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An ihnen entzünden sich besonders heftige Diskussionen über Integration: an den Migrantinnen und ihren angeblichen Unfreiheiten. Sie werden oftmals als passive Opfer von Gewalt gezeichnet – zu Recht?

Drei Frauen türkischer Herkunft plaudern in einem Wiener Café, als sie ein unbekannter Mann am Nebentisch anspricht und fragt, welche Sprache sie denn sprechen würden. Die Absicht der Frage wird sogleich klarer, pures Interesse an Sprachen war es nicht, denn er will wissen, ob die Frauen zwangsverheiratet seien. Diese Episode erzählt Gamze Ongan, und sie war eine dieser drei Frauen. Die gebürtige Türkin lebt seit 1986 in Wien und leitet die Einrichtung „Peregrina“, ein Bildungs-, Beratungs- und Therapiezentrum für Migrantinnen.

Für sie macht dieses Erlebnis vor allem eines klar: Migrantinnen sind in den Köpfen vieler Menschen oftmals nur eines: wahrscheinliche Opfer: Unterdrückt aufgrund patriarchaler Strukturen, in die Mutter- und Hausfrauen-Rolle gedrängt, und zudem potentielles und auch tatsächliches Opfer von Gewaltdelikten, die im Namen der Tradition geschehen, wie Zwangsehen, Genitalverstümmelungen oder Ehrenmorde.

Kritik am „Kulturdelikt“

Besonders Medien greifen diese Themen gerne auf. Auch Politikerinnen nehmen dazu Stellung, oft mit gutgemeinten Absichten, um aufzuklären, wachzurütteln und um zu helfen. Zuletzt prägte VP-Innenministerin Maria Fekter den Begriff „Kulturdelikt“, um Straftaten wie Genitalverstümmelung, Zwangsehen und Ehrenmorde zusammenzufassen (siehe Seite 3). Ihre Parteikollegin, die ehemalige Frauen- und Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat sprach in ihrer Initiative gegen diese Formen von Gewalt gegen Frauen von „traditionsbedingter Gewalt“. Und trotzdem – das Engagement stößt vor allem bei Vertreterinnen von Migrantinnen, bei Feministinnen und Wissenschaftlerinnen mit oder ohne eigene(r) Migrationserfahrung auf Kritik, auch auf Selbstkritik: Denn diese Diskussion würde skandalisieren und sensationalisieren, aber der Nutzen sei bisher begrenzt. Warum?

Anstelle der Skandalisierung sollte eine Sensibilisierung treten, betont Ganze Ongan. „Und wenn schon skandalisiert wird, dann sollten auch die anderen Probleme angesprochen werden, welche die Existenz von Migrantinnen erschweren, vor allem fremdenrechtlicher Natur“, fordert Ongan. Beratungsangebote und Veränderungen im Fremdenrecht würden Opfer von Gewalt unter zugewanderten Frauen eher helfen als neue Begriffe wie „Kulturdelikte“. Für Ongan ein völlig abzulehnender Begriff, der Gewalt entweder zu rechtfertigen versucht oder ganze Gruppen unter Generalverdacht stellt.

Ongan verweist auf Erfahrungen ihrer Beratungsstelle. Rund 2200 Frauen würden jährlich bei „Peregrina“ Hilfe suchen: In den letzten Jahren stieg die Anzahl jener Frauen, die von Armut bedroht sind, von sechs auf 22 Prozent an. Der Anteil der Frauen, die wegen familiärer Gewalt Rat suchen, liegt laut Ongan konstant bei circa fünf bis sieben Prozent. Dass zugewanderte Familien laut Migrantinnenbericht 2007 des Frauenministeriums (siehe unten) doppelt so häufig von Armut bedroht seien als Familien, die keinen Migrationshintergrund haben, werde nicht im gleichen Ausmaß skandalisiert, beklagt Ongan. Diese Armutsgefährdung trifft die Frauen aber noch stärker.

Die Armut werde vor allem durch fremdenrechtliche Bestimmungen verursacht, erklärt Katharina Echsel, Juristin und Beraterin bei „Peregrina“. Die Schlüsselwörter: Mindest-Einkommensnachweis, Aufenthaltstitel und Arbeitsmarktzugang. Zwar wurde der Zugang zum Arbeitsmarkt für manche Migrantengruppen erleichtert, aber nicht für alle: Hat ein Migrant eine befristete Aufenthaltsbewilligung und die Integrationsvereinbarung (den Nachweis der Sprachkenntnisse) noch nicht erfüllt, bekommt seine nachgezogene Ehefrau keinen Arbeitsmarktzugang. Weist er aber nicht genügend Einkommen nach, was ohne die Mithilfe der Frau kaum machbar ist, bleibt sein Aufenthaltstitel befristet und die Frau kann nicht arbeiten. Ein Teufelskreis, den Echsel als eines von vielen Beispielen skizziert.

Ebenso schwierig ist die Situation für Frauen von gewalttätigen Männern, darunter würden auch Opfer von Zwangsehen fallen. In der Regel bekommt die nachgezogene Frau erst nach fünf Jahren einen eigenen Aufenthaltstitel. Bei Gewalt kann dieser auch früher gewährt werden, aber nur, wenn diese Gewalttaten offiziell wurden, also eine Anzeige, Wegweisung oder ein Aufenthalt in einem Frauenhaus dokumentiert sind. Wurde die Gewalt nicht offiziell, könnte sie nur einen eigenen Aufenthaltstitel erhalten, wenn sie genügend Einkommen nachweisen kann, doch viele dieser Frauen arbeiten in prekären und niedrig bezahlten Jobs. Frauen, die sich innerhalb dieser fünf Jahre scheiden lassen wollen und oftmals mit Schulden und Wohnungsverlust zurückbleiben, müssen um ihr Recht auf Aufenthalt fürchten.

Wer Opfern von Gewalt helfen möchte, müsste hier ansetzen, betonen die Mitarbeiterinnen von „Peregrina“. Doch genau diese Fragen würden ungern thematisiert. „Reden wir vielleicht lieber über die Probleme, deren Ursprung wir den ‚rückständigen‘ Migrantinnen und Migranten zuschreiben können?“, schreibt Ongan in einem Beitrag für den Sammelband „Zwangsfreiheiten. Multikulturalität und Feminismus“, der eben erschienen ist. Das Buch setzt sich mit einem schwer lösbaren Dilemma auseinander: Auf der einen Seite warnen manche Feministinnen, dass tatsächliche Gewalt gegen Migrantinnen und Frauen anderer Kulturen aus „Toleranz“ unter den Teppich gekehrt würden.

Andererseits wird die Gefahr beschrieben, dass diese Diskussion Migrantinnen zu einer vermeintlich einheitlichen Gruppe, zu ständigen „passiven Opfern“ und „Anderen“ machen würde. So könnte ein Bedrohungsszenario entstehen, dass diese Menschen fremde Probleme zu uns bringen würden, also eine Gefahr von außen, die Diskussionen über strukturelle Gewalt und Zwänge in der eigenen Kultur überdeckt. Ein Beispiel: Auch in der westlichen Kultur würde der (weibliche) Körper Normierungen unterworfen, man denke an Schönheitsoperationen oder chirurgische „Korrekturen“ von als „uneindeutig“ bezeichneten Genitalien von Säuglingen, argumentieren Autorinnen des genannten Buches.

Blick auf die eigene Kultur

In einem Dialog, der Gewalt nicht an einer bestimmten Kultur festmacht, liegt für Expertinnen der weitere Schlüssel, um Tabus aufzubrechen, endlich Datenmaterial zu bekommen (denn zuverlässige Zahlen zu den angesprochenen Delikten gibt es nicht) und betroffene Frauen zu ermutigen, über diese Verbrechen zu reden und Hilfe zu suchen. Es bedürfe noch mehr Hilfsangebote für Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt wurden, egal aus welcher Kultur sie stammten.

Und, wie Gamze Ongan betont, es bedürfe vor allem eines anderen Klimas gegenüber Zuwanderern, dass man sie willkommen heißt und nicht „Bringer von vielen Problemen“.

ZWANGSFREIHEITEN. MULTIKULTURALITÄT UND FEMINISMUS.

Von Birgit Sauer, Sabine Strasser (Hrsg). ProMedia-Verlag, Wien 2008.

260 Seiten, brosch., € 24,90.

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