"Die Jugend mehr fördern"

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In Österreich sind derzeit so viele Menschen arbeitslos wie zuletzt vor über 60 Jahren. Arbeitsmarktexperte Helmut Mahringer vom WIFO im FURCHE-Hintergrundinterview.

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In Österreich sind derzeit so viele Menschen arbeitslos wie zuletzt vor über 60 Jahren. Arbeitsmarktexperte Helmut Mahringer vom WIFO im FURCHE-Hintergrundinterview.

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Obwohl Österreich die Krise - im mittlerweile siebenten Jahr -bisher besser meistern konnte als andere EU-Länder, herrscht eine alarmierende Rekordarbeitslosigkeit. Welche Maßnahmen sinnvoll wären, erklärt Helmut Mahringer vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO).

DIE FURCHE: Ende April lag die Arbeitslosenquote bei 9,1 Prozent - das sind im Vergleich zum Vorjahr um 7,6 Prozent mehr Arbeitslose. Wieso dieser rasante Anstieg?

Helmut Mahringer: Die Arbeitslosigkeit in Österreich steigt derzeit stärker als im europäischen Durchschnitt. Eine Ursache ist die schwache Wirtschaftsentwicklung. Ohne deutliches Wirtschaftswachstum wird sich die Arbeitslosigkeit nicht reduzieren lassen. Wir haben zwar ein klares Beschäftigungswachstum, das sogar höher ist als das Wirtschaftswachstum, was erstaunlich ist. Das ist aber nur möglich, weil die durchschnittliche Arbeitszeit seit der Krise 2009 stark gesunken ist durch die zunehmende Teilzeit und die geringeren Stundenleistungen Vollzeit. Das ist auch positiv, weil so mehr Leute am Arbeitsmarkt Platz finden. Mittlerweile ist die Teilzeitquote aber sehr hoch, was problematisch ist.

DIE FURCHE: Das Angebot an Arbeitskräften in Österreich soll bis 2030 steigen. Wie kommt es dazu?

Mahringer: Hier spielt Migration eine wesentliche Rolle. Auch die demografische Entwicklung und die steigende Erwerbsbeteiligung der Menschen vergrößern den Arbeitskräfte-Pool. Die geburtenstarken Babyboomer rücken in die Altersgruppe 50 plus. Sie haben bereits von der Bildungsexpansion der Siebziger profitiert, was die Qualifikations-Struktur älterer Arbeitskräfte verbessert.

DIE FURCHE: Jeder vierte Arbeitslose ist über 50 -Tendenz steigend. Reichen die AMS-Fördermaßnahmen aus, um ältere Arbeitnehmer wieder jobfit zu machen?

Mahringer: Eine WIFO-Evaluierung zeigt, dass zielgruppenorientiert eingesetzte Lohnsubventionen eine relativ wirksame Maßnahme sind - gerade bei Älteren, die schon eine Weile arbeitslos sind. Zudem werden speziell für Ältere Maßnahmen des zweiten Arbeitsmarktes ausgebaut, wo temporär Jobs in Projekten zur Verfügung gestellt werden, die der Re-Integration in den ersten Arbeitsmarkt dienen sollen. Wir haben evaluiert, dass die Leute nach der Teilnahme an solchen Projekten bessere Jobchancen haben.

DIE FURCHE: Die höchste Arbeitslosenquote herrscht bei den 20-24-jährigen Männern. Und das, obwohl es eine Ausbildungsgarantie für Jugendliche gibt?

Mahringer: Wenn man bei den Jugendlichen zwischen 15 bis 19 Jahren die Teilnahme an Maßnahmen sowie die Lehrstellen-Suchenden mitzählt, hat man in dieser Gruppe sogar eine noch höhere Arbeitslosigkeit als bei den 20-bis 24-Jährigen. Bei den Jugendlichen ist die Arbeitslosigkeit gegenüber der Zeit vor der Krise noch stärker gestiegen als bei den Älteren. Gerade für sie haben sich die Einstiegschancen ins Arbeitsleben und die Stabilität ihrer Erwerbsverläufe klar verschlechtert. Ohne Ausbildungsgarantie durch überbetriebliche Lehrausbildungs-Systeme, die das Fehlen von regulären Lehrplätzen kompensieren, gäbe es ein großes Problem. Für die 20-bis 24-Jährigen gibt es kein flächendeckendes System mehr, das diese Problematik auffängt. Wir werden es auf lange Sicht nicht schaffen, für Geringqualifizierte genug Jobs zur Verfügung zu stellen. Daher ist es ganz wichtig, den Nachwuchs in dieser Gruppe möglichst gering zu halten.

DIE FURCHE: Der Anteil der Langzeitarbeitslosen ist seit 2010 um knapp ein Viertel gestiegen. Fast ein Fünftel der Arbeitslosen sind über zweieinhalb Jahre arbeitslos. Eine verfahrene Situation?

Mahringer: Es gibt eben einen Teil von Arbeitslosen, die relativ geringe Chancen auf Rückkehr in den regulären Arbeitsmarkt haben. Etwa ein Drittel der beim AMS Vorgemerkten war in den letzten fünf Jahren mindestens die Hälfte der Zeit arbeitslos. Selbst in dieser Gruppe schaffen es immerhin über elf Prozent, wieder in einen stabilen Job zurückzukehren. Das zeigt, dass die Arbeitsmarktpolitik auch für diese Gruppe Chancen auf eine dauerhafte Reintegration in den Arbeitsmarkt bietet. Elf Prozent ist keine schlechte Quote, nachdem insgesamt nur 29 Prozent aller Arbeitslosen in einen stabilen Job mit einer Beschäftigungsdauer von mindestens einem Jahr zurückkehren.

DIE FURCHE: Es ist in Österreich Praxis, dass Leute im Tourismus, in der Baubranche, bei Leihfirmen relativ oft, aber nur kurz arbeitslos sind. Da agiert das AMS als "Personalpool" zur Kündigung und Wiedereinstellung beim selben Arbeitgeber. Was könnte man dagegen tun?

Mahringer: Diese Praxis geht stark zu Lasten der Arbeitslosen-Kassa. Da stellt sich schon die Frage, wieweit solche Unterbrechungen nicht durch gezielte Anreize vermeidbar wären. Es gibt zwar verschiedene Initiativen, um in saisonschwachen Zeiten die Betriebe aufrecht zu erhalten. Man könnte jedoch zusätzlich die Beitragsleistung von Unternehmen daran knüpfen, wie viele Arbeitskräfte sie in die Arbeitslosigkeit schicken. Betriebe die viel Arbeitslosigkeit verursachen würden stärker, andere weniger belastet.

DIE FURCHE: Wie sollte denn eine Neuorientierung der Arbeitsmarktpolitik ausschauen?

Mahringer: Präventive Ansätze könnten verstärkt werden, etwa um zu verhindern, dass Ausbildungen abgebrochen werden, und zu sichern, dass nach der Pflichtschule gewisse Grundkompetenzen vorhanden sind. Bei den älteren Arbeitnehmern wären präventive Maßnahmen zur Sicherung des Arbeitsplatzes sinnvoll, etwa gesundheitsfördernde Maßnahmen. Es sollte Unterstützung für Firmen geben, die Arbeitsplätze altersgerecht gestalten und ihre Mitarbeiter länger beschäftigt halten. Jene Firmen, die Ältere los werden wollen und die öffentlichen Kassen stark belasten, sollten höhere Beträge zahlen.

DIE FURCHE: Ist das AMS überhaupt kompetent, die vielen verschiedenen Gruppen von Arbeitssuchenden adäquat zu betreuen?

Mahringer: Aufgrund der Kritik, dass Kurse pauschal zugeteilt werden und nicht spezifisch genug sind, fördert man jetzt zielorientierter mit teils teureren Maßnahmen und intensiveren Kursen. Relativ viel hängt davon ab, was die jeweiligen Berater am AMS tun.

DIE FURCHE: Kritiker fordern mehr Budget für aktive Arbeitsmarktpolitik. Sie auch?

Mahringer: Nachdem die Arbeitslosigkeit steigt, wäre es sinnvoll, mehr in effektive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu investieren. Derzeit wird sehr viel in die Förderung älterer Arbeitnehmer investiert, was demografisch Sinn macht. Das heißt aber, dass für Jüngere weniger Mittel bleiben. Hier gibt es große Herausforderungen, etwa im Bereich der Ausbildungssicherung und nötiger neuer Wege in der Lehrausbildung oder bei der besseren Integration von Leuten mit Migrationshintergrund.

Das Gespräch führte Sylvia Einöder

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