"Die Frau als Besitz des Mannes"

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"Frauen, ich stehe hier für euch", sagte Waris Dirie, als ihr der "Oscar-Romero-Preis" der Katholischen Männerbewegung überreicht wurde. Warum ihr gerade dieser Oscar viel wert ist und wie sie den Kampf gegen Genitalverstümmelung fortsetzen will, erläutert Dirie im furche-Gespräch.

Die Furche: Frau Dirie, haben Sie je damit gerechnet, einen Oscar zu bekommen?

Waris Dirie: Ja, natürlich, ich war mir nur nicht sicher, für welche Rolle. Nein, im Ernst: Der Oscar-Romero-Preis bedeutet mir sehr viel. Es ist das erste Mal, dass ich und mein Anliegen einen Preis von einer Männerorganisation bekommen. Weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation; FGM) ist nach wie vor ein Tabu-Thema und wird von Frauen an Frauen durchgeführt, und Männer haben meist keine Ahnung, welch großes Leiden FGM bei einer Frau verursacht.

Die Furche: Wie groß ist die Mitschuld von Männern an FGM? Ist es nach wie vor so, dass unbeschnittene Frauen in bestimmten Gesellschaften keinen Ehemann finden?

Dirie: Ja, das ist immer noch so. Zum Glück ändern zwar viele Männer ihre Einstellung, aber das geht sehr langsam. Denn würden alle Männer sagen, wir wollen das nicht mehr, würde innerhalb einer Generation keine Frau mehr verstümmelt werden. Andererseits: Wäre FGM ein reines Männerproblem, wäre es schon längst gelöst.

Die Furche: Es heißt: Am perfektesten machen Menschen böse Dinge, wenn sie diese aus bester Absicht heraus tun. Ist das auch bei der Genitalverstümmelung von Frauen der Fall? Lassen Eltern ihre Kinder mit bestem Gewissen verstümmeln?

Dirie: Das stimmt absolut. Die Eltern, besonders die Mütter, sind überzeugt, das Richtige zu tun. In den Genitalverstümmelung bei Frauen praktizierenden Gesellschaften ist FGM ein wichtiger Übergang zum Erwachsenwerden und die Voraussetzung für eine Heirat. In den Augen der Mütter in diesen Gesellschaften ist es das Schlimmste, was einer Frau passieren kann, keinen Mann zu finden. Das alles ist keine Entschuldigung - aber man muss die Motivationen verstehen, wenn man etwas dagegen tun will.

Die Furche: Woher kommt diese Tradition? Gibt es soziale, gesellschaftliche, wirtschaftliche Faktoren, die ihre Herkunft erklären?

Dirie: In manchen afrikanischen Ländern ist es eine tausende Jahre alte Tradition: Man hat sogar verstümmelte ägyptische Mumien gefunden. Ein Hintergrund für die Genitalverstümmelung ist die Anschauung, dass die Klitoris der männliche Teil der Frau und die Vorhaut der weibliche Teil des Mannes ist - beides muss man entfernen, um erwachsen zu werden und heiraten zu können. In anderen Ländern breitet sich FGM gerade erst aus, wie etwa in Malaysia oder Indonesien. Dort hat es mit einer bestimmten Auslegung des Islam zu tun, die aber durch den Koran keineswegs gedeckt ist. Gemeinsam ist: Dahinter steht ein Bild der Frau als Objekt, als Besitz des Mannes. Die Frau soll keine eigenständige Sexualität haben.

Die Furche: Welche Rolle spielen bestimmte Schönheitsideale?

Dirie: Schönheitsideale spielen dabei keine große Rolle. Das ist eher in Europa und den USA der Fall, wo sich inzwischen Tausende Frauen im Namen der Schönheit freiwillig genital verstümmeln lassen. Denn auch die Verkleinerung der Schamlippen und der Klitoris beeinträchtigt das sexuelle Empfinden und gilt laut Weltgesundheitsorganisation WHO als Genitalverstümmelung.

Die Furche: Kann man in Ihrem speziellen Fall sagen, dass Sie zuerst Opfer und später gefeierter Star von unterschiedlichen Schönheitsidealen geworden sind?

Dirie: Man ist auch als gefeierter Star Opfer von Schönheitsidealen. Aber ich habe mich davon nie sehr beeinträchtigen lassen.

Die Furche: Womit müssen Mädchen rechnen, wenn sie in Regionen, wo FGM üblich ist, nicht beschnitten werden?

Dirie: "Unbeschnittene" ist ein schlimmes Schimpfwort. Solche Mädchen werden als unsauber, als Schande für die Familie, das Dorf angesehen. Man spricht nicht mit ihnen, sie sind Außenseiterinnen.

Die Furche: Und wie gelingt es Ihnen, diese Denkmuster aufzubrechen?

Dirie: Das Herzstück unserer Arbeit ist Aufklärung: Ich versuche den Menschen zu erklären, welche schlimmen Folgen FGM hat, wie viele Gesundheitsprobleme, welch große Schmerzen die Genitalverstümmelung bei Frauen verursacht: bei der Menstruation, beim Geschlechtsverkehr, bei einer Entbindung. Und ich sage immer wieder: Genitalverstümmelung ist keine Tradition. FGM hat nichts mit Kultur oder Religion zu tun. Es ist ein Verbrechen.

Die Furche: Woher kommt Ihnen der meiste Widerstand entgegen?

Dirie: Der Widerstand kommt von vielen Seiten: Von Männern und Frauen, die an der so genannten Tradition festhalten wollen, von fanatischen Predigern, aber auch von Europäern, die meinen, man solle nicht in fremde Kulturen eingreifen. Ein Argument, das ich übrigens für zutiefst rassistisch halte. Aber auch die Art der Berichterstattung im Westen macht die Dinge nicht leichter: Man zeigt mit dem Finger auf betroffene Frauen und nimmt ihnen alle Würde. Das ist nicht hilfreich.

Die Furche: Stimmt es, dass es oft gerade Frauen sind, die fürchten, mit dem Ende von FGM würde ihnen etwas Wertvolles genommen?

Dirie: Die Frauen, die das selbst mitgemacht haben, wenden oft sehr viel Energie auf zu sagen: Das war richtig, das musste so sein. Wenn sie aber in einem geschützten Umfeld ohne Druck darüber reden können und erfahren, dass die vielen Probleme, die sie haben, auf die Verstümmelung ihrer Genitalien zurückgehen, sind sie fast ausnahmslos dagegen.

Die Furche: Wie rechtfertigen Beschneiderinnen Ihre Arbeit? Bieten Sie diesen Frauen etwas an, damit sie ihren Beruf aufgeben?

Dirie: Beschneiderinnen haben eine starke Stellung in diesen Gesellschaften, sie müssen sich nicht rechtfertigen: Die Tradition reicht als Begründung. Und ich biete ihnen gar nichts an. In Afrika gibt es viele Millionen Menschen, die hungern und kein Einkommen haben. Warum sollte man diese Frauen, die so viel Leid verbreitet haben, auch noch dafür belohnen? Das wäre ein Schlag ins Gesicht jener Frauen, die gegen FGM kämpfen und deshalb in größte Schwierigkeiten geraten, ausgestoßen und verfolgt werden. Diese Frauen muss man unterstützen, nicht die Beschneiderinnen.

Die Furche: Laut Ihrer Schätzung leben rund 8000 Frauen, die von Genitalverstümmelung betroffen sind, in Österreich. Sind das ausschließlich eingewanderte Frauen oder wird auch hierzulande FGM praktiziert?

Dirie: Es werden auch in Österreich Genitalverstümmelungen durchgeführt. Wir wissen aber nicht, wer das tut und wo. Es gibt zwar ein Gesetz, das FGM in Österreich verbietet, doch es ist nicht sicher, ob dieser Rechtsschutz ausreicht. Vor allem fehlt es aber an Wissen: Die Frauen stoßen auf völliges Unverständnis bei Ärzten, Sozialarbeitern, Asylbehörden... FGM ist ein weltweites Problem, und es ist falsch zu sagen: Das machen nur irgendwelche barbarischen Völker in Afrika, das geht uns nichts an. Genitalverstümmelung geht uns alle an.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Fünf Kamele für eine unbezahlbare Frau

"Ihr Wirken hat Vorbildcharakter für alle, die sich für Entwicklung und gegen Diskriminierung einsetzen", begründete der Vorsitzende der Katholischen Männerbewegung (KMB) Raimund Löffelmann die Verleihung des Oscar-Romero-Preises an UN-Sonderbotschafterin Waris Dirie. Die Verleihung des Preises veranlasst die KMB gemeinsam mit den SPÖ-Frauen zur Forderung, weibliche Genitalverstümmelung als Asylgrund anzuerkennen: "Frauen, denen Genitalverstümmelung droht, oder die sie bereits erleiden mussten, sollen nicht monatelang auf ein Urteil warten müssen, mit der ständigen Angst vor Abschiebung, sondern sollen als Menschen, die sich gegen eine diskriminierende Tradition zur Wehr setzten, offene Türen vorfinden." Aufgewachsen bei den Nomaden in der Wüste Somalias, sollte Waris Dirie im Alter von 13 Jahren zum Gegenwert von fünf Kamelen mit einem alten Mann verheiratet werden. Sie flüchtete nach Mogadischu und weiter nach London, brachte sich selbst Lesen und Schreiben bei und kämpfte mit Hilfe von Scheinehen um ihren Verbleib in Europa - bis sie als Fotomodell entdeckt wurde. Eine spektakuläre Karriere in der Modebranche folgte: Dirie brachte es als erstes schwarzes Model auf die Titelseite der "Vogue". 1997 bekannte Waris Dirie, dass sie als Kind Opfer von Genitalverstümmelung geworden war. Seitdem kämpft sie - auch mit ihren Büchern "Wüstenblume" und "Nomadentochter" - gegen "Female Genital Mutilation", ein Ritual, dem weltweit täglich rund 6000 Mädchen zum Opfer fallen: Dabei werden die inneren Schamlippen und die Klitoris entfernt und die Scheide bis auf eine kleine Öffnung zugenäht.

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