Die Hüter der Freiheit - und des guten Geschäfts

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Ungeachtet harter Proteste und der Ersuchen bleibt das Video "Innocence of Muslim“ abrufbar. An der Schnittstelle von Meinungs- und von Religionsfreiheit entsteht ein Grundrechtskonflikt.

Diese Regel wurde am 15. Dezember 1791 beschlossen und hat soeben eine ihrer härtesten Proben bestanden: Das First Amendment to the United States Constitution verbietet es dem Kongress, ein Gesetz zu beschließen, welches die Freiheit der Rede verkürzen würde. Damit wurde Meinungsäußerungsfreiheit in Verfassungsrang gehoben. Mit dem Hinweis darauf erteilte der Internet-Konzern Google dem Weißen Haus vor wenigen Tagen ein Abfuhr: Angesichts der Proteste gegen das Video Innocence of Muslims und der damit verbundenen Todesopfer hatte US-Präsident Barack Obama - vergeblich - ersucht, die Ausstrahlung des Videos zu unterlassen.

Was sich derzeit weltweit in den Bildern der Zeitungen und des Fernsehens als Kampf der Kulturen und der Feindbilder zeigt, ist tatsächlich ein Konflikt um Meinungs- und Religionsfreiheit, der seine Ursache auch in den unterschiedlichen Auffassungen darüber hat, was damit gemeint ist.

Hoher Wert der Meinungsfreiheit

"Die Meinungsäußerungsfreiheit hat in den USA hohe Bedeutung“, sagt der Wiener Rechtsanwalt Gerald Ganzger. Er hatte es für einen Klienten geschafft, dessen als Opfer in Gerichtsakten genannten Namen von den Servern der Google-Tochter YouTube entfernen zu lassen. Das gelang unter Hinweis auf Daten- und auf Jugendschutz, wäre aber im gegenständlichen Fall wohl aussichtslos. Nicht einmal das Weiße Haus, zitiert Ganzger einen mit ihm in Wien kooperierenden US-Experten, würde es schaffen, die Verbreitung provokanter Inhalte zu verbieten. Er sollte recht behalten. Genau darin liegt der Ausgangspunkt für das Problem.

Es gebe keine weltweit einheitlichen Standards der Grundrechte, sagt der an der Universität Innsbruck tätige Europarechts-Experte Walter Obwexer: "Wir haben ein europäisches System des Schutzes der Menschenrechte, ein afrikanisches und ein amerikanisches, dazu zwei UN-Menschenrechtspakte und die nicht verbindliche Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.“

Doppelte Wirkung der Grundrechte

Die Gesetze gelten regional oder national, ein Video hingegen wird rund um den Globus verbreitet - genau das löst den Konflikt aus, der nochmals komplexer liegt.

Grundrechte wie die gegenständlichen wirken doppelt: So wie das Recht auf Meinungsfreiheit auch das Recht, jegliche Meinung zu empfangen, umfasst, beinhaltet das Recht auf Religionsfreiheit das Recht, nicht von jemanden anderen durch dessen Ausübung der Religionsfreiheit behelligt zu werden. Nun hat das World Wide Web eine technische Möglichkeit weltweiter Verbreitung von Meinung hergestellt, der allerdings eine ebenso weltweite gemeinsame, rechtliche und verbindliche Grundlage darüber fehlt, worin Meinungs- und Religionsfreiheit, worin Missbrauch von Freiheit und Verletzung religiöser Gefühle denn bestehen.

An diesem Punkt hält derzeit die Welt.

Nach der Verbreitung des Videos Innocence of Muslims protestieren "jetzt Personen dagegen, die ein erheblich weniger weitgehendes Grundrecht auf Meinungsfreiheit, wenn überhaupt eines, haben, bei denen aber die Freiheit der Religionsausübung und deren Schutz wesentlich mehr zählen“, sagt Obwexer. Die in den USA "großzügig angelegte Meinungsfreiheit“ würde nur territorial gelten, aber die Ausstrahlung dieses Videos gehe über deren Gebiet hinaus in Länder, wo es dieses Grundrecht nicht geben, andere Rechte hingegen größere Bedeutung hätten: "Das ist ein Konflikt“, meint Obwexer, "der sich nur lösen ließe, gäbe es eine internationale Konvention und einen entsprechenden Gerichtshof.“

Das alles fehlt - und an den unterschiedlichen Auffassungen von Meinungs- und Religionsfreiheit sind Vertreter islamischer Staaten und Organistionen mit Kritik und Protest schon öfter zerschellt. So etwa in den letzten Jahren im Zuge des Streites um - mäßig qualitätsvolle - Karikaturen des Propheten Mohammed in der dänischen Zeitung Jyllands Posten. In diesem Karikaturenstreit, so schreibt die deutsche Juristin Barbara Rox in ihrer heuer veröffentlichten Dissertation Schutz religiöser Gefühle im freiheitlichen Verfassungsstaat, hätten Muslime "auf allen Ebenen erfolglos um Rechtsschutz nachgesucht“. Und sie führt aus: Das auf eine Strafanzeige hin eingeleitete Ermittlungsverfahren in Dänemark wurde eingestellt. Der Versuch, Schadenersatz zu erlangen, misslang. Vor dem UN-Menschenrechtsausschuss wurde die Causa abgewiesen, weil der innerstaatliche Rechtsweg nicht ausgeschöpft worden sei.

So sieht scheitern aus.

Trotz der erheblichen Aufregung um die Mohammed-Karikaturen in Dänemark "gibt es bis heute dazu keine Judikatur, keine gesicherte Rechtsprechung“, erklärt der an der Wirtschafts-Universität Wien lehrende Völkerrechtler und Richter am Verfassungsgerichtshof, Christoph Grabenwarter. Der Schutz der Freiheit von Meinungsäußerung und von Kunst sei stark, auch "Unsinn ist durch Freiheit geschützt“. Dass ein Werk lediglich "schlecht oder gehaltlos ist, kann kein Maßstab sein“. Ein Kriterium, das in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen ist, sei hingegen öffentliche Ruhe und Ordnung. Das ist ein Ansatzpunkt.

Eingriff des Staates

Wie Grabenwarter sieht auch die an der Universität Linz lehrende Verfassungsrechtsexpertin Katharina Pabel einen möglichen Grundrechtekonflikt zwischen Meinungs- und Religionsfreiheit. Beide Verfassungsrechtler stellen aber die Frage, ab wann denn der Staat in diesen Konflikt einzugreifen hätte? Denn Kritik "ist ja erlaubt, die muss man sich gefallen lassen“, sagt Pabel. Die Kritik dürfe auch "schockierend und verstörend sein“, zitiert Pabel die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, die sich stark von Meinungsfreiheit leiten lasse. Einzugreifen hätte der Staat wohl dann, wenn es etwa aufgrund behaupteter Verletzung religiöser Gefühle zu nicht friedlichen Demonstrationen und zu Gewalttätigkeiten komme. Allerdings: "Damit wird nur auf die Auswirkungen reagiert, aber nicht der Konflikt gelöst.“

Tatsächliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit kennen die USA beim Aufruf zum Hass gegenüber religiösen, ethnischen oder anders definierten Gruppen (hate speech), nennt der Politikwissenschafter Anton Pelinka als ein Beispiel. Ein weiteres sei das hiesige Verbot, den Holocaust zu leugnen. Diese Beispiele zeigen, so Pelinka, dass "auch bei unbedingtem Beharren auf den Prinzipien der Religions- und der Meinungsfreiheit Grenzen existieren, existieren müssen.“ Diese seien "im Zweifel möglichst weit zu ziehen“, so Pelinka in seinem aus den USA übermittelten Statement: "Dass also die Freiheit das Prinzip und deren Begrenzung die Ausnahme zu sein hat, darauf ist freilich besonders zu achten.“

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Durch das Internet werden aus Ländern mit hoher Meinungsfreiheit Inhalte in Länder mit hohem Schutz der Religion verbreitet. Daraus erwächst der Konflikt.

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