Workshop Ben-ABBA - © Foto: Amela Risti

Die Folgen der Schoa, persönliche Brüche und wie aus Scherben Neues entsteht

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Es gibt immer weniger Holocaust-Zeitzeugen. Ihre Wunden prägen aber Familien über Generationen. Künstlerin Alexandra Ben-Abba im Interview über die Erforschung der eigenen Identität.

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Es gibt immer weniger Holocaust-Zeitzeugen. Ihre Wunden prägen aber Familien über Generationen. Künstlerin Alexandra Ben-Abba im Interview über die Erforschung der eigenen Identität.

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Am 12. März vor 85 Jahren erfolgte der „Anschluss“ Österreichs an Nazideutschland. Die letzten Zeitzeugen, die das „Niemals wieder“ lebendig halten, verstummen jedoch. „Man kann nicht wiedergutmachen, was passiert ist. Aber wenn man die Scherben ansieht, kann man daraus zumindest etwas lernen“, sagt Alexandra Ben-Abba. In ihren internationalen „Broken Pieces“-Workshops lädt die israelische Künstlerin zur kreativen Auseinandersetzung mit individuellen und gesellschaftlichen bzw. historischen Brüchen ein. Ein Gespräch über die Kraft der Unvollkommenheit und den künstlerischen Umgang mit den Scherben der Schoa.

DIE FURCHE: In Ihren Glasperformances laden Sie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter dem Motto „Broken Pieces“ ein, sich mit dem eigenen Leben auseinanderzusetzen. Wie läuft das ab?

Alexandra Ben-Abba: Glas ist einfach ein faszinierendes Material, ich denke nicht nur für mich, sondern für viele Menschen. In meinen Workshops bitte ich die Gäste, Alltagsobjekte wie Teller oder Gläser mitzubringen und eine etwas andere Perspektive dazu einzunehmen, indem sie sie zerbrechen und aus den Teilen mit Kitt, Kleber und Farbe etwas Neues schaffen. Die Phrase What’s on your plate? – Was ist auf deinem Teller? – bedeutet im übertragenen Sinn auch „Welche Erfahrungen machen dich aus, welche Rollen nimmst du ein?“. Es geht also letztendlich um die Erforschung der eigenen Identität, der eigenen Geschichte und der eigenen Lebensbrüche. Was davon die Menschen vor sich selbst, aber auch vor der Gruppe „auf den Tisch legen“ und wie sehr sie dabei in die Tiefe gehen, ist ihre persönliche Entscheidung. Manche nutzen den Workshop zum Austausch, andere arbeiten ruhig an ihrem Objekt, ohne sich mitzuteilen. Jede Gruppe ist komplett anders, je nachdem, wie groß sie ist und welchen Hintergrund sie hat.

DIE FURCHE: Das, was bei den Menschen hier „auf dem Teller liegt“, sind ja zunächst – nicht zufällig– Scherben. Welche Bedeutung haben diese „broken pieces“ in diesem Prozess?

Ben-Abba:Das ist tatsächlich sehr spannend, wie unterschiedlich die Menschen reagieren. Manche haben kindlichen Spaß daran, mit dem Hammer auf das Glas zu hauen, andere trauen sich kaum, weil man so etwas im Alltag nicht macht. Und dann ist bei vielen der erste Impuls, die Teile wieder zusammenzusetzen, damit es so perfekt wie möglich aussieht. Ich versuche ihnen zu vermitteln: Es muss nicht wieder heil werden. Zerbrochenes kann auch gar nicht heil werden.

Ich möchte die Menschen dazu einladen, die Chance zu nutzen, zu verstehen, dass es in Ordnung ist, wenn etwas zu Bruch geht, dass man damit arbeiten, dass etwas Neues daraus entstehen kann, dass nichts vollkommen sein muss. Und dass man in diesem Prozess auch zusammenhelfen kann. Die Menschen können sich meist zunächst nicht vorstellen, dass man aus einer zerbrochenen Flasche trinken, auf einer Scherbe essen kann. Im Workshop zeige ich ihnen, dass das geht. Ich habe diesen Workshop einmal in Israel mit psychiatrischem Pflegepersonal gemacht, das war großartig. Therapeuten und Sozialarbeiter verstehen die Metaphorik dahinter so klar, weil sie eben mit Menschen arbeiten, die seelische Wunden haben.

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