"Die Iraker wollen eine Demokratie"

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Wer in den Wochen seit Beginn des Irak-Kriegs die Berichterstattung der Medien zu diesem Thema verfolgt hat, kennt den Namen Udo Steinbach. Immer wieder meldete er sich mit profunden Kommentaren über den Nahen Osten zu Wort. Im folgenden Gespräch mit dem Nahost-Experten geht es um die Zukunft des Iraks und der gesamten Krisenregion.

Die Furche: Dem ersten Treffen der irakischen Opposition ist die mächtige Gruppe der Schiiten ferngeblieben. Wer kann den Irak interimistisch führen?

Udo Steinbach: Man wird nicht daran vorbeikommen, den Schiiten größeren Einfluss in der Politik des Irak einzuräumen. Das wird im Augenblick mit zweifelhaftem Erfolg versucht. Achmed Jalabi, ein Exil-Iraker, selbst Schiit, beginnt, in Bagdad eine lokale Administration einzurichten. Damit sind erste Schritte getan, die aber schon eine sehr ablehnende Reaktion der schiitischen Community hervorgerufen haben. Die Schiiten bestehen nämlich darauf, dass die Neuordnung des Irak von ihnen selbst durchgeführt und nicht von den Amerikanern aufoktroyiert wird oder von Exil-Irakern wie Jalabi, der seit 40 Jahren im Ausland lebt.

Die Furche: Was halten Sie von Jalabi?

Steinbach: Der hat einen Korruptionsprozess in Jordanien hinter sich. Ich denke, man muss misstrauisch sein, wenn eine solche Figur nur dank der amerikanischen Bajonette nach Bagdad gebracht werden kann.

Die Furche: War das Fernbleiben der Schiiten eine Trotzreaktion, weil sie so lange im Land nichts mitzureden hatten und jetzt aufs Ganze gehen?

Steinbach: Gewiss. Deutlich ist, dass es innerhalb der Schiiten zwei Flügel gibt. Der eine will eine säkulare Regierung, ohne Einmischung des Iran. Der andere - unterstützt von iranischer Seite - verfolgt eine Art Herrschaft von Geistlichen. Dieser pro-iranische Flügel scheint militärisch besser organisiert zu sein. Wir hören aus Städten wie Nadschaf, dass dort ein Teil der Bader-Brigade eingedrungen ist: 15000 irakische, im Iran ausgebildete Schiiten, die nun im Irak ein dem Iran ähnliches Konzept durchsetzen wollen.

Die Furche: Sie waren optimistisch, dass es im Irak nicht zu bürgerkriegsähnlichen Situationen kommen werde. Sehen Sie das jetzt noch so?

Steinbach: Noch ist es zu früh, das vorherzusagen. Aber die Spannungen sind unübersehbar. Die politischen Morde an gemäßigten Schiiten sprechen dafür, dass ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft da sein könnte, wenn es um die Neuverteilung der Macht geht. Es ist also nicht auszuschließen, dass es zu militärischen Eskalationen kommt. Eine weitere Gefahr wäre, wenn die Leute zu lange frustriert sind und keine ökonomische Verbesserung spüren.

Die Furche: Wer könnte die Geschicke des Landes längerfristig in die Hand nehmen?

Steinbach: Ich denke, es läuft auf eine Gestalt hinaus, die weder den Amerikanern zuzuordnen ist noch einer Partei, die sich ferngehalten hat von Politik, aber Clans angehört, die in der Vergangenheit die Geschicke des Iraks maßgeblich bestimmt haben.

Die Furche: Gibt es so jemanden?

Steinbach: Ich kann keinen erkennen, der unbestritten und über die ethnischen und religiösen Verwerfungen hinweg diese Rolle einnehmen könnte. Ein Name, der in jüngster Zeit genannt wird, ist Adnan al-Pachachi, ein Sunnit. Er war vor Saddams Zeit Außenminister und UN-Botschafter und lebt seit 1968 in den Vereinigten Arabischen Emiraten im Exil. Er ist nicht mit Saddam befleckt und genießt sowohl unter Sunniten als auch unter Schiiten Ansehen. Er ist allerdings schon 80 Jahre alt.

Die Furche: Weshalb sind Sie gegenüber den Demokratisierungsplänen der Amerikaner skeptisch?

Steinbach: Ich habe das Gefühl, dass das Glaubwürdigkeitsproblem der USA sehr verbreitet ist: Die Öffentlichkeit zwischen Palästina und dem indischen Ozean hat tiefe Zweifel, ob Amerika seine Agenda wirklich ernst meint. Denken wir an die neue Weltordnung, die der alte Bush 1990/91 verkündet hatte. Aus ihr ist nichts geworden. Den Emir von Kuwait hat man zurückgebracht und wollte ihn zu mehr Demokratie bringen. Daraus ist auch nichts geworden. Dazu kommt, wie das Amen im Gebet, die Israel-Frage: die doppelten Standards, die die USA gelten lassen: die Brutalität der israelischen Armee, dass Israel die elementarsten Regeln des Völkerrechts und der Genfer Konvention verletzt, die Tatsache, dass sich Israel um den UNO-Sicherheitsrat nie gekümmert hat. All das nährt das Misstrauen in dieser Region.

Die Furche: Haben sich durch die Irak-Krise Chancen zur Lösung des Nahost-Konflikts aufgetan?

Steinbach: Wenn alle Parteien, vor allem die USA, es ernst nehmen, könnten wir wirklich vor einer historischen Chance stehen. Es gibt eine große Übereinstimmung in der internationalen Gemeinschaft und ein starkes Amerika, das eine Legitimation in der Region braucht. Ich denke, wenn Bush es ernst meint, kann er durch Druck auf alle Parteien, auf Palästinenser und Israelis, etwas erreichen. Die Drohungen gegenüber Syrien könnten ein taktisches Vorspiel für die Wiederaufnahme des Friedensprozesses sein: Syrien als Feigenblatt zu nehmen, um damit eine Rechtfertigung zu haben, auch gegenüber Israel Druck auszuüben. Die große Frage aber ist: Sieht Bush das auch so? Wird er entsprechend handeln? Oder werden die Israelis wieder versuchen, sich diesem Druck zu entziehen?

Die Furche: Sie bleiben also skeptisch?

Steinbach: Bis zum Beweis des Gegenteils: ja.

Die Furche: Vertragen sich Islam und Demokratie im Irak?

Steinbach: Überschätzen Sie den Islam nicht! Wenn 1993 der Friedensprozess im Irak gelungen wäre, wäre es zu einer Demokratie gekommen. Sogar im Iran wird unter hohen Opfern der Beteiligten um die Zukunft der Demokratie gerungen. Im Irak gibt es eine lange säkulare Tradition, auch unter Schiiten. Die Iraker wollen eine Demokratie.

Die Furche: Warum ist es bis jetzt nicht dazu gekommen?

Steinbach: Wenn es in den letzten Jahrzehnten nicht geklappt hat, dann aufgrund kultureller und religiöser Gründe, die man nicht überbewerten sollte. Wichtiger scheinen mir externe Gründe: die ständige Einflussnahme des Westens auf diese strategisch und wirtschaftlich wichtige Region.

Die Furche: Der Islamexperte Bernard Lewis vertritt die These, das Regime Saddams lasse sich nicht aus der islamischen Tradition erklären. Schließen Sie sich dieser Meinung an?

Steinbach: Der arabische Nationalismus ist ein Import des Westens und später des deutschen Nationalsozialismus. Ich gebe Lewis Recht: Vieles hat westliche Wurzeln. Die Gründer der BaathPartei, Iraker und Syrer, hatten in den dreißiger Jahren in Europa studiert. Sie waren die Vordenker des arabischen Nationalismus. Ihr Ziel war es, einen arabischen Bismarck zu haben, der die Araber auf der Basis einer Blut-und-Boden-Ideologie zu einer arabischen Nation vereint. Erst durch das Scheitern der nationalen Bewegungen kam es zur Instrumentalisierung des Islam als politische Kraft.

Die Furche: Wie lange wird es Ihrer Meinung nach dauern, bis es zu demokratischen Wahlen kommt?

Steinbach: Zwei Jahre mindestens. Das Ganze ist noch nicht für nationale Wahlen reif, aber es gibt Ansatzpunkte der Demokratie.

Das Gespräch führte Susanne Kummer.

Experte in Fragen der Nahost-Politik

Udo Steinbach, Jahrgang 1943, gilt als einer der wichtigsten Nahostexperten im deutschen Sprachraum. Seine Stellungnahmen über die Hintergründe des Irak-Kriegs und die Perspektiven für eine Lösung des Konflikts haben ihm in den letzten Wochen einen hohen Bekanntheitsgrad verschafft.

Der Islam- und Politikwissenschafter ist seit 1976 Direktor des Deutschen Orient-Instituts (DOI) in Hamburg. Dieses renommierte Institut setzt

sich als größte Forschungseinrichtung im deutschen Sprachraum seit über 40 Jahren mit den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Region Nordafrika/Naher und Mittlerer Osten auseinander. Zu den Forschungsschwerpunkten zählen Aspekte

der politischen Opposition, der Rolle des Islam

und der Medien im Demokratisierungsprozess

und den Globalisierungsauswirkungen

in diesem so brisanten Raum.

Weitere Information siehe: www.doihh.de

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