Die Erfolgsrezepte des Islamischen Staats

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Wie funktioniert der IS und warum übt er ausgerechnet auf junge Menschen in westlichen Ländern eine so große Faszination aus? Das sind die Fragen, denen Petra Ramsauer in ihrem neuen Buch nachgeht, mit dem sie den Mythos des Terrorstaates entzaubern will.

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Wie funktioniert der IS und warum übt er ausgerechnet auf junge Menschen in westlichen Ländern eine so große Faszination aus? Das sind die Fragen, denen Petra Ramsauer in ihrem neuen Buch nachgeht, mit dem sie den Mythos des Terrorstaates entzaubern will.

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Bei Kritiken ist es üblich, das Positive vorweg zu sagen und das Negative hintanzureihen. Hier sei es umgedreht, weil das "Negative", wenn man es so nennen will, sehr kurz ausfällt: Wenn Sie sich intensiv mit der journalistischen und wissenschaftlichen Berichterstattung zum Thema IS und Terror-Milizen in Syrien auseinandergesetzt haben, dann werden Sie in "Die Dschihad-Generation" nicht viel Neues finden. Wenn Sie aber nicht zu diesem Kreis gehören, dann brauchen Sie vieles zum Thema nicht mehr zu lesen. Denn Petra Ramsauer hat das schon getan und ordnet und strukturiert und kondensiert dieses Wissen in einem informativen und sehr gut lesbaren Buch auf knapp 200 Seiten. Erklärtes Ziel der Autorin ist es dabei "die Bewegung zu entzaubern, und den Horror, für den sie steht, offenzulegen". Letzteres muss man nicht mehr tun, aber ersteres gelingt Ramsauer ausgezeichnet.

Dabei schöpft sie aus eigenem Erleben, vielen Augenzeugenberichten und auch aus dem, was die globale Expertenschaft zum Thema an Intelligentem erdacht hat.

Die erste Hauptfrage: Warum ziehen Jugendliche in den Krieg, wenn sie in Europa in Sicherheit wären und alle Annehmlichkeiten des Lebens hätten? Wie werden sie angesprochen? Warum kann Gewalt und Sadismus Mode machen? Dazu bietet das Buch zunächst eine sehr plakative Erklärung an: "Es sind narzisstische, mordlüsterne Cowboys," um dann aber in die tiefe der Entwicklungspsychologie zu gehen und entwurzelte Jugendliche zu porträtieren, denen es an Zuneigung und Anerkennung fehlt, und die deshalb nicht zu Empathie fähig sind. Genau in diese Lücke mangelnder Zuwendung stößt nun die IS-Propagandamaschinerie. Es gibt Rekrutierpersonen, die angehalten werden, den jungen Leuten "aufmerksam zuzuhören und wann immer es geht, sich emphatisch an den Glücksmomenten und den Problemen zu beteiligen. Ziel ist es, sie immer näher an sich zu binden". Das System ist hochfunktionell, vor allem weil es bei der späteren Indoktrinierung mit Versatzstücken von modernen und beliebten Narrativen arbeitet: Heldenmut und die Illusion der Omnipotenz wird durch Kultfilme wie "Herr der Ringe" oder "Matrix" vermittelt. Zu dienen, heroisch gegen das Böse zu kämpfen und für das Ideal zu sterben -sind in beiden Medien, Dschihad und Kinoblockbuster, Rezepte für großen Zulauf.

Die Rolle der Frauen

Die Anziehungskraft beschränkt sich natürlich nicht auf Männer, auch junge Frauen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen und Bildungsschichten, wollen bei dem Projekt dabei sein. "Fehlgeleitete romantische Vorstellungen" sind das, meint Deradikalisierungsexpertin Edith Schlaffer dazu in dem Buch. Viel weiter reicht die Analyse zum Thema der Begeisterung westlicher "Dschihadbräute" nicht - und wenn man will, kann man das als Mangel empfinden.

Vor allem, weil auf den nachkommenden Seiten die sexuellen Praktiken im Kalifat selbst geschildert werden, mit denen Legionärinnen ja zwangsweise konfrontiert werden. Ramsauer bezieht sich da auf die offensichtliche Erlaubnis zur Vergewaltigung über das System der "Zeitehen", dazu noch von Sklavinnenmärkten, auf denen gefangengenommene, unterworfene Frauen für Zigaretten oder andere Güter gehandelt werden. Die ungehemmt ausgelebte männliche Sexualität scheint auch ein maßgeblicher Grund für den internationalen Erfolg des IS ist. "Legitimierte Barbarei", nennt es Ramsauer.

Der Kern der Analyse

Und dann geht es um den eigentlichen Kern der Analyse. Was passiert dort mit jenen, die tatsächlich kämpfen. Die Berichte, die Ramsauer zitiert, stammen zum Teil aus den Prozess-Protokollen, zum Teil aus Medien. Geschildert wird da ein streng kontrolliertes Leben, das jeden Verstoß gegen die herrschenden Vorschriften rigoros bestraft. Von mehr als einhundert Hinrichtungen von Fahnenflüchtigen ist die Rede. Ein gewisser Ibrahim, der entkam, erzählt: "Wir waren alle nur Kanonenfutter."

Und was tun mit den Rückkehrern? Die Autorin scheint Prozess und Gefängnis jedenfalls für eine schlechte Idee zu halten und präsentiert ein Projekt der Wiedereingliederung in der Gesellschaft aus Schweden als Vorbild. Fazit: "Yolo" - You only live once, ist einer der Hauptslogans der Jungterroristen. Wenn doch nur mehr potenzielle IS-Anhänger darüber nachdenken würden, was das heißt.

Die Dschihad-Generation

Wie der Kult des Islamischen Staats Europa bedroht, Styria premium 2015.

202 Seiten, Hardcover, € 24,90

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