Die Epidemie der Narren

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Das Brauchtum kennt verschiedene Anlässe zur Verkleidung: Nikolaus, Krampus, Halloween.Aber richtig lustig ist es nur bei den Seitenblicken und im Fasching.

Jedes Jahr im Spätwinter tritt quer durch die Lande eine rätselhafte Epidemie auf. Menschen, denen wir ansonsten geistige Gesundheit zubilligen würden, verfallen in lächerliches Benehmen. Sie schmieren sich Farben ins Gesicht, dekorieren sich mit den skurrilsten Kleidungsstücken und legen eine Art von Fröhlichkeit an den Tag, die irgendwo zwischen Euphorie und Bemühtheit anzusiedeln ist. Nach einiger Zeit klingt die pandemische Welle wieder ab, ja es gibt sogar einen festen Termin, zu dem die Infektionslage als beendet zu erklären und von einem sonderbaren Aschenritual abzulösen ist: Man nennt dieses Phänomen Fasching.

Masken statt Menschen irren am Höhepunkt des Geschehens durch die Straßen. Maskierungen finden wir auch anderswo: in Theater und Kunst, Religion und Staat. Verkleidungen haben zur Darstellung von Göttern, Geistern und Naturkräften gedient, als Vermittler zu einer anderen Welt. Der Richter im Talar, der Priester in seiner Robe - sie sind nicht Person, sondern Repräsentant von Staat und Gott. Während in diesen Fällen durch Maskierung Individualität verschwindet, auf etwas Höheres verweisen soll, ist die Sache bei Faschingsmasken ambivalent: Einerseits drückt die gewählte Maske eine gewisse Identifizierung aus, schließlich dekoriert man sich selbst nicht so, dass man es widerlich findet. Andererseits soll ja die bekannte Person hinter der "geheimnisvollen“ Maske verschwinden. Einerseits die Ähnlichkeit von Maske und Person, ja die Übersteigerung der Identität (hier bin ich ich, hier darf ich’s sein), andererseits Kontrast (niemand soll mich erkennen, schon gar nicht im Zustand loser Entsittlichung).

"Ventilsitten“ und Selbstinszenierung

Üblich ist freilich eher der halbe Weg zur Unkenntlichkeit, der "spielerische“ Umgang mit der Verkleidung: Natürlich erkennt jeder die Person, die sich als Indianerin, Vampir oder Batman aufputzt; da man aber in einer gemeinsamen Symbolwelt lebt, entziffert man die Symbole, mit denen generell auf die andere, fiktive, mythische Person verwiesen wird.

Das Brauchtum kennt freilich auch Verkleidungen zu anderen Jahreszeiten: Krampus, Nikolaus, Perchten, Halloween. Aber richtig lustig ist es nur bei den Seitenblicken oder im Fasching. Da gibt es die "klassischen“ Verkleidungen: Cowboy und Prinzessin, Hexe und Sultan, Elvis und Marilyn, Matrosen und Piraten, Sträflinge und Pfarrer. Die virtuelle Welt, die zur wirklicheren geworden ist, hat neue Images ins Spiel gebracht: Catwoman, Sex Warrior, James Bond, Men in Black, Harry Potter. Man kann sich nostalgisch geben (Rüschenkleid) oder futuristisch (Latex). Und je nach Gelegenheit und Geschmack, natürlich und insbesondere sexy: reduziert bis zur bloßen Kleidungsandeutung, mit Körperbemalung. Die globalisierte Welt schlägt auch zu: indisch (freilich ohne Verbrennung) oder chinesisch (eher Madame Butterfly als Foxconn).

Soziologen pflegen von "Ventilsitten“ zu sprechen und auf Saturnalien und ähnliche Veranstaltungen zu verweisen: Für bestimmte Zeiträume werden die Alltagsnormen außer Kraft gesetzt. Das Oberste wird zuunterst gekehrt, der Narr zum Bürgermeister (was auch außerhalb der Faschingszeit oft ein schwieriges Unterscheidungsproblem darstellt). Der Chef ist jetzt auch nur ein Mensch. (Man tut gut daran, an diese Fiktion nicht zu glauben.) Es gibt Muster zur Herstellung der Außeralltäglichkeit, aber die Faschingstage setzen natürlich aktuelles Ambiente und kulturellen Pfad nicht außer Kraft: Rio ist sexy, Venedig ist gediegen, New Orleans ist locker. Da stecken Jahrhunderte dahinter.

Das Katholische hat immer mehr Sinn für den Fasching gehabt als das Protestantische, früher einmal war man in der katholischen Kirche ja auch sinnlicher und flexibler, hat sich eine Unmenge von heidnischen Bräuchen anverwandelt, mit spiritueller Anpassungs- und Marketingbereitschaft. (Kirchengeschichte als Pflichtkursus für die römische Kurie wäre vielleicht auflockernd.) Dafür nimmt die Mehrheit der Gesellschaft in einer säkularisiert-hedonistischen Gesellschaft die Sache mit dem nachfolgenden Fasten nicht mehr so ernst, also verliert auch die vorherige Faschingszeit etwas von ihrer Besonderheit. Krapfen gibt es immer. Und die Sehnsucht nach dem Ende der eisigen Zeit, der befreiende Gruß an den Frühling - das ist in einer naturdistanzierten Luxusgesellschaft ohnehin von geringer existenzieller Wichtigkeit.

Wenn ganzjährig Fasching ist

Manchmal dringt der Fasching in den Alltag ein: etwa in kuriosen Selbstverkleidungen von Pop-Gruppen oder Angehörigen von Jugendszenen. Das Spiel mit verschiedenen Identitäten ist in einer liquiden Gesellschaft generelles Erfordernis: Es gehört zur sozialen Kompetenz, aus einer Rolle in eine andere zu schlüpfen und dabei jeweils auch ein "modifiziertes Selbst“ zu inszenieren. In der Spätmoderne ist immer Fasching, Bluff-Know-how gehört zum allgemeinen Anforderungsprofil. Man jongliert mit Identitäten. Diese Inszenierungen können reale Folgen zeitigen: Wenn man gut und lange inszeniert, dann glaubt man sich das Spiel - so wie sich die Bankiers und Investmentmanager in den letzten Jahren ihre jeweils eigene Genialität geglaubt haben, bis zum Zusammenbruch und manchmal darüber hinaus. Da ist kein Unterschied zu den kleinen Kindern, die im Fasching natürlich wissen, dass der Vampir nicht "echt“ ist - aber dennoch Angst bekommen, wenn er mit einiger Insis-tenz so tut, als ob er echt wäre.

Die "verordnete Fröhlichkeit“ ist auch nicht mehr auf den Fasching beschränkt. Wer in der Spätmoderne mitspielen will, der muss allerweil gut drauf sein: optimistisch, erfolgsgewiss, happy. Im Fasching muss man lachen, sonst fällt man ungut auf; aber auch sonst gilt das Prinzip eines ritualisierten Enthusiasmus: Alles wird gut. Wir stellen uns den Herausforderungen. Es geht aufwärts. Im Optimismusmilieu wird Melancholie asozial. Wenn insoweit Faschingsfröhlichkeit immer und überall stattfindet, ist es egal, wenn sich manche vordrängeln, einen "verfrühten Fasching“ inszenieren, so wie die Salzburger Landesregierung oder das Verteidigungsministerium.

In einer administrierten Gesellschaft muss die proklamierte Spontanität aber in Formen gegossen, auf die Imagination des Spontanen reduziert werden. Es entstehen so neue Rituale, die das Spontane wieder "einfangen“ und bestenfalls vermarkten: Dazu gehören die Faschingsumzüge, die aus Deutschland importierten Faschingsgilden, die meist mühsamen "Faschingssitzungen“. Hinsichtlich der nicht immer peinlichkeitsfreien Veranstaltungen sehen sich Honoratioren, Politiker zumal, unter Druck gesetzt,

Mitmachbereitschaft an den Tag zu legen. Denn vor dem Spielverderber-Image muss man sich hüten, gerade im Fasching. Aber Ordnung muss auch sein, und deshalb genügt es, wenn man sich ein "Ventil“ zurechtfantasiert, aber sonst doch in die Konturen des "stählernen Gehäuses“ fügt. Konfetti macht frei - solange man das glaubt.

* Der Autor ist Professor für Soziologie an der Karl-Franzens-Universität Graz.

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