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Nein, nicht von Österreichs Polit-Spitzen und ihrem Verhandlungsstil soll hier die Rede sein. Sondern von denen, deren prekäre soziale Lage dadurch unverändert bleibt.

Das Wort hinterlässt einen üblen Nachgeschmack im Mund: "Unterschicht". Jahrelang wurde es im politisch-korrekten Soziologen-Jargon sorgfältig vermieden. Wer es auszusprechen wagte, wurde prompt des sozialen Chauvinismus verdächtigt. Wie Paul Nolte, der 2004 in seinem Buch Generation Reform eine "neue Unterschicht" diagnostizierte, die durch sozialstaatliche Alimentierung verwahrlost, von Nikotin, Alkohol, Lotto und Flimmerkiste abhängig - und außer Stande sei, sich der "bürgerlichen Leitkultur" anzupassen. Solche Aussagen mussten in der Soziologen-Zunft provozieren. Dort sprach man lieber von "Milieus": Die einen fühlten sich eben bei ARTE daheim, die anderen bei Hansi Hinterseer. Alles eine Frage des Geschmacks ...

Doch nun ist Schluss damit: Deutschland hat "die Unterschicht" wiederentdeckt - und realisiert, dass nicht nur Geschmäcker, sondern auch die zu ihrer Pflege nötigen Ressourcen verschieden sind. Seit Wochen gönnen deutsche Medien ihren Lesern schaurig-schöne Einblicke in den Alltag zwischen Hartz IV und RTL. Auslöser war ausgerechnet eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Zwar meiden die Studienautoren darin den Schichten-Begriff. Tatsächlich aber fördern sie (anhand von Kriterien wie Einkommen, Arbeitsplatzsituation, Werteinstellungen und Selbsteinschätzungen) neun Gruppen zu Tage, deren unterste - das "abgehängte Prekariat" - schönfärberisch das beschreibt, was das Wort "Unterschicht" im Grunde meint: Menschen, die sich als Verlierer fühlen und die Hoffnung aufgegeben haben, dass sich daran etwas ändert. 25 Prozent gehören im Osten Deutschlands zu dieser Spezies; im Bundesschnitt sind es acht Prozent.

Und in Österreich? Hier fühlt man sich, gefangen in Nachwahl-Tricksereien, von den deutschen Daten kaum irritiert. Dabei ist die gesellschaftliche Spaltung längst belegt. Vergangenen Montag haben Caritas und Armutskonferenz wieder darauf hingewiesen, dass in Österreich, dem siebentreichsten Land der Welt, 460.000 Menschen in manifester Armut leben. Eine Million Menschen sind armutsgefährdet. Es sei eine "Schande", so Caritas-Präsident Franz Küberl.

Wann auch immer eine handlungsfähige Regierung stehen wird: Die Kluft zwischen Arm und Reich wird eine ihrer vordringlichsten Herausforderungen sein. Einfache Rezepte gibt es freilich nicht. So täuscht der "Unterschicht"-Begriff eine Homogenität vor, die so nicht existiert. Arm und verloren kann sich eben nicht nur der arbeitslose Hilfsarbeiter mit fünf Kindern fühlen, sondern auch die Akademikerin, die zu einer Existenz als Dauer-Praktikantin gezwungen ist und durch eine Krankheit endgültig ins Abseits gerät. (Dass der ÖGB erst in seiner eigenen Krise auf die "atypisch Beschäftigten" aufmerksam wurde, ist bezeichnend.) Zudem besteht die Gefahr, mit dem Begriff "Unterschicht" Menschen auf eine "vermeintlich unabänderliche Situation" festzulegen, wie Berlins evangelischer Bischof Wolfgang Huber warnt (siehe S. 9).

Es braucht also vielfältige Maßnahmen:

* An erster Stelle steht der Ausbau eines Bildungssystems, das die Zukunftschancen - beginnend mit dem Kindergarten - fair verteilt. Es kann nicht sein, dass Hauptschule und Polytechnikum vielfach zum Sammelbecken der Bildungsverlierer werden.

* Ebenso wichtig ist die Entfilzung der Sozialbürokratie, die endlich nach dem One-Desk-Prinzip organisiert sein müsste und auch nicht mehr Regressansprüche stellen dürfte, wenn Menschen nach Sozialhilfe-Bezug eine Arbeit annehmen. So wird nur Ambition bestraft.

* Nicht zuletzt braucht es von den Parteien endlich die Ehrlichkeit, sich und den Wählern einzugestehen, dass angesichts galoppierender Effizienzsteigerung das Phänomen "Vollbeschäftigung" unerreichbar bleibt. Umso dringlicher sind Konzepte einer Existenzsicherung - ob sie nun eher an die "bedarfsorientierte Grundsicherung" angelehnt sind, wie sie SPÖ und Grüne fordern, oder an das "bedingungslose Grundeinkommen", wie es die Katholische Sozialakademie Österreichs präferiert.

Im Kampf gegen die Spaltung der Gesellschaft sind eben Mut und Phantasie angesagt. Bloße sprachliche political correctness hilft dagegen niemandem.

Am wenigsten der "Unterschicht".

doris.helmberger@furche.at

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