Die Bürger nehmen Europa nicht ernst - eine Wahlmisere

Werbung
Werbung
Werbung

In Österreich herrscht gähnende EU-Wahlmüdigkeit. Selbst mit Politischer Bildung, in der das Land international eine theoretische Vorreiterrolle einnimmt, ist dem EU-Desinteresse nicht beizukommen. Eine Analyse.

Die EU-Wahlbeteiligung ist weiter gesunken und europaweit mit 43 Prozent an einem historischen Tiefpunkt angekommen. Nur in neun Mitgliedstaaten sind mehr Menschen zur Wahl gegangen als beim letzten Urnengang. Am stärksten gestiegen ist die Wahlbeteiligung in den nordischen Ländern, vor allem in Dänemark um 12 Prozentpunkte auf knapp 60 Prozent, aber auch in Schweden, Estland und Lettland. Nur ein Drittel der EU27 kann vermelden, dass sich die Mehrheit der Wahlberechtigten an der Wahl beteiligte. Hierzulande wollte wieder nur eine Minderheit ihre EU-Parlamentarier wählen, und zwar mit 42,4 Prozent knapp ebenso wenige wie vor fünf Jahren. Dass Österreich inzwischen das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt hat, änderte an der EU-Wahlmüdigkeit nichts: Im Vergleich zu 2004 waren diesmal um 300.000 mehr ÖsterreicherInnen wahlberechtigt. Es wurden aber nur um 133.400 Stimmen mehr abgegeben.

Haupteigenschaft: unattraktiv

Die Wahlbeteiligung ist also verhältnismäßig gleich geblieben. Die häufigsten Nichtwahlmotive waren laut dem Institut SORA: unattraktive Kandidaten, unattraktive Parteien, Enttäuschung über die EU, mangelndes Interesse oder das Argument, Österreich habe keinen Einfluss. Dieser wird nach dem Ergebnis vom Sonntag auch nicht so schnell steigen.

Denn Herr und Frau Österreicher statteten ausgerechnet die Fraktionslosen, also die FPÖ und die Liste rund um Hans-Peter Martin, mit einem knappen Drittel der Österreich zustehenden Mandate (voraussichtlich fünf von 17) aus. Noch mehr Fraktionslose wählten nur die Briten, Italiener und die Tschechen. In erster Linie werden aber EU-Abgeordnete der nach wie vor beiden größten Fraktionen, der Christdemokraten und der Sozialdemokraten, mit einflussreichen Ämtern ausgestattet: Neben dem Präsidenten des EU-Parlaments sind bis Juli auch die Vorsitzenden der parlamentarischen Ausschüsse, in denen die Hauptarbeit geleistet wird, neu zu bestimmen. Wenn die zahlreichen Nichtwähler offenbar mit dem Angebot an Parteien und Politikern unzufrieden waren, kann man sich nur wundern, dass die österreichische Wahlbevölkerung mit den großteils selben Parteien bei der Nationalratswahl zufriedener sind: Die Wahlbeteiligung lag mit 78 Prozent fast doppelt so hoch wie bei den vergangenen EU-Wahlen. Das lag wahrscheinlich nicht an der Strahlkraft von Faymann und Pröll.

Mangelndes Wissen

Wahrscheinlicher ist, dass viele - von der Regierung abwärts - das EU-Parlament nicht ernst nehmen. Wahrscheinlich sind auch Wissensmängel über die Abläufe in der EU. Dieses Wissen eignet man sich mit Hilfe von engagierten Lehrern und/oder interessierten Eltern an. Scheidet beides aus, holt man sich - bei entsprechendem Eigeninteresse - die Informationen aus den Medien.

Mag sein, dass ein Hauptschulabschluss genügt, um das Programm von populistischen und rechtsextremen Parteien zu verstehen. Doch Bildung ist ausschlaggebend für politisches Bewusstsein. Von "politischer Unmündigkeit durch unkritischen Medienkonsum" spricht in diesem Zusammenhang Reinhard Krammer. "Wer von politischer Information und Kommunikation nicht erreicht wird oder mit Politik nur über undifferenzierte Berichterstattung des Boulevardjournalismus Kontakt zu halten imstande ist, der koppelt sich von der Informationsgesellschaft ab", schreibt Historiker Krammer in den vom Bildungsministerium herausgegebenen "Informationen zur Politischen Bildung". Auch der Politologe Peter Filzmaier sieht das Problem weniger im Schulbereich. "Politische Bildung in der Schule, mit allen Stärken und Schwächen, ist ein institutionalisierter Kommunikationskanal, mit dem man wenigstens irgendwie an Jugendliche herankommt." Oft seien junge Erwachsene im Alter von 20 bis 30 Jahren "die wahre Problemgruppe, weil mit Ausnahme der Studierenden von keinem Bildungssystem erfasst, also auch nicht von der Politischen Bildung erreicht". Jene, die Politische Bildung nicht erreicht, schauen dann offensichtlich im Notfall Richtung außerparlamentarische Gesinnungsgemeinschaft: in die Krone.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung