Die Herausforderung Klassenzimmer

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Rund 25 Top-Absolventen von Universitäten unterrichten ab Herbst an Brennpunktschulen. Sie sollen davon ebenso profitieren wie die Schüler.

Mit einem Lehramtsstudium können sie nicht aufwarten. Sie haben Quantenphysik, Wirtschaftspsychologie, medizinische Informationstechnologie oder Afrikanistik studiert. Und sie alle verfügen über einen überdurchschnittlich weiten Erfahrungshorizont, persönlich wie fachlich. Genau das ist ihr Kapital: "Die Welt da draußen“, die sie möglichst oft in die Klassenzimmer holen sollen.

Die ersten 25 Fellows der Bildungsinitiative "Teach for Austria“ werden derzeit in einer sechswöchigen Vorbereitungsphase in Salzburg für ihren Schuleinsatz fit gemacht. Sie haben ein mehrstufiges Auswahlverfahren bestanden, das neben ihrer Fachkompetenz und pädagogischen Eignung auch Eigenschaften wie Offenheit, Empathie, Durchhaltevermögen und Führungsqualitäten testete. Ab Herbst werden sie für zwei Jahre an Hauptschulen, Neuen Mittelschulen und Polytechnischen Schulen in Wien und Salzburg unterrichten.

Öffnung eines starren Systems

"Wir wollen an jener Stelle im Bildungssystem eingreifen, wo die soziale Schere auseinandergeht: Bei den Zehn- bis Vierzehnjährigen“, erklärt Walter Emberger, der das international erfolgreiche Bildungsprojekt nach Österreich geholt hat. Um Partner-Schulen zu finden, hat der ehemalige Vizerektor der Privatuniversität Schloss Seeburg in Salzburg viele Gespräche mit Lehrkräften und Schulleitungen geführt. Auch mit Edeltraud Fellner, der Direktorin der Neuen Mittelschule Salzburg-Taxham. Sie hat "Teach for Austria“ von Anfang an begleitend beraten. Ihre Schule erhält ab Herbst einen Fellow im Fach Mathematik. Die Akzeptanz innerhalb ihrer Lehrerschaft ist da: "Die Kollegen sind vorbereitet auf die neue Situation. Die Öffnung eines relativ starren, alten Systems tut allen Beteiligten gut“, ist die Direktorin überzeugt.

Ein Zusammenspiel aus kontinuierlichen Fortbildungen und Coachings soll den Fellows Rückenstärkung geben. "Ich erwarte mir, dass die Kinder sich durch unseren Fellow mehr der Forschungs- und Arbeitswelt öffnen und eine Mentalität des Anpackens entwickeln“, sagt Fellner.

Adib Reyhani ist einer der 25 ausgewählten Fellows. "Anpacken“ kann er, denn er hat bereits Kinder- und Jugendgruppen geleitet, Kultur-Events organisiert und Nachhilfe erteilt. Der 28-jährige Volkswirt möchte seinen Schülern mehr als nur Formeln beibringen: "Ich will ihr Selbstbewusstsein stärken, ihnen eine Vision davon vermitteln, was aus ihnen werden kann. Viele Kinder erfahren nicht, welche Türen ihnen offenstehen.“ Auch nach seinem Schuleinsatz möchte Reyhani als Mentor den Bildungsweg und Berufseinstieg mancher Schützlinge begleiten. "Unser Ziel lautet nicht unbedingt, die Quote an Hochschulabsolventen zu erhöhen, sondern gemeinsam weiterführende Schulen oder auch geeignete Lehrstellen zu finden“, berichtet Reyhani.

Nach einer vierjährigen Tätigkeit in der Management- und Unternehmensberatung will er "endlich etwas Sinnvolles machen“. Bei "Teach for Austria“ sagt ihm das hohe Maß an Professionalität zu: "Wir erhalten eine Top-Ausbildung von Spitzen-Trainern aus ganz Europa und arbeiten mit aktuellen Studienergebnissen. An dieses Schulprojekt gehen wir mit genau so viel Planung und Zeitaufwand heran wie an ein Millionenprojekt in der Privatwirtschaft.“ Doch schon das Auswahlverfahren hat Reyhani als wohltuend anders empfunden: "In der Wirtschaft ging es oft darum, recht zu behalten und der Stärkere zu sein. Hier zählt es, selbstreflektiert zu sein und auf andere einzugehen.“

Ab Herbst wird Reyhani an einer Neuen Mittelschule in Wien unterrichten. Als Sohn von Iranern in der Steiermark aufgewachsen, hat er eine besondere Sensibilität für andere Kulturen entwickelt: "Ich weiß, was es bedeutet, anders auszusehen, einen anders klingenden Namen zu haben. Die Mehrsprachigkeit der Kinder möchte ich als eine Ressource im Unterricht einsetzen.“ Der Neo-Lehrer hat hohe Erwartungen an sich und seine Schüler: "Ich bin überzeugt, dass unsere hochgesteckten Lernziele die Kinder zu ungeahnten Leistungen motivieren werden.“

Umstieg auch für Lehrer

Laut Unterrichtsministerium wird es 2023 ein Defizit von 50.000 Lehrkräften geben. Als eine Gegenmaßnahme könnten verstärkt Studierende und Quereinsteiger in den Klassen zum Einsatz kommen. "Quereinsteiger könnten im Bildungssystem viel Positives bewirken. Umgekehrt sollte es ebenso berufliche Umstiegsmöglichkeiten für Lehrer geben“, ist Projektgründer Emberger überzeugt. Er sieht in dem Zwei-Jahres-Modell von "Teach for Austria“ einen großen Vorteil: Die Leute unterrichten nur solange sie diese fordernde Arbeit bestmöglich bewältigen können.

"Teach for Austria“ will das Selbst- und Fremdbild der Lehrerschaft verbessern. Das Fazit der bisherigen Fellows lautet einstimmig: Diese zwei Jahre seien die härtesten und lehrreichsten ihres Lebens gewesen. "Danach sind sie am Arbeitsmarkt gefragt, denn sie haben bewiesen, dass sie mit unvorhersehbaren Situationen und mit dem Scheitern umgehen können“, weiß Emberger.

Den Einfluss der Fellows auf Leistungen und Selbstwert der Schüler wird Bildungswissenschafter Johannes Mayr von der Universität Klagenfurt in einer Studie erheben. Was der ultimative Erfolgsbeweis wäre? "Wenn wir in zehn Jahren die ersten Fellows finden, die durch unser Programm soweit gekommen sind“, muss Initiator Walter Emberger nicht lange überlegen.

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