Die echten Opfer der Job-Angst

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Vor einem Jahr wurde der Arbeitsmarkt für Bürger der jungen EU-Staaten geöffnet. Die Folgen: Gar keine Jobsucherflut am Bau, dafür 30.000 Fremdarbeiter mehr in Salzburg und Tirol.

Die Angst ist ein natürlicher Grund-instinkt, der Mensch und Tier das Überleben sichert. Im Normalfall löst Angst Fluchtverhalten oder Erstarrung aus. Im Burgenland konnte man bis zum 1. Mai 2011 den Eindruck gewinnen, Angst sei ein paradoxes Verhikel zur Absicherung der wichtigsten beiden Strukturschwächen des wirtschaftlich schwächsten Bundeslandes Österreichs: zu wenige qualifizierte Facharbeiter, zu wenige Investitionen abseits der Öffentlichen Hand. Deshalb hieß es etwa vonseiten der Gewerkschaften und der Arbeiterkammer: "Der burgenländische Arbeitsmarkt kann eine komplette Öffnung für Arbeitnehmer aus den neuen Beitrittsländern zurzeit sicher nicht verkraften“, wie auch der Präsident der AK-Burgenland Alfred Schreiner warnte. Von einer Überschwemmung des Arbeitsmarktes war die Rede, davon dass niedrig Qualifizierte um ihren Job fürchten müssten, weil Zehntausende nach Österreich kommende Ungarn und Slowaken ihnen die Arbeitsplätze streitig machen.

Nichts davon ist eingetreten. Im Gegenteil. Die "Flut“, wurde bundesweit gesehen zur eher kleinen Welle - und im Burgenland nicht einmal das - wie aktuelle Zahlen der Statistik Austria beweisen: Vor der Öffnung 2011 arbeiteten 14.909 ausländische Arbeitskräfte in burgenländischen Betrieben. Mit Stand Februar 2012 waren es 15.179 - die "Lawine“ bestand aus exakt 270 arbeitenden Menschen.

Waren die geschürten Ängste vollkommen überzogen? Für das Burgenland lässt sich das eindeutig bestätigen. Für andere Länder gilt das nicht in diesem Ausmaß. 2011 waren 464.000 ausländische Arbeitnehmer in Österreich tätig. Mit Stand Februar 2012 waren es immerhin 502.000 - ein Plus von 38.000. Sie kamen aber nicht wie erwartet in die großen Industriegebiete - Wien (nur ein Plus von 4.000) die Steiermark (plus 3.000), sondern vor allem in die Tourismusgebiete Salzburgs (10.000) und Tirols (16.000).

Schrumpfung statt Explosion

Vollkommen anders als erwartet ist die Situation in immer als "verletzlich“ beschriebenen Gewerben, etwa der Baubranche, wo eine gegenläufige Entwicklung eingetreten ist: Die Statistik Austria vermerkt hier im Vergleich mit 2010/11 einen Rückgang ausländischer Beschäftigter um mehr als 9.000. während die Gastronomie eine Sprung von 57.000 auf 85.000 ausländische Arbeitnehmer verzeichnet.

Klaus Nowotny, Regionalarbeitsmarktexperte der Wirtschaftsuniversität Salzburg und ehemaliger Mitarbeiter des Wirtschaftsforschungsinstitutes Wifo meint: "Unsere Erwartungen haben sich eigentlich bestätigt. Es gab wohl einen Anstieg der grenzüberschreitenden Erwerbstätigkeit, aber das alles bewegt sich in einem für die Wirtschaft positiven Rahmen. In vielen Fällen wurden bereits bestehende Beschäftigungsverhälntisse legalisiert, gerade in Grenzregionen.“ Als Verlierer des Prozesses sieht Nowotny einen Teil der weniger gut qualifizierten Arbeitnehmer. "Sie werden von ausländischen Arbeitnehmern ersetzt, die trotz höherer Bildung unterqualifiziert beschäftigt werden“ (siehe Interview).

So verdrängen jene, die tatsächlich nach Österreich kommen zum Teil MigrantInnen anderer Länder. Statistisch lässt sich das auch nachweisen: Im Vergleich zum April/Mai 2011 fielen die Beschäftigungszahlen bei Arbeitnehmern aus den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens um 8.000, dazu arbeiten auch 3.000 türkische Staatsangehörige weniger in Österreich als vor der Öffnung des Arbeitsmarktes.

Migranten verdrängen Migranten

Generell haben die Ökonomen weniger Sorge mit zu viel Arbeits-Mobilität in Europa als mit zu wenig. Theoretisch hätten am 1. Mai 2011 52 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter aus den Erweiterungsländern die Möglichkeit gehabt, den freien Zugang auf den Arbeitsmarkt in Österreich und Deutschland zu nutzen.

Doch der Europäer scheint nicht gerade umzugsfreudig zu sein. Nur ein Prozent der Bevölkerung der EU-Mitgliedsstaaten lebt und arbeitet im EU-Ausland. Selbst wirtschaftliche Engpässe bringen die Menschen nicht in Massen dazu, auszuwandern und dabei ihre sozialen und sprachlichen Verbindungen zu kappen.

Wo allerdings die Not die Menschen zwingt, auszureisen, da werden auch die Folgen rasch anderswo spürbar - und sofort ist der Reflex der Angst um das eigene politisch auffällig. Es zeigt sich da auch schnell die solidarische Finalität Europas. Wegen vermehrter Zuwanderung aus den Krisenländern Spanien, Portugal und Griechenland sollen künftig Zuwanderer aus diesen Ländern in Deutschland keine Hartz-IV-Leistungen mehr beantragen dürfen, so ein Vorschlag der Regierung Merkel, der dem deutschen Handelsblatt vorliegt.

In diese Kerbe schlägt auch die Schweiz. Sie wird sich ab 1. Mai die Umkehrung europäischer Gemeinschafts-Freizügigkeit verordnen - und die Grenzen für Arbeitnehmer aus den acht Erweiterungsländern Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Polen, Slowenien und Slowakei auf 2.000 Personen beschränken.

Die AK-Burgenland denkt inzwischen schon über die EU hinaus. Diesmal geht es um die Zuwanderer aus Drittstaaten, gegen die sich die AK "mit Nachdruck ausspricht“, da sie den Druck auf burgenländische Arbeitnehmer weiter erhöhen.“ So sehr wie jene 270 im Jahr 2011?

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