Die im Süden sieht man nicht!

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Paradox: Genau in der Weltregion, in der es weltweit die wenigsten Banken, Kreditinstitute und keine einzige wirklich wichtige Börse gibt, werden die Folgen der aktuellen Finanzmarktkrise zwar keine Wertpapier-Leichen so wie in den reichen Industrieländern hinterlassen, dafür aber die meisten menschlichen Opfer fordern.

Maximaler Tiefdruck am Börsenbarometer, extremes Schlechtwetter in der internationalen Finanzwelt. Sein Schärflein ins Trockene bringen, lautet in dieser Situation die Devise der Industriestaaten. Was das für die wenig börsenotierte Welt bedeutet, fasst der Sprecher der G-24-Gruppe der Entwicklungsländer, Kenias Finanzminister John Michuki, so zusammen: „Wer im Regen steht, hält den Schirm lieber über sich als über den Nachbarn!“

Der Schutzschild, den der Norden über seine krisengebeutelten Banken spannt, besteht aus finanziellen Rettungspaketen in Billionenhöhe. Damit einher geht aber ein „unheimlich großes Risiko“, sagt der Exekutivdirektor der Weltbank, Michael John Hofmann, dass sich die Industrieländer nur mit sich selbst beschäftigen und dabei vergessen, dass die Auswirkungen der hausgemachten Krise weltweite Auswirkungen und böse Folgen vor allem auch für Afrika hat.

Wobei nicht richtig ist, von einem Vergessen Afrikas und anderer Entwicklungsregionen zu sprechen. Im Gegenteil, bei der Jahrestagung der internationalen Finanzinstitutionen in Washington am vergangenen Wochenende betonten die Vertreter des Nordens wie des Südens, dass die weltweite Finanzkrise die armen Länder besonders hart trifft: weil nun die Kapitalströme „renationalisiert“ werden und nicht mehr in Entwicklungs- und Schwellenländer fließen; weil mit der Finanzkrise nach den Preisschüben bei Treibstoffen und Nahrungsmitteln die dritte große Bedrohung über die Entwicklungsländer hereinbricht. Aber in den Industrieländern, in denen es schon in fetten Zeiten am Willen fehlt, versprochene Entwicklungshilfegelder zu überweisen, ist in mageren Jahren das nationale Hemd noch näher als der globale Rock – Paradebeispiel Österreich, doch dazu später.

Vom finanziellen und moralischen Bankrott

Zuerst zum aktuellen Welthunger-Index, der am Welternährungstag, Donnerstag dieser Woche, präsentiert wurde und statt dem viel diskutierten finanziellen den verschwiegenen, weil beschämenden moralischen Bankrott dieses Weltsystems in Zahlen gießt: Fast eine Milliarde Menschen hungert. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Hungernden von 848 auf 923 Millionen Menschen gestiegen – Tendenz steigend, Hoffnungsaussichten gering. Verglichen mit 1990 gibt es zwar in einigen Regionen in Asien, Nordafrika, Lateinamerika und Nahost Erfolgsmeldungen im Kampf gegen den Hunger; „auf breiter Front“ ist die Hungerbekämpfung jedoch gescheitert. Die Initiatoren des Welthunger-Index’ fordern deshalb eine Erhöhung der Mittel für die Landwirtschaft in Entwicklungsländern und faire Handelsbedingungen. Eine schon in der Vergangenheit gebetsmühlenartig vorgetragene Forderung – ohne nennenswerte Folgen. „Es ist empörend, dass die Ärmsten der Welt, die täglich mehr Geld für Brennmaterial und Lebensmittel zahlen müssen, auf Hilfe warten, während Investment-Banker mit 1,8 Billionen Dollar vor der Pleite gerettet werden“, kritisiert Shefali Sharma, Sprecherin der britischen Hilfsorganisation „ActionAid“.

Ohne Chancen in den Weltmarkt gezwungen

Der von Oxford ausgehende, weltweit operierende Zusammenschluss von Entwicklungshilfe-Organisationen „Oxfam International“ warnt vor einer Wiederholung der Fehler der jüngeren Vergangenheit: „Wenn die Geberländer, wie schon während der weltweiten Rezession der 90er Jahre, ihre Entwicklungshilfe um ein Viertel oder 25 Milliarden Dollar zusammenstreichen, müssen 700 Millionen Menschen auf lebenswichtige Gesundheitsdienste verzichten.“

Und eines gilt es in der gegenwärtigen Krise auch nicht zu vergessen: Dieselben Vertreter der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF), die gegenwärtig die Industriestaaten auffordern, auf gar keinen Fall ihre Entwicklungshilfe einzufrieren, haben die Entwicklungsländer bislang mit Vehemenz in den chancenlosen Konkurrenzkampf auf den Weltmärkten gezwungen.

Von neoliberaler Politik in Ruin getrieben

„Nach über einem Vierteljahrhundert des Wettbewerbs unter den Entwicklungsländern stehen die Verlierer fest“, schreibt der US-Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz in der Financial Times Deutschland: „Länder, die einen neoliberalen Kurs verfolgten, verloren ihre Wachstumsgewinne. Und wenn sie Wachstum verzeichnen konnten, profitierten davon in überproportionaler Weise die Eliten.“

Ins selbe Horn stößt der Schweizer Experte für Entwicklungspolitik Peter Niggli: Erfolgsgeschichten schreiben jene Entwicklungsländer, vor allem in Ostasien, die ihre Märkte entgegen den Weltbank- und IWF-Auflagen abgeschottet und unter starkem staatlichen Einfluss gehalten haben. Niggli war dieser Tage auf Einladung des „Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation“ ( www.vidc.org) nach Wien gekommen, um sein Buch „Streit um die Entwicklungshilfe“ zu präsentieren. Niggli kritisiert die Pauschalkritik an der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) nach dem Motto: Der Norden zahlt seit Jahrzehnten, doch es nützt nichts. Der Süden ist unfähig und unwillig, sich aus dem wirtschaftlichen Dreck zu ziehen – die Conclusio der Pauschalkritiker: „Lassen wir es bleiben, schade ums Geld!“

Zehnmal Österreich für die ganze Welt

Es ist gar nicht so viel EZA-Geld, lautet das erste Gegenargument, mit dem Niggli der Pauschalkritik den argumentativen Boden entzieht. Rund 2300 Milliarden US-Dollar wurden in den letzten 40 Jahren an Entwicklungshilfe-Geldern gezahlt. Ein Pappenstiel verglichen mit den Billionen, die derzeit zur Rettung des Finanzmarktes gezahlt bzw. als Sicherheitsgarantien versprochen werden. Zum Vergleich und zur besseren Einordnung: 2300 Milliarden Dollar EZA-Hilfe sind das österreichische Brutto-Inlandsprodukt von weniger als zehn Jahren. Im Kampf gegen weltweite Armut und Unterentwicklung musste dieses Kleinstaaten-BIP aber für vier Jahrzehnte ausreichen.

Hinzu kommt, dass in dieser Summe zum Großteil Gelder inkludiert sind, die zwar als Entwicklungshilfe verbucht, laut Niggli aber besser und richtiger als „außenpolitische Spiel- und Schmiergelder“ bezeichnet werden. Mit anderen Worten: Den großen Geberstaaten, angefangen bei den USA, geht es mit ihrer sogenannten Entwicklungshilfe vor allem darum, ihre geopolitischen Interessen durchzusetzen. Die wirkliche, selbstlose Entwicklungshilfe schätzt Niggli auf 15 bis 25 Prozent des Kuchens. Ein erschreckend kleines Stück, das im Finanzmarkt-Chaos noch mickriger zu werden droht.

Als es um die EZA-Budgets der einzelnen Länder geht, kritisiert Niggli im Gespräch mit der Furche auch die „Tricksereien“ und die „Statistik-Kosmetik“ seiner Schweizer Heimat. Leider lässt sich Nigglis Schweiz-Kritik eins zu eins auf Österreich übertragen: 1,3 Milliarden Euro wurden 2007 als österreichische Entwicklungshilfe ausgegeben – 0,49 Prozent des Brutto-Nationaleinkommens (BNE). Rechnet man aber die eingerechneten Entschuldungen, die Flüchtlingsbetreuung im Inland, die Kosten für ausländische Studierende etc. weg, bleiben kümmerliche 0,20 Prozent des BNE übrig. Bis 2010 hat sich Österreich zur Erreichung von 0,51 Prozent verpflichtet. Da viele Entschuldungen getilgt sind, heißt das, Österreich muss bis zu 800 Millionen Euro mehr in sein EZA-Budget einzahlen. Nicht viel, verglichen mit den ruckzuck organisierten 100 Staatsmilliarden zur Bewältigung der Finanzkrise. Doch wie der kenianische Finanzminister befürchtet: „Wer im Regen steht, hält den Schirm lieber über sich als über den Nachbarn!“ – auch wenn dieser weggeschwemmt zu werden droht.

33 Länder

sind laut aktuellem Welthunger-Index mit einer „alarmierenden Hungersituation“ konfrontiert. Fast eine Milliarde Menschen hungern – eine „Schande für die Menschheit“ und eine moralische Bankrott-Erklärung für das Weltwirtschafts-System.

„Es ist empörend, dass die Ärmsten der Welt, die täglich mehr Geld für Brennmaterial und Lebensmittel zahlen müssen, auf Hilfe warten, während Investmentbanker vor der Pleite gerettet werden.“

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