkung der KöSt war eine absolute Notwendigkeit, um die Unternehmen hier zu halten. Der Verzicht auf die Senkung hätte viele Jobs gekostet. Ähnlich ist es mit der Arbeitszeitflexibilisierung. Wir setzen damit in einem Bereich an, in dem wir zusätzliche Wettbewerbsfähigkeit schaffen können, um den Standort und damit Beschäftigung zu sichern. Kein Mensch will auf die Lohnkosten der Chinesen oder auch nur der Ukrainer kommen. Wir gewinnen den Standortwettbewerb auf einer ganz anderen Ebene: Bildung, Forschung, Innovation, Infrastruktur. Aber gar nichts zu machen, nur weil woanders die Lohnkosten so gering sind, dass wir sie ohnehin nie erreichen werden, das wäre fatal. Man muss überall die Chancen nützen und an vielen kleinen Schrauben drehen, um wettbewerbsfähig zu sein.

Landau: Die Daten sprechen eine andere Sprache: Es geht uns nicht nur gut - wir sind das siebtreichste Land der Welt -, es geht uns sogar zunehmend besser. Die Gewinne sind in den vergangenen Jahren doppelt so rasch gewachsen wie die Löhne und Gehälter. Darin zeigt sich, dass diejenigen, die schon wohlhabend sind, deutlich rascher noch wohlhabender werden. Das bringt auch Verantwortung mit sich. Die Diskussion in Österreich leidet daran, dass suggeriert wird, es gehe uns immer schlechter; wenn wir den Gürtel nicht wirklich enger schnallen, dann stehen wir eines Tages im letzten Hemd da.

Beyrer: Man muss das aber auch dynamisch betrachten: Es geht uns gut, aber wenn wir übersehen, dass wir mit der Wettbewerbsfähigkeit derzeit ein Problem haben, und zwar in ganz Europa, wird das massive Auswirkungen darauf haben, wie es uns in zehn Jahren geht.

Landau: Was wir derzeit sehen, ist einerseits, dass unser Reichtum ständig wächst, dass aber auch die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Wir bei der Caritas sind ja auch so etwas wie ein sozialer Brandmelder, und wir stellen fest, dass der Druck auf jene, die am Rand stehen, zur Zeit deutlich steigt. Als eines der reichsten Länder der Welt ist es möglich, sich den Menschen zuzuwenden, denen es bei uns nicht so gut geht. Da muss die Frage gestellt werden: Wo und wie wird die Sozialpflichtigkeit von Eigentum heute konkret? Was heißt es, dass unterschiedliche Arten von Einkommen sehr unterschiedlich behandelt werden, wenn etwa Erwerbseinkommen progressiv besteuert werden, Einkommen aus Kapitalvermögen aber nicht? Was es einzumahnen gilt ist, dass alle Einkommen einen Beitrag zum Solidarsystem leisten müssen. Es ist nicht so sehr die Frage, was wir uns leisten können, sondern was wir uns leisten wollen.

Die Furche: Was sollten wir uns leisten?

Landau: Es stehen einige konkrete Dinge an: Eine Harmonisierung im Bereich der Sozialhilfe und die Sicherung von Mindeststandards. Niemand soll finanziell unter eine gewisse Grenze fallen. Dann die Einbindung der Sozialhilfeempfänger in die Krankenversicherung. Drittens geht es um den Ausbau eines erweiterten Arbeitsmarktes, da es einen deutlichen Zusammenhang gibt zwischen Arbeitslosigkeit und Armut. Und dann gehört die Grundsicherung diskutiert, da gibt es durchgerechnete Modelle, über die man reden muss.

Beyrer: Es ist die Frage, wie verteile ich das, was erwirtschaftet wird, am besten und wie sorge ich dafür, dass auch die Schwächsten der Gesellschaft adäquat beteiligt werden. Im Übrigen kommt es auch auf eine positive Bewertung der Leistung an. Das muss in Balance bleiben. Wenn Sie sagen, gewisse Zahlen lassen Sie als Brandmelder aktiv werden, dann nehme ich das sehr ernst. Aber wenn man sich Umverteilungsniveaus anschaut, die wir in unserer Gesellschaft auch schon gehabt haben, ist das leistungsfeindlich und führt unter dem Strich eher dazu, dass es weniger zu verteilen gibt. Die andere Frage ist aber, wie man das überhaupt optimal erwirtschaftet, was am Schluss zu verteilen ist. Da bin ich wieder beim Markt. In der Enzyklika Centesimus Annus von Papst Johannes Paul ii. ist das alles drin. Da gibt es ein Bekenntnis zur Marktwirtschaft als wirksamstes Instrument der Verwendung von Ressourcen und besten Befriedigung der Bedürfnisse. Es gibt auch Kritik an einem überbordenden Wohlfahrtsstaat im Sinne der Subsidiarität.

Landau: Ich bin überzeugt, dass soziale Gerechtigkeit nicht automatisch das Ergebnis des Marktes ist, sondern der Markt der gesellschaftlichen, der politischen Einbindung bedarf, also eines Rahmens.

Beyrer: Da stellt sich aber die Frage, wie weit man auf nationaler Ebene gestaltet? Markt ist vom Grundsatz her das beste Mittel der Allokation, dafür muss es natürlich Regeln geben, da bin ich Ihrer Meinung. Aber die können nur international funktionieren, und es ist die Frage, wie man zu denen kommt. Als einzelnes Land mit gutem Beispiel voranzugehen, hat Grenzen, wo man dann an Wettbewerbsfähigkeit verliert. Sinn macht das nur auf zumindest europäischer Ebene. Denn wir stoßen in vielen Bereichen an die Grenze der Fairness.

Landau: Genau darum geht es - die Grenzen der Fairness neu zu ziehen und zu präzisieren. Die einfachen Rezepte gibt es ja nicht. Aber was mir Sorge macht ist, dass zurzeit soziale und ökologische Themen im toten Winkel politischer Aufmerksamkeit liegen. Das Thema soziale Gerechtigkeit ist zu einer ideenfreien Zone geworden. Ich würde mir wünschen, dass es gelingt, die Fragen der sozialen Gerechtigkeit in Österreich und Europa neu zu buchstabieren. Ich bin mit Ihnen der Überzeugung, vieles wird internationale Regeln brauchen, aber ich sehe auch gerade die eu-Ratspräsidentschaft als Möglichkeit, dass Österreich dieses sozial verträgliche Handeln auf die Agenda setzt.

Die Furche: Herr Landau, wohin soll der Dialog zwischen Kirche und Wirtschaft führen?

Landau: Es ist immer wieder der Dialog zu führen über das Thema der Orientierung, über Fragen der Werthaltungen. Wir müssen wissen, welches Bild vom Menschen wir haben und wie wir leben wollen. Die Kirche daran zu erinnern, dass der Mensch mehr ist als Konsument und Produzent, mehr als ein homo oeconomicus. Ohne einen Sinn, der tiefer reicht als die Ordnung des Ökonomischen, geht der Mensch zugrunde.

Das Gespräch moderierte

Claudia Feiertag

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