"Die Flut geht nicht aus dem Kopf"

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Der Psychosoziale Dienst der Caritas betreut Opfer und Helfer der Hochwasser-Katastrophe. Im Furche-Gespräch schildert Angelika Karner die psychischen Probleme, die nach der Flut auftauchen, sie spricht vonder Vielschichtigkeit der Schwierigkeiten und zeigt Wege auf, wie geholfen werden kann.

Die Furche: Das Hochwasser wird als Jahrhundertereignis bezeichnet. Zumindest in Österreich waren in den vergangenen Jahren noch nie so viele Menschen von einer Naturkatastrophe betroffen. Sie betreuen die Opfer dieser Katastrophe. Unter welchen Voraus-setzungen gehen Sie an Ihre Arbeit?

Angelika Karner: Eigentlich gibt es nichts Vergleichbares. Unsere bisherigen Erfahrungen beschränken sich auf eine Katastrophe, von der weniger Menschen betroffen waren, die aber im Einzelnen ähnliche Auswirkungen hatte: Die Gasexplosion in Wilhelmsburg. Im Fall des Hochwassers rechnen wir natürlich mit weitaus stärkeren und vor allem nachhaltigeren Folgewirkungen.

Die Furche: Das ganze Ausmaß der Katastrophe ist ja in vielen Fällen noch gar nicht bewusst. Mit welchen Problemen sind Sie akut konfrontiert?

Karner: Solange noch ein Funken Hoffnung besteht, gibt kein Mensch auf. Im konkreten Fall heißt das, dass in der Zeit der Aufräumungsarbeiten nicht mit schwereren psychischen Folgen zu rechnen ist. Oft sind noch Einsatzkräfte vor Ort, mit denen man reden kann. Alle ziehen an einem Strang, und man hat ein konkretes Ziel. Aber jeder, der die Tage der Flut miterlebt hat, bekommt die Bilder nicht mehr aus dem Kopf.

Zunächst dominieren daher Panik- und Angstattacken bei den geringsten äußeren Reizen. Das geht so weit, dass manche Menschen unter der Dusche in Panik geraten. Alles, was mit Wasser zu tun hat, kann schon schwere Fol-gen mit sich bringen. Auch Sirenentöne sind Auslöser schwerer Ängste, die sich entweder sofort in Panikattacken manifestieren oder zu Schlaflosigkeit und Albträumen führen. Wenn es zu neuerlichen Regenfällen kommt, wenn wieder ein Adria-Tief im Anmarsch ist, befürchten wir eine eklatante Zunahme dieser Angstattacken.

Die Furche: Bundespräsident Klestil hat den Vergleich mit einer Kriegssituation gezogen. Ihre Schilderung erinnert auch stark an Kriegstraumatisierungen. Ist dieser Vergleich aus Ihrer Sicht zulässig?

Karner: Es gibt tatsächlich Parallelen zu Kriegsgeschehnissen. Zunächst einmal die materiellen Schäden. Innerhalb weniger Minuten haben viele Haushalte alles verloren. Ein ganzes Lebenswerk wurde zerstört. Die Menschen stehen vor einer Situation, gegen die sie sich nicht wehren können, machtlos sind. Diese Ohnmacht gegenüber einem übermächtigen Gegner - in diesem Fall die Natur - führt zu ganz spezifischen Traumata. Das geht über die oben beschriebenen Angstattacken hinaus.

Die Furche: Von anderen Katastrophenszenarien weiß man, dass sich psychische Probleme erst lange nach dem konkreten Ereignis manifestieren. Mit welchen Folgen rechnen Sie langfristig?

Karner: Wenn die Helfer weg sind und man endlich einmal Zeit findet, über seine Situation nachzudenken, wird das Ausmaß der Schäden oft erst richtig bewusst. Schon während der Aufräumarbeiten in den eigenen vier Wänden kommt ein erstes Bewusstsein vom Ausmaß der Zerstörung. Manche haben ein Leben lang an ihrem Haus gearbeitet und stehen nun vor den Trümmern. Andere haben sich schwer verschuldet und wissen jetzt nicht, wie sie weitermachen sollen. Agonie, Mutlosigkeit bis hin zu schweren Depressionen können dann schon auftreten.

Die Furche: Welche Angebote können Sie diesen Menschen geben?

Karner Als erstes bieten wir unsere Gesprächsbereitschaft an. Das klingt wenig spektakulär, ist aber in einer solchen Grenzsituation das beste Mittel. Die Betroffenen müssen zunächst reden, reden und wieder reden. Es geht gar nicht so sehr darum, dass wir ihnen antworten, sondern in erster Linie um das Zuhören. Sie finden in uns Menschen, die ihnen beistehen, sie mit ihren Ängsten und in ihrer Verzweiflung ernst nehmen. Das verstärken wir noch dadurch, dass wir die Probleme konkret ansprechen. Der weitere Schritt ist die Begleitung und die gemeinsame Suche nach einem Weg in die Zukunft. Nach dem Hochwasser fangen viele Menschen wieder bei Null an. Sie müssen sich neu orientieren. Diesen Weg gehen wir gemeinsam.

Die Furche: In welcher Weise können Angehörige, die selbst nicht betroffen sind, helfen, wenn sie merken, dass psychische Folgen der Hochwassererlebnisse auftreten?

Karner: Gehen wir es von der anderen Seite an, nämlich was Angehörige absolut nicht tun sollten: Das berühmte "gut zureden". Die Situation vieler Menschen ist eine Katastrophe. Daran gibt es nichts zu rütteln und auch nichts schönzureden. Mit einem "Wird schon wieder" oder gar unpassenden Vergleichen zu eigenen Missgeschicken verschlimmert man die Situation vehement. Angehörige sollten ein offenes Ohr haben, zuhören können, einfach da sein und beistehen. Das ist aber meist nicht so einfach, wenn man selbst in einer angespannten Situation ist. Aus diesem Grunde bieten wir auch Angehörigenberatung und -betreuung an.

Die Furche: Sie sprechen von der angespannten Situation. Unter besonderer nervlicher Belastung, wie sie ohne Zweifel derzeit für Opfer der Hochwasserkatastrophe besteht, äußern sich mitunter lang schwelende Konflikte. Sind Sie mit solchen Situationen konfrontiert?

Karner: Das ist eine besondere Tragik in dieser ohnehin dramatischen Lage, dass die Zahl der Familienkonflikte ansteigt. Viele Familien wurden evakuiert, wohnen jetzt bei Verwandten. In dieser angespannten Situation kommt es relativ leicht zum Ausbruch von Konflikten. Auch diese Konflikte verhalten sich wie alle anderen psychischen Folgen. Man kann davon ausgehen, dass nach der gemeinsamen Anstrengung der ersten Aufräumungsarbeiten die Zahl und die Heftigkeit der Beziehungskrisen steigt. Auch hier würde ich dringend raten, Hilfe zu holen, bevor diese Konflikte eskalieren. Wir sind mobil im Einsatz und kommen gerne in die Haushalte.

Die Furche: "Schönberg dankt den freiwilligen Helfern" steht auf einem Transparent an der Ortseinfahrt von Schönberg/Kamptal. Der aufopfernde Einsatz von Hilfsorganisationen und Einzelpersonen gehört zu den positivsten Erlebnissen rund um die Flut. Sieht man in die Gesichter vieler Helfer, so findet man neben der Freude am Hel- fen eine Mischung aus Mitgefühl, Erschöpfung und Entsetzen. Hilfe für die Helfer - ist das auch eine Anforderung an Sie?

Karner: Viele Helfer, die hier im Einsatz sind, sind noch ganz jung. Für sie im Besonderen, aber auch für alle anderen gilt, dass sie mit entsetzlichen Erlebnissen, tragischen Schicksalen und furchtbaren Bildern konfrontiert werden. Gerade bei Helfern, die gewohnt sind, sich einzusetzen, anzupacken und stark zu sein, erleben wir immer wieder, dass sie Hilfe nicht zulassen. Helfer haben mit Tränen in den Augen und mit Wut im Bauch gegen die zerstörerischen Fluten und deren Folgen angekämpft. Diese emotionalen Erlebnisse müssen im Gespräch verarbeitet werden. Viele Helfer erleben den psychischen Zusammenbruch erst, wenn sie wieder zu Hause sind. Die Spannung zwischen den zwei Welten - hier das friedliche, glückliche Zuhause, dort die Bilder der Zerstörung und der Not - halten sie nicht aus. Alleine lösen sich die wenigsten von den tiefen Eindrücken und Emotionen eines solchen Einsatzes. Dies kann sich ohne professionelle Hilfe in schweren persönlichen Krisen oder familiären Konflikten auswirken.

Die Furche: Die schwersten psychischen Folgeerscheinungen kommen dann, wenn die erste Arbeit getan ist und das wahre Ausmaß der Katastrophe sichtbar wird. Viele haben alles verloren - die Bilder ihrer Kinder, die sichtbaren Erinnerungen an ihr Leben, das, was für sie den Sinn des Lebens ausgemacht hat. Was können Sie diesen Menschen mitgeben?

Karner: Ich hoffe, wenigstens einen Funken Hoffnung und Lebensmut. Das Gefühl, dass man gemeinsam eine neue Orientierung findet und Weichen in die Zukunft stellt. Mit ein bisschen eigener Kraft und der Unterstützung vieler ist nichts so schlimm, dass man nicht doch noch einen Sinn im Leben findet.

Das Gespräch führte Gerald Heschl.

Gegen die langfristigen Folgen der Katastrophe

"Das Hochwasser hinterlässt neben den äußeren materiellen Schäden massive psychische Folgen. Es zerstört Häuser genauso wie Menschen. Psychische Probleme sind die langfristigen Folgeschäden der Katastrophe." Die 1968 geborene Diplomsozialarbeiterin Angelika Karner steht an vorderster Front, wenn es um die Unterstützung vom Hochwasser geschädigter Menschen geht. Karner arbeitet seit 1990 bei der Caritas St. Pölten und leitet seit 1995 den Psychosozialen Dienst (PSD) in Krems. Nachgehende, mobile Hilfe bei seelischen Krisen, psychiatrischen Erkrankungen und Suizidgefährdung sind die Kennzeichen des Psychosozialen Dienstes (PSD) der Caritas St. Pölten. Jetzt konzentrieren sich die drei regionalen Einsatzstellen im niederösterreichischen Wald- und Mostviertel auf die Hilfe für Hochwasseropfer, deren Angehörige und die Helfer.

Mehr Informationen unter:

www.stpoelten.caritas.at

Betroffene der Hochwasserkatastrophe erhalten Informationen unter der Caritas-Hotline 0810/820 8801

Der Psychosoziale Dienst Krems ist unter der

Nummer 02732/76100 zu erreichen.

Die Caritas bittet um Spenden für die Hochwasseropfer unter der PSK-Nummer 7.700.004.

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