Die Freiheit hat ihre Tücken

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Welche Werte verteidigen wir - Menschen, Grenzen, Eigentum, Ideale?

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Welche Werte verteidigen wir - Menschen, Grenzen, Eigentum, Ideale?

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Das Revolutionsjahr 1848, der Bürgerkrieg 1934, die Studentenproteste 1968, der Kampf um die Hainburger Au 1984: die österreichische Geschichte kennt nur wenige einschneidende Daten, die die Österreicher auf die Barrikaden brachten. Und selbst diese Daten spielen im kollektiven Gedächtnis keine große Rolle, wie gerade das Jubiläumsjahr 1998 deutlich zeigt. Die Revolution von 1848 schuf keine großen Mythen, der Verlauf und die Folgen der Ereignisse sind weitgehend unbekannt, nur "Die Presse" ist 150 Jahre alt und hat wirklich einen Grund zum Feiern. Der Bürgerkrieg von 1934 ist erfolgreich verdrängt, und auch die Erinnerung an das Jahr 1968 ruft keine Emotionen mehr hervor.

Wofür wurde in den angeführten Jahren eigentlich gekämpft? Bei aller oberflächlicher Unterschiedlichkeit läßt sich ein Grundwert feststellen, der nicht nur in Österreich, sondern weltweit und zu allen Zeiten Widerstandsbewegungen, Aufständen und Revolutionen zugrundeliegt: der Kampf um die Freiheit. Auch wenn es vordergründig um den Erhalt einer Au geht, dahinter steht die Ablehnung staatlicher Willkür, der Wunsch, in wichtigen Fragen ernst genommen und gehört zu werden, kurz: die Selbstbestimmung und damit die Freiheit der Bürger zu erhöhen.

Doch die Freiheit hat, so einfach und klar sie auch auf den ersten Blick zu sein scheint, ihre Tücken. Der Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung ist keineswegs unproblematisch. Das liegt zum einen daran, daß der Geltungsbereich der Freiheit oft sehr selektiv definiert ist. Meist kämpfen Teile der Bevölkerung für ihre Freiheit, alle anderen aber sollen davon ausgeschlossen bleiben. Oft wird in diesem Zusammenhang der Begriff der Freiheit als Legitimationsargument mißbraucht, nur um selbst die Herrschaft zu erringen. Die Französische Revolution liefert ein deutliches Beispiel: Trotz der wortreichen Erklärungen von Menschenrechten, von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, ging es letztlich nur um die Freiheit und die Macht des Bürgertums, auf Kosten der bis dahin herrschenden Schichten und unter dezidiertem Ausschluß der breiten Mehrheit der Bevölkerung, die eben nicht zum Bürgertum gehörte.

Ein weiteres Problem mit der Freiheit liegt darin, daß sie in einem ständigen Spannungsverhältnis zur Ordnung steht. Ordnung und Sicherheit sind die Voraussetzungen der Freiheit, gleichzeitig aber auch ihre Bedrohung. Zwischen diesen beiden Polen einen Ausgleich zu finden, ist die große Herausforderung an den modernen Staat, die dieser durch die liberale Demokratie zu bewältigen versucht.

Freiheit bedeutet auch Verantwortung. Wurde die Freiheit erkämpft, muß sie mit positiven Inhalten ausgestaltet werden. Sie muß insbesondere den Respekt vor der Freiheit der anderen einschließen, auch gegenüber jenen, denen man die Freiheit abgerungen hat. Nur wenn die Freiheit nicht auf bestimmte Bevölkerungsteile beschränkt bleibt, kann sie ihren Wert entfalten, nur dann ist sie auch ein Wert, für den zu kämpfen es sich lohnt.

Die Französische Revolution hat - um dieses Beispiel noch einmal zu verwenden - diese Herausforderung nicht bestanden. Sie hat vielmehr der Freiheit durch ihren selektiven Mißbrauch großen Schaden zugefügt.

Wer für die Freiheit kämpft, sollte sich daher stets vergewissern, für wessen Freiheit er kämpft und wie diese Freiheit aussehen soll.

Doch Österreich hat, wie schon eingangs erwähnt, keine große Tradition in Freiheitskämpfen. Noch heute scheinen sich nicht nur die Obrigkeit, sondern vor allem die Untertanen angesichts ihres Aufbegehrens wie einst Kaiser Ferdinand der Gütige zu fragen: "Ja, dürfen's denn das?"

Es bieten sich mehrere Interpretationsmöglichkeiten an, warum das so ist. Die häufigste Erklärung ist jene, daß die Österreicher zu obrigkeitsgläubig, zu wenig emanzipiert seien, um ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Vielleicht war die Obrigkeit auch stets klug genug, ein ausreichendes Maß an Freiheit zuzulassen.

Vielleicht ist aber auch nicht die Freiheit des Österreichers wichtigster Wert, sondern die Unzufriedenheit. Und der Kampf für letztere spiegelt sich nicht in heroischen Taten wider, er wird weder auf Barrikaden noch mit der Waffe in der Hand geführt. Dieser Kampf spielt sich im Verborgenen ab und erleidet immer dann eine kleine Niederlage, wenn ein Österreicher auf die Frage nach der Befindlichkeit antworten muß: "Ich kann nicht klagen."

Helmut Lang Als Fünfter des Furche-Essay-Wettbewerbes 1998 (die Beiträge der ersten vier erschienen in Furche 26/98) kam der gebürtige Grazer, Jahrgang 1968, wie 1997 (da war er sogar Zweiter) wieder auf einen Spitzenrang. Helmut Lang erwarb 1997 das Magisterium der Philosophie (Politikwissenschaft und Publizistik und Kommunikationswissenschaft) und dissertiert derzeit zum Thema "Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft 1998".

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