"Die EU könnte an der Krise zerbrechen“

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Die Wahl François Hollandes zum französischen Präsidenten bietet der EU die Möglichkeit, Fehlentscheidungen in der Sparpolitik zu korrigieren, meint Ökonom Stephan Schulmeister.

Stephan Schulmeister ist einer der bekanntesten Ökonomen des Landes. Vor wenigen Wochen gründete er eine Initiative, welche die Mängel des Fiskalpakts der EU-Staaten aufzeigen soll. Schulmeister ist Autor des Buches "Mitten in der Krise - ein New Deal für Europa“.

Die Furche: Europas Wähler haben am Wochenende ein starkes Zeichen gegen die Sparpolitik der europäischen Regierungen gesetzt. Gleichzeitig sind rechte und rechtsradikale Parteien stärker geworden. Le Pen in Frankreich die "Goldene Morgenröte“ in Griechenland. Ein nachhaltiger Trend?

Stephan Schulmeister: Ich sehe das Wahlergebnis nicht nur negativ. Die Wahlen in Griechenland waren auch ein schönes Signal. Die politischen Familienclans wurden abgestraft. Die Rechte hat nicht so viel gewonnen, wie andere Parteien, die sagen: Wir wollen im Euro bleiben, aber diese Sparpolitik wollen wir nicht. Diese Grundbotschaft ist vernünftig. Die Sparpolitik war und ist eine Katastrophe. Die Lage, in der sich Griechenland befindet, ist aussschließlich eine Folge der Sparpolitik. Durch die Wahl von François Hollande besteht jetzt vielleicht die Möglichkeit, dass sich die Südeuropäer unter Führung Frankreichs von den Fesseln des deutschen Sparregimes befreien.

Die Furche: Gerade bei Hollande stellt sich die Frage, zu welchem Zweck weniger gespart werden soll: um die Wirtschaft anzukurbeln oder um den Staatsapparat weiter aufzublähen und nichts zu reformieren.

Schulmeister: Natürlich muss die Konsolidierung der Staatsfinanzen höchste Priorität haben. Nicht aber, wenn die Lage so angespannt ist, dass die Sparmaßnahmen die Wirtschaft in eine tiefe Rezession stürzt. Dann macht das keinen Sinn mehr. Im Falle Griechenlands ist das ganz sicher der Fall.

Die Furche: Griechenland hat nicht mehr die Möglichkeit, sich mit mehr Staatsausgaben selbst zu helfen. Dazu müsste es einen Marshallplan der EU geben oder Eurobonds. Beides lehnen die reichen Länder ab.

Schulmeister: Auf genau so eine Hilfe liefe es hinaus. Griechenland braucht Kapital, das produktiv eingesetzt wird. Die bisherigen Rettungspakete brachten keine Wertschöpfung, sondern flossen in Zinszahlungen und Schuldentilgung. Jetzt hat der Staat nicht einmal mehr ein Verfügungsrecht über seine Einnahmen, weil alles auf ein Sperrkonto fließt. Das ist eine äußerst kurzsichtige Politik.

Die Furche: Aber ganz Europa folgt derzeit dieser von Deutschland konzipierten Politik.

Schulmeister: Ich bin sehr enttäuscht von der Politik Angela Merkels. Sie ist im Vergleich zu anderen deutschen Regierungschefs unglaublich national orientiert. Helmut Kohl wären sicher weder solche pauschalen Äußerungen gegen Griechenland passiert noch hätte Kohl die europäische Dimension so sehr aus den Augen verloren wie Merkel. Vor zwei Jahren hat sie Griechenland wegen Regionalwahlen in Deutschland im Regen stehen lassen. Wenn damals nicht soviel wertvolle Zeit verloren worden wäre, dann wäre Griechenland nicht derart eskaliert. Jetzt hat sie beim Thema Spanien wieder wegen Regionalwahlen das Signal gegeben, es würde keine Hilfe geben. Das ist ziemlich dumm und fällt zusammen mit einer sehr antieuropäischen Stimmung in Deutschland.

Die Furche: Merkel meint eben, Deutschland hätte schon genug Milliarden für die Südeuropäer gezahlt.

Schulmeister: Aber Deutschland muss auch ein vitales Interesse haben, dass sowohl Spanien als auch Italien wieder auf die Beine kommen. Das ist eine Aufgabe der Politik. Und die begreift das Problem nicht.

Die Furche: Was meinen Sie da konkret?

Schulmeister: Zwei Dinge: Deutschland meint, es könne die anderen kritisieren und herablassend behandeln weil es seine "Hausaufgaben“ schon gemacht habe und deshalb nun auch erfolgreich sei. Das ist falsch. Deutschland ist erfolgreich, weil es sehr viele hochqualitative Produkte produziert - Autos etwa, die bei den neuen Reichen in den Schwellenländern auf große Nachfrage stoßen. Mit Hartz IV hat das wenig bis nichts zu tun. Zweitens: Südeuropa ist ein wichtiger Absatzmarkt Deutschlands. Das Dumme ist, dass Merkel nicht bereit ist, einzusehen oder vorauszusehen, dass ein massiver Einbruch in Südeuropa auch massive negative Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft haben wird.

Die Furche: Sie selbst machen ja in jüngster Zeit massiv gegen den Fiskalpakt mobil?

Schulmeister: Er ist das beste Beispiel für die Unfähigkeit der Politik. Der Pakt stammt in seiner Grundkonzeption von der neoliberalen Chicagoer Schule und folgt einem Modell, das die USA unter Reagan bereits ausprobiert und wieder verworfen haben, weil es unpraktikabel war. Es sagt im Wesentlichen nichts anderes, als dass die Handlungsfreiheit der Politik eingeschränkt werden muss, um die Freiheit des Geldes zu ermöglichen. Noch dazu war das Modell explizit gegen das europäische Modell entwickelt worden. Wir benutzen also diese Waffen nun zu unserem eigenen Schaden. Das ist aberwitzig und grotesk.

Die Furche: Was passiert, wenn den Pleitestaaten nicht geholfen wird?

Schulmeister: Europa ist am Scheideweg. Wenn es ganz schlecht kommt, kann die EU zerbrechen, es könnte auch zu nationalen Wirtschaftkriegen kommen.

Die Furche: Nun soll es einen informellen EU-Gipfel für eine Wachstumsstrategie geben. Haben Sie die Hoffnung, dass sich daraus ein Mittelweg zwischen Sparen und Schuldenmachen ergeben kann?

Schulmeister: Das hängt von Deutschland ab. Nehmen wir das Beispiel Griechenland: Dort bräuchten wir zunächst eine massive Aufstockung der EU-Task-Force. Es bräuchte nicht 20, sondern 300 Experten, die dem Land wirklich helfen wollen und dafür alle Bereiche durchleuchten und ein schlagkräftiges Programm entwickeln. Auf der einen Seite muss die Staatsverwaltung neu errichtet werden, auf der anderen Seite Unternehmer gesetzlich und finanziell massiv gefördert werden. So bekäme vor allem die griechische Jugend wieder eine Perspektive und Mut für die Zukunft. Das würde massive Multiplikatoreffekte haben.

Die Furche: Sie selbst sprechen immer wieder von einer Systemkrise.

Schulmeister: Diese aktuelle Krise ist nichts anderes als unser Ans-Ende-Kommen in einer vierzig Jahre dauernden Sackgasse. Viele alte Gerwissheiten kommen jetzt ins Wanken. Zum einen die neoliberale Politik. Zum anderen aber auch die trivial-keynesianische Vorstellung, dass im Zweifelsfall die Staatsverschuldung nicht so schlimm ist. Das ist nicht richtig. Das Niveau der Staatsverschuldung ist ein Riesenproblem. Das alles sind Entwicklungen, die zeigen, dass das Alte nicht mehr geht, aber das Neue noch nicht am Horizont erschienen ist. Dass es hier eine Verstörung und Orientierungslosigkeit gibt, ist verständlich. In dieser Phase ist es besonders wichtig, eine konkrete Diagnose zu erstellen und problemorientiertes Denken zu ermöglichen.

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