Die Jugend braucht auch Schonräume

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Während Jugendliche immer weniger von Politik halten, wird der Ruf nach der Senkung des Wahlalters immer lauter. Auch im Strafrecht wackeln die Altersgrenzen. Eine Forderung der Zeit oder sind die Jugendlichen wirklich schon so "reif"?

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Während Jugendliche immer weniger von Politik halten, wird der Ruf nach der Senkung des Wahlalters immer lauter. Auch im Strafrecht wackeln die Altersgrenzen. Eine Forderung der Zeit oder sind die Jugendlichen wirklich schon so "reif"?

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Die Altersgrenzen sind ins Wanken geraten. SPÖ-Landesorganisationen wollen es, politische und kirchliche Jugendvereinigungen und die Grünen schon längst: Wählen mit 16 - die Kinderanwälte Österreichs gar schon mit 14. Auch im Strafrecht soll die Strafmündigkeit herabgesetzt werden. Geht es nach den Vorstellungen der VP/FP-Koalition, dann kommen 18-Jährige schon ab Jänner 2001 nicht mehr in den Genuss des wesentlich milderen Jugendstrafrechts. Für sie gilt dann das Erwachsenen-Strafrecht.

Nachdem bei Schulbuch, Schulfreifahrt, Studiengebühren et cetera der finanzielle Hahn kräftig zugedreht ist, lässt man nun Kinder und Jugendliche am politischen Nebengeleis über früheres Wahlalter, Führerschein mit 16, Moped mit 15 oder Schutzaltersbestimmungen beim Sex diskutieren. Schon wird überlegt, ob man konsequenterweise nicht gleich 16-Jährige zu vollwertigen Erwachsenen und damit zu voll geschäftsfähigen Konsumenten machen sollte. Jugendschutzbestimmungen über Ausgehzeiten, Nikotin- und Alkoholkonsum stehen ohnedies längst nur mehr in netten Jugendbroschüren; eingehalten oder gar kontrolliert werden sie ohnedies von niemandem mehr ...

Herunter mit den Altersgrenzen! - Scheinbar eine Forderung der Zeit, aber sind Jugendliche heute auch schon früher "erwachsen"? Oder ist es einfach nur so, dass die Politik - kräftig unterstützt von "berufsjugendlichen Experten" beginnt, die Jugend als Wählerpotential zu entdecken?

Auf den ersten Blick könnte man tatsächlich den Eindruck haben, moderne "Kids" wären schon längst keine Kinder mehr. Schließlich haben schon 14-Jährige nicht nur den vollen Terminkalender eines Jungmanagers. Sie sind versiert im Umgang mit Computer und Internet, topinformiert über Handy-Tarif und Turnschuhmarke und geschult im fachgerechten Umgang mit Kondom und Scheckkarte. Sie interessieren und engagieren sich für Greenpeace und wenn es sein muss, treten sie auch einmal bei einem Redewettbewerb auf oder setzen sich, sehr zur Freude von Erwachsenen, in ein von diesen installiertes Jugendparlament. Mancher 14-Jährige ist politisch aufgeweckter und informierter als ein Erwachsener.

Ist, wer so selbständig und "entwickelt" erscheint, tatsächlich schon erwachsen?

Bei der Beantwortung dieser Frage sollte man sich nicht allzusehr vom äußerlichen Erscheinungsbild leiten lassen oder gar von der gängigen Erziehungsideologie, Kinder nur noch wie kleine Erwachsene zu behandeln. Überlegenswerter ist, ob nicht Kindheit und Jugend weiterhin an einen geschützten Sonderstatus in der Gesellschaft gekoppelt bleiben sollte.

Recht auf Kindheit In allen Kulturen hat der Heranwachsende ein Recht auf ein zeitliches Mindestmaß an Kindheit und Jugend. Jugendliche haben Anspruch auf Pubertät, auf überschießende Meinungen, auf Denkirrtümer und Fehler, auf die Unausgegorenheit ihrer Ideen, ein Recht auf Utopie und Phantasie!

Aus entwicklungspsychologischer Sicht ist es abzulehnen, unseren Nachwuchs so früh wie nur irgendmöglich vor den (partei)politischen Karren zu spannen oder gar mit politischer Verantwortung zu belasten. Keinesfalls sollten wir ihn dem parteipolitisch motivierten Kampf um Wählerstimmen aussetzen. Die jüngsten Inszenierungen mit auf jugendlich-cool getrimmten Politikern bei ausgelassenen Techno- oder Rave-Parties geben - so peinlich sie sind - nur einen kleinen Vorgeschmack auf allenfalls bevorstehende Wahlkämpfe im Schulhof.

Auch die Jugendlichen selbst haben derartigen Vorstößen schon mehrfach eine Abfuhr erteilt. Eine repräsentative Studie des Instituts für Politikwissenschaft in Innsbruck an über 2.500 Jugendlichen kommt zu fast identischen Ergebnissen wie jene des Fessel-Instituts an 1.000 Befragten: Nur 16 Prozent der Betroffenen sind für, 74 Prozent der befragten Jugendlichen in Tirol waren sogar dezidiert gegen die Herabsetzung des Wahlalters. 81 Prozent erklärten gar, sich nur wenig für Politik zu interessieren.

Wenn trotz dieser recht eindeutigen Ergebnisse die Forderung nach Senkung von Altersgrenzen immer wieder durch Politik und Medien geistern, dann ist nach den Motiven jener zu fragen, die sich der Jugend - gegen deren deklarierten Willen - konsequent anbiedern. Anders gefragt: Werden bei der Diskussion um Altersgrenzen parteipolitisch motivierte Eigeninteressen verschleiert? Ich fürchte ja.

Der voreilige Konsens einiger politischer Gruppierungen und Lobbys in dieser Frage erscheint genauso verdächtig, wie die vielfach zu beobachtende, von Parteisekretariaten gesteuerten kinderdemokratischen Moden, Kinder- und Jugendparlamente, Kinderbüros, Kinderbeauftragte et cetera zu installieren. In "Ende der Spielzeit" argwöhnt Christiane Grefe, Politiker hofften doch nur darauf, "Kinder als natürliche Ressource in die Monokulturen ihres parteipolitischen Denkens einzufangen".

Tatsächlich bestätigen Analysen des Erst- beziehungsweise Jungwähleranteils die vordergründigen Interessen nach Stimmenfang bei jenen politischen Gruppierungen, die als die vehementesten Protagonisten bei der Diskussion um Altersgrenzen auftreten. Die SPÖ Kärnten liefert gegenwärtig ein Lehrbeispiel. Weil es mit den politischen Spitzenkandidaten nicht so recht klappen will, lässt man sich dort eben etwas anderes einfallen: "Das erste Mal" prangt über dem, was ein wohlproportioniertes Mädchen und Bursche im SPÖ-Inserat in Horizontallage tun. "Wählen mit 16" - garniert mit ein bisschen Sex - bringt man die Frohbotschaft unters Jungvolk.

Nur Stimmvieh Abseits parteipolitischer Überlegungen sollte in der aktuellen Diskussion ein weiteres Argument beachtet werden: Die Herabsetzung von Altersgrenzen bringt unweigerlich auch den Verlust von Schutzzonen für die Betroffenen mit sich. Jungen Menschen schon mit 16 den Führerschein zu geben, bedeutet beispielsweise, sie dann auch (zu früh) mit einem überaus hohen Maß an Verantwortung für Mitmenschen zu belasten. Ihnen durch Verzicht auf Kontrolle der Jugendschutzbestimmungen bei Nikotin und Alkohol de facto jegliche Altersbegrenzungen zu nehmen, macht sie für Missbrauch auch alleine verantwortlich.

In allen menschlichen Gesellschaften ist Kindheit und Jugend ein wichtiger Schonraum für die heranwachsende Generation. Dieser geschützte Lern- und Erfahrungsraum darf auch künftig nicht tagespolitisch - zeitgeistigen Interessen zur raschen Züchtung von zusätzlichem "Stimmvieh" preisgegeben werden!

Der Autor ist Psychologe und Psychotherapeut inInnsbruck.

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