Die große Erregung

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Nach heftiger Kritik am geplanten Erlass zur Sexualerziehung fordert die Familienministerin nun einen "Neustart". Ein Überblick.

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Nach heftiger Kritik am geplanten Erlass zur Sexualerziehung fordert die Familienministerin nun einen "Neustart". Ein Überblick.

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Es war Ende Oktober 2014, als Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) mit der Ankündigung für Aufsehen sorgte, die Sexualerziehung modernisieren zu wollen. Am 23. März schickte ihr Ministerium schließlich ausgewählten Organisationen den Entwurf für einen neuen Grundsatzerlass zur "Sexualerziehung an den Schulen". Der bisherige Erlass, der zuletzt 1990 überarbeitet worden war, sollte an den neuen "Standards für Sexualaufklärung in Europa" der Weltgesundheitsorganisation WHO ausgerichtet werden. Bis 10. April gab man den Einrichtungen für eine Stellungnahme Zeit.

"Indirekter Kindesmissbrauch"

Die Folge war eine Welle der Empörung - vor allem von katholischer Seite. Neben der kurzen Begutachtungsfrist wurden vor allem vier Punkte kritisiert: Dem Entwurf mangle es an "Wertorientierung" ("Liebe" und "Familie" kämen als Begriffe gar nicht vor, kritisierte etwa der Katholische Familienverband Österreichs); die Eltern würden ihrer zentralen Erziehungsverantwortung beraubt, insbesondere im hochsensiblen Bereich der Sexualerziehung; der Entwurf sei "indirekter Kindesmissbrauch", weil die Auseinandersetzung mit Pornografie bedeuten könne, dass im Unterricht als Anschauungsmaterial Pornos gezeigt würden oder die Forderung nach "Körperkompetenz" dazu führen könnte, dass Erwachsene Kinder zu sexuellen Handlungen auffordern; und schließlich sei der Entwurf durch sein Plädoyer für eine "Sexualpädagogik der Vielfalt" von einer "Ideologie des Gender-Mainstreamings" und der "Loslösung vom biologischen zu einem rein sozialen Geschlecht" geprägt, wie die Publizistin Gudula Walterskirchen in einem Gastkommentar für die Presse kritisierte. Auch eine Protest-Plattform (www.sexualerziehung.at) hat sich gebildet, auf der kritische Beiträge dokumentiert sind -unter anderem jener des Rechtsanwalts Tassilo Wallentin, der in der Kronen Zeitung über den "Heinisch-HoSex-Plan" polemisiert hatte.

Die Kritik rief nun Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) auf den Plan: Gegenüber der Presse forderte sie nicht nur eine Überarbeitung des Erlasses, sondern einen "Neustart": Sexualerziehung zu "verstaatlichen", entspreche "sicherlich nicht dem Wunsch der Eltern", so Karmasin.

Tatsächlich stand der Erlass durch die intransparente Kommunikationspolitik des Ministeriums und die kurze Begutachtungsfrist von vornherein unter keinem guten Stern. "Wir haben den Erlass gar nicht bekommen, obwohl wir seit Jahren Workshops zu Liebe, Sexualität und Fruchtbarkeit anbieten", erklärt etwa Martina Kronthaler, Generalsekretärin von "Aktion Leben Österreich", gegenüber der FURCHE. Auch die "prinzipiell sehr vagen Formulierungen" des Erlasses kritisiert sie -sowie seine "generell fehlende Orientierung am Du". Dass es eine neue, professionellere Form der Sexualpädagogik an den Schulen braucht, ist für sie jedoch unbestritten. "Es wäre wichtig, gerade in diesem Bereich externe Sexualpädagogen an die Schulen zu holen, damit Kinder und Jugendliche ihre Fragen in geschütztem Rahmen stellen können." Welche Institution beauftragt würde, sollten Schule und Eltern gemeinsam entscheiden.

"Fachfremde Hetze"

Auch der Innsbrucker Sexualtherapeut und Psychoanalytiker Josef Christian Aigner (vgl. FURCHE Nr. 12) plädiert für den vermehrten Einsatz externer, speziell ausgebildeter Sexualpädagogen -und für entsprechende Ressourcen. Ansonsten sei die Aufregung über den Erlass jedoch "völlig unnötig", schrieb er in einer Presse-Replik auf Walterskirchen -und ärgert sich im Gespräch mit der FURCHE über die "fachfremde Hetze" auf www.sexualerziehung.at. "Niemand wird im Unterricht mit den Kindern Pornos anschauen, aber er soll darauf Bezug nehmen, welche Bilder und Videos sie austauschen -zu ihrem Schutz", so Aigner. Dass Kinder durch die bloße Thematisierung sexueller Praktiken dazu verführt würden, sie auch anzuwenden, sei "nachweislich nicht der Fall". Auch ein "Diktat der Gendernivellierung", der er selbst kritisch gegenüberstehe, könne er im Erlass nicht entdecken. Und die Ängste von Familien, dass ihre eigene Wertkultur ausgehöhlt würde? "Es steht dezidiert im Erlass, dass die Zusammenarbeit mit den Eltern gesucht werden soll", betont Aigner. "Außerdem berücksichtigt jede gute Ausbildung in Sexualpädagogik kulturelle Differenz."

Viel Stoff also für die weitere Debatte. Von 5. bis 7. Juni geht sie in St. Pölten in die nächste Runde (vgl. letzte FURCHE S. 15): Betont konservative Stimmen werden hier über "Herausforderungen für eine entwicklungssensible Sexualpädagogik" diskutieren.

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