Religiöse Gewalt: Die Kehrseite der Humanität

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Der biblische Monotheismus ist für Jan Assmann eine religiöse Revolution, deren Spuren sich auch in aktuellen Gewalt-Manifestationen finden.

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Der biblische Monotheismus ist für Jan Assmann eine religiöse Revolution, deren Spuren sich auch in aktuellen Gewalt-Manifestationen finden.

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Die globale Gewalttätigkeit, die sich religiös legitimiert, erfordert auch grundsätzliches Nachdenken über den Zusammenhang von Religion und Gewalt. Das betrifft nicht nur die religiösen Motive und theologischen Argumentationen der Dschihadisten rund um den Islamischen Staat (wie es zuletzt Rüdiger Lohlker in "Theologie der Gewalt" anstellte, vgl. FURCHE 34/2016). Auch wenn hier die aktuellen Manifestationen unglaublicher Grausamkeit zu verzeichnen sind, enthebt dies die Religion(en) nicht der Verpflichtung, sich der Gewaltfrage zu stellen. Es geht nicht nur um den Islam, sondern um die Frage des Gewaltpotenzials gegenwärtiger Religionen, insbesondere der monotheistischen.

Auch der Hintergrund von Christentum und Judentum ist diesbezüglich zu beleuchten, ein durchaus schmerzhaftes Unterfangen, weil hier einiges zutage tritt, was der Anschauung etwa des Christentums als "friedliebende Religion" entgegensteht. Der in Wien lehrende frankoamerikanische Polyhistor Philippe Buc hat dies in seinem Buch "Heiliger Krieg. Gewalt im Namen des Christentums" (vgl. FURCHE 1/2016) längst getan, wo er von den Anfängen des Christentums bis in die unmittelbare Gegenwart Argumentations- und Handlungsmuster sowie die dazugehörige Sprache analysiert - und dabei erschreckend verblüffende Parallelen zu derartigen Mustern des islamischen Fundamentalismus entdeckt. Frappierend allenfalls, dass die Rezeption der Erkenntnisse Bucs überschaubar blieb.

Monotheismus und Gewalt

Noch einige Schichten tiefer gräbt der Ägyptologe Jan Assmann, um dessen Thesen über die Verortung der Ursprünge von (religiöser) Gewalt in der Entstehung des biblischen Monotheismus seit Jahren eine kulturtheoretische Auseinandersetzung tobt. Assmann legt im Buch "Totale Religion" seine Theorie auch auf aktuelle religiöse Gewaltphänomene wie den IS um.

Die Kontroverse löste Assmann um die Jahrtausendwende mit seinen Thesen über einen "Monotheismus der Wahrheit" aus, der durch den Eingottglauben in die Welt gekommen sei und der, weil er keine anderen Götter neben sich dulde, eine Quelle für Gewalt sei. Assmanns Überlegungen trugen ihm den Vorwurf des Antisemitismus ein, weil er unterstelle, dass der durch Mose in die Welt gekommene Eingottglaube religiös legitimierte Gewalt gebracht habe. Assmann wehrte sich gegen diesen Vorwurf und differenzierte seine Argumentation, in der Folge entwickelte er auch das Konzept eines "Monotheismus der Treue", der nicht mehr zwischen wahr und falsch unterscheidet, sondern auf dem Bund Gottes mit den Menschen beruht.

Für Assmann sind aber beide dieser Monotheismen Ausgangspunkte von Gewalt -und das führt er in seinem Buch aus. Der biblische Monotheismus, wie er in der Erzählung der Übergabe des Gesetzes an Mose auf dem Sinai manifest wird, ist nach Assmann eine Projektion aus der Erfahrung des assyrischen/babylonischen Exils. In den Gesetzestexten der Tora entdeckt Assmann viele Spuren von Bündnisverträgen der assyrischen Eroberer mit den Unterworfenen sowie von Loyalitätsbekundungen, die assyrische Herrscher von ihren Vasallen verlangten.

Das Bild vom "eifersüchtigen Gott" etwa, das in den biblischen Texten rund um den Bund Gottes mit seinem Volk wiederholt zu finden ist, lässt sich auch auf diese Spuren zurückführen. Assmann spannt auch einen Bogen ins Heute, indem er auf aktuelle Aussagen und Phänomene rund um den IS rekurriert, es wird entlarvend, wenn er Texte aus dem Buch Exodus über die Behandlung von Feinden im Gelobten Land zitiert, die sich in Sprache und Inhalt kaum von den Hass-Pamphleten des IS heute unterscheiden.

Abkehr von allem Bisherigen

Assmann geht es dabei mitnichten um eine Denunziation des Judentums, sondern er ist überzeugt, dass die in der biblischen Bundeserzählung beschriebene Gesetzesreligion eine kulturell-religiöse Revolution darstellt, die eine Abkehr von allem vorher Dagewesenen darstellte -und die in den drei monotheistischen Religionen bis heute fortwirkt. Diese Bundesverpflichtung, so Assmann, erfordere auch die Unterscheidung von Profanität und Reinheit. Sie verlange eine Entscheidung für ein "Leben im Zeichen der Reinheit": Auf diese Weise interpretiert Assmann auch den islamischen Begriff des Dschihad als Ausprägung davon.

Selbst die Deformationen islamistischer Gewalt führt er auf diese Ursprünge zurück, wobei er auch die politische Theorie des totalen Staates von Carl Schmitt in den Blick nimmt: Der deutsche Rechtstheoretiker postulierte bekanntlich die Polarisierung zwischen Freund und Feind als Triebkraft alles Politischen -und verschaffte so auch der NS-Diktatur eine theoretische Basis. Assmann wendet Schmitts Freund-Feind-Schema auf die Religion an und postuliert eine "totale Religion", die zur dunklen Seite des durch die Revolution des Mose in die Welt gekommenen Bundesverhältnisses zwischen Mensch und Gott kulminiert.

Das alles ist verstörend und eine Zumutung, aber identifiziert doch stringent die Wurzel religiöser Gewalt. Dass die jüdische oder christliche Apokalyptik und der dschihadistische Fundamentalismus einander näher sind als es beispielsweise den abendländischen Christen lieb ist, mag schwer zu verkraften sein.

Assmann deutet auf den Schlussseiten seines Buches religiöse Auswege an, indem er auf Lessings Ringparabel oder vergleichbare Metaphern aus dem islamischen Bereich hinweist und der Religion, auch der monotheistischen, ihr humanisierendes Antlitz zugute hält. Man sollte sich aber nicht ersparen, auch deren inhumane Kehrseite im Blick zu behalten.

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