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Eigentlich hätte das Jahr 2013 in Pakistan zum Jahr der Kinderrechte werden sollen. Das hatte der frühere Premierminister Raja Pervez Ashraf in einer offiziellen Erklärung verkündet. Diesem Leitmotiv konnte man jedoch nur bedingt gerecht werden. Die Verhältnisse, in denen die rund 79 Millionen pakistanischen Kinder leben müssen, sind nach wie vor problematisch. Bildung kann nur eingeschränkt bereitgestellt werden, die Gesundheitsversorgung ist mangelhaft und auch die rechtliche Lage ist prekär -all das zeigt der aktuelle Jahresbericht der Gesellschaft zum Schutz von Kinderrechten (SPARC).

Viele Abkommen zum Schutz von Kindern, die 2013 unterschrieben oder ratifiziert werden hätten können, wurden von der pakistanischen Regierung ausgelassen. Gottfried Mernyi, Geschäftsführer der Kindernothilfe Österreich, die als Partner und Sponsor des SPARC-Berichts fungiert, weist darauf hin, dass in Pakistan die Regionalregierungen ähnlich wie in Österreich eine große Rolle spielen. Und die Umsetzung von Gesetzen sei vor allem auf regionaler Ebene oft schwierig.

Strukturelle Schwächen

Das proklamierte Ziel der UNO, 2015 freie und verpflichtende Bildung für alle Kinder bereitzustellen, wird aus pakistanischer Sicht jedenfalls nicht erreicht werden können. Mernyi spricht von einem großen Aufholbedarf, den Pakistan im Vergleich zu anderen Ländern Südasiens hat: "Zudem muss man immer auch berücksichtigen, ob es Jungen und Mädchen gleichermaßen betrifft: Es ist nun leider einmal so, dass Mädchen hier oft benachteiligt sind."

Obwohl die Regierung für 2013/2014 das Budget für den Bildungssektor in allen Regionen verdoppelt hat, rangiert Pakistan mit seinem Anteil nicht eingeschulter Kinder weiterhin an weltweit zweiter Stelle -beinahe 25 Millionen Kinder sollen hier betroffen sein. Und Mädchen machen in Süd- und Westasien mit 59 Prozent generell den größeren Teil der nicht in einer Schule eingeschriebenen Kinder aus. Der SPARC-Bericht macht deshalb deutlich, dass es enorm wichtig ist, die Bildungssituation für Mädchen, gerade auch in abgeschiedenen Regionen, zu verbessern.

Ein kritischer Punkt ist auch das pakistanische Gesundheitssystem: Im Vergleich zu Indien, Bangladesch oder Nepal hat Pakistan nach wie vor eine hohe Sterblichkeit von Kleinkindern: Laut Statistiken versterben 86 von 1000 Kindern unter fünf Jahren, während es etwa in Nepal zehn von 1000 sind. Als Ursache führt Mernyi die strukturellen Schwächen des Gesundheitssystems ins Treffen, verweist aber auch auf die veritablen Großkatastrophen, die das Land in den letzten zehn Jahren zu bewältigen hatte.

Von der Flut im Jahr 2010 etwa waren insgesamt rund 17,6 Millionen Menschen betroffen. Weite Teile der Infrastruktur -und mit ihr das Gesundheitssystem wurden um Jahre zurückgeworfen. "Grundsätzlich ist es wichtig, sich die Strukturen der Vorsorgemedizin anzusehen. Dass auch Frauen und Kinder Zugang zum Gesundheitssystem haben sollen, muss außerdem erst einmal gesellschaftlich akzeptiert werden. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist insbesondere bei Mädchen ein sehr sensibles Thema", so der Kindernothilfe-Geschäftsführer.

Florierende Kinderarbeit

Aufgrund des Mangels an Perspektiven floriert auch die Kinderarbeit. Laut Schätzungen sollen rund zwölf Millionen Kinder - teils unter extrem gefährlichen Umständen -in Pakistan arbeiten. So gibt es viele Kinder, vor allem Mädchen, die informell in einem Haushalt tätig sind. Sie stehen meist in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu ihren "Dienstherren", oft verbunden mit Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch. Die pakistanische Regierung jedoch hat die entsprechende Konvention der "International Labour Organisation"(ILO) 2013 weder ratifiziert noch unterschrieben. Eine Ratifizierung dieser Konvention hätte eine Gesetzgebung in diesem Bereich oder sogar ein vollständiges Verbot dieser Form der Kinderarbeit ermöglichen können.

Am Land arbeiten die Kinder primär in der Landwirtschaft und in der Ziegelindustrie. Auch im Export-Bereich sind Kinder tätig. Wichtig sei, so Mernyi, die bereits bestehenden Initiativen gegen Kinderarbeit zu stärken. Ein beträchtlicher Teil der Kinder ist außerdem mit verschiedensten Formen von Gewalt konfrontiert. Laut SPARC-Bericht werden viele Fälle von Gewalt oft als "normale, gesellschaftlich tolerierte Praxis" angesehen - und somit überhaupt nicht als gewaltvoll wahrgenommen. Für 2013 sind 2033 Gewalttaten gegen Kinder dokumentiert -das entspricht etwa fünf bis sechs betroffenen Kindern pro Tag.

"Grundsätzlich fehlt in Pakistan das Verständnis für den Status von Kindern", erklärt der Kindernothilfe-Geschäftsführer. Wiewohl Pakistan im Jahr 1990 die UN- Kinderrechtskonventionen ratifiziert hat, wonach Kinder als Unter18-Jährige definiert sind, wurde das Mindestalter der Schuldfähigkeit 2013 von sieben auf gerade einmal zwölf Jahre angehoben.

Dem SPARC-Bericht zufolge wurden letztes Jahr 1500 Kinder in Gefängnissen festgehalten. Um sich rechtlich dagegen wehren zu können, müssten die Kinder behördlich registriert sein. SPARC geht von etwa 16 Millionen Kindern unter fünf Jahren aus, die das noch immer nicht sind. "Wenn man nicht registriert ist, dann ist man eigentlich rechtlos und quasi nicht existent. So wird zum Beispiel auch der Zugang zur Bildung unmöglich", erläutert Mernyi.

Integration durch Bildung

Bildung ist auch bei einem aktuellen Projekt der Kindernothilfe Österreich für pakistanische Straßenkinder ein zentrales Thema. "Es geht hier nicht nur um Betreuung, Schutz und Trauma-Arbeit, sondern auch darum, dass die Kinder in irgendeiner Form integriert werden -und das kann am ehesten durch Bildung geschehen", so der Geschäftsführer.

Ebenso stellt die Zwangsverheiratung minderjähriger Mädchen ein damit assoziiertes Problemfeld dar. Laut Mernyi ist dies nicht direkt mit der muslimischen Gesellschaft in Zusammenhang zu bringen: "Zwangsheirat hat viel mit ökonomischer Absicherung und einer gewissen Erwartungshaltung der Eltern zu tun. Ein wichtiger Aspekt dabei ist aber sicher auch die mangelnde Bildung der Mädchen." Die statistischen Daten sprechen jedenfalls eine klare Sprache: Beinahe die Hälfte aller pakistanischen Mädchen werden vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet. Überhaupt gilt Südasien als die Region mit den meisten Kinderehen weltweit.

Pakistan zählt zu den bevölkerungsreichsten Ländern der Welt; die innenpolitische Situation ist nach wie vor angespannt. In den kommenden Jahren, so macht Mernyi deutlich, wäre angesichts der wachsenden Bevölkerung vor allem im Hinblick auf die großen Problemfelder Bildung und Kinderarbeit ein deutlicher Fortschritt nötig: "Es muss gelingen, die Kinder von jeglicher Art der Gewalt herauszuhalten und auch den bislang Benachteiligten Bildung zu ermöglichen."

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