Was bedeutet heute Glück? Ist es ein anderes Glück als gestern? - Es ist gefährlich, diese Frage einfach mit ja zu beantworten. Denn dann muß man sich als Lehrer auch eingestehen, daß das, was ich heute den jungen Menschen als "Glück" vermittle, morgen - wenn sie erwachsen sein werden - Schnee von gestern sein wird. Oder gibt es so etwas wie ein ewiges, das heißt zeitloses Glück, das die Generationen überdauert? Wenn ja, dann Mut zur "Erziehung zum geglückten Leben"! Diese Erziehung kann sich jedoch unmöglich am Zeitgeist des überzogenen Kontos orientieren. Ich meine damit, daß jemand, der Glück vermitteln will, selbst nicht unglücklich sein darf. Sein oder ihr Kontostand muß sichtlich im Plus sein, was sich besonders dann zeigen wird, wenn etwas schief läuft. Und an welchem Tag läuft es in der Schule immer glatt?
Lehrer mit Humor haben es da sichtlich leichter, während explosive, zynische oder frustrierte, deprimierte Lehrer von vornherein als glücksvermittelnde Pädagogen ausscheiden.
Von Dietrich Bonhoeffer stammt der Satz: "Es gibt kaum ein beglückenderes Gefühl, als zu spüren, daß man für andere Menschen etwas sein kann."
Das ist ein Lebensmotto, welches zwei Wahrheiten in sich birgt: Erstens heißt es für mich, daß jemand glücklich wird, wer andere glücklich macht, und zweitens steckt darin der Weg, jungen Männern und jungen Frauen ein geglücktes Leben zu ermöglichen, indem wir sie spüren lassen, was sie uns bedeuten. Gibt es etwas Schöneres, als das sprossende Leben eines Dorfes, einer Talschaft oder eines ganzen Bezirkes ein Stück begleiten zu dürfen?
Ich sagte vorhin absichtlich "ermöglichen". Denn nur allzuoft wird entmutigt, statt aufgebaut. Ich erschrecke darüber, mit welcher Menschenverachtung Schüler sich über einander äußern. Das sind Früchte dessen, wie mit ihnen selbst umgegangen wurde.
"Spüren, daß man für andere Menschen etwas sein kann." Lasse ich es meine Schüler spüren, daß ihr Dasein, ihr Sosein, ihre Einmaligkeit mich beglücken, mir etwas bedeuten? Oder lasse ich es die schwächeren Schüler spüren, daß sie mich weniger glücklich machen als die Einserschüler? Erleben die Leistungsstarken wirklich Glück, wenn ihr Selbstwert nach Noten bemessen wird?
Welchen Preis muß ein junger Mensch für ein geglücktes Leben bezahlen? Was kostet Glück?
Der Unterschied zu früher, so scheint es mir, liegt darin, daß es die heutige Jugend schwerer hat, Glück wirklich zu finden. Für jemanden, der in den Nachkriegsjahren hungerte oder andere Entbehrungen erdulden mußte, war es relativ einfach zu sagen, was ihm zu seinem Glück noch fehlte. Doch heute, bei einem Lebensstandard, der höher ist als jemals zuvor?
Die Freiheit des einzelnen ist ein anerkannter Wert - doch wo sind die glücklichen Gesichter?
Der Autor ist Lehrer an der BHAK und BHAS Bregenz.
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