Die kleinen Leiden der ewigen Zauderer

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Fast alle tun es bisweilen: Wichtiges, Schwieriges oder Lästiges auf morgen zu vertagen. Für manche ist es sogar ein Lebenselixier, das Adrenalin durch (selbsterzeugten) Zeitdruck. Für einige wird hartnäckiges Aufschieben allerdings zum Problem. Ein Ratgeber beschreibt, wie Sie umsetzen, was Sie sich vornehmen.

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Fast alle tun es bisweilen: Wichtiges, Schwieriges oder Lästiges auf morgen zu vertagen. Für manche ist es sogar ein Lebenselixier, das Adrenalin durch (selbsterzeugten) Zeitdruck. Für einige wird hartnäckiges Aufschieben allerdings zum Problem. Ein Ratgeber beschreibt, wie Sie umsetzen, was Sie sich vornehmen.

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Angenommen, Sie haben vor - seit langem schon - endlich Staub zu saugen. Ihr Widerstand dagegen wächst im Verhältnis mit der Zunahme des grauen Schleiers in ihrer Wohnung. Statt sich endlich daran zu machen, tun Sie etwas anderes. Etwas, das Ihnen leichter von der Hand geht, weniger Angst macht und sofortigen Erfolg oder Genuss verspricht. Einen Roman schreiben, zum Beispiel, in der Fettverbrennungszone joggen, Kekse essen oder Ihr Image auf Parties pflegen.

Beim Schriftsteller Marcel Proust war es ja umgekehrt. Ihm gelang es, (sofern er ident mit seinem Ich-Erzähler ist), Jahre auf jenen Tag zu warten, der sich seinem Vorhaben "das große Werk" zu beginnen, geneigt zeigen sollte. Die ganze Zeit über lebt er besessen von der Vorstellung, sich ans Werk zu machen, rät sich aber selbst "zur Vernunft". "Von dem, der Jahre gewartet hat, wäre es kindisch gewesen, wenn er nicht noch einen Aufschub von drei Tagen ertrüge", schreibt er in seinem Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". In der Gewissheit, am übernächsten Tag ein paar Seiten geschrieben zu haben, will er sich lieber noch ein paar Stunden gedulden und dann den drängenden Verwandten das im Fluss befindliche Werk vorweisen. "Unglücklicherweise war auch der folgende Tag nicht der den Dingen zugewendete. Als er zu Ende gegangen war, hatten meine Trägheit und mein mühevoller Kampf gegen gewisse innere Widerstände nur vierundzwanzig Stunden länger gedauert."

Proust wäre die lange Zeit der Selbstqual erspart geblieben, hätte er Hans-Werner Rückert gekannt. "Schluss mit dem ewigen Aufschieben: Wie Sie umsetzen, was Sie sich vornehmen", heißt der Ratgeber des deutschen Psychologen und Psychotherapeuten, der seit über 20 Jahren Menschen unterschiedlichster Berufe mit demselben Problem berät. Dem Aufschieben von wichtigen Dingen und Entscheidungen oder auch von kleinen, lästigen Pflichten des Alltags, die allmählich zum großen Problem werden. Hausfrauen, Lehrer, Ingenieure, Journalisten, Beamte, Künstler, Lehrer, Zahnärzte, Studenten und natürlich auch -innen leiden darunter, ihre Vorhaben und Aufgaben ständig zu vertagen. Mit dem Aufschieben, meint Rückert, "entsteht generell das Gefühl, in wichtigen Bereichen Ihres Lebens gelähmt zu sein".

Nicht um das harmlose Aufschieben geht es, das schließlich auch Vorteile bringen kann. (Wer etwa den neuen PC später kauft, bekommt ihn - wahrscheinlich - billiger.) Es geht um jene mühevolle Art des Vorsichherschiebens, "die kein Vergnügen ist und kaum Gewinn abwirft. Sie geht einher mit Angst und Scham, dem Gefühl, sich nicht kontrollieren zu können, und verursacht Leid. In den meisten Fällen ist ernsthaftes Aufschieben ein Versuch, sich vor Risiken zu sichern, indem man das, was als gefährlich erscheint, vermeidet und statt dessen etwas anderes macht."

Drei Fallbeispiele stehen für viele: Beate, die Idealistin, die ihre Chefs mit einem umwerfenden Marketingkonzept beeindrucken will. So groß ist ihre Vorstellung vom Ergebnis ihrer Arbeit, dass sie nicht die Kraft hat, strukturiert mit ihr zu beginnen. Ihre Zeit verbringt sie damit, den Computer wahllos mit Notizen zu füllen.

Meister im Aussitzen Der Sachbearbeiter Helmut ist Meister im Aussitzen. Bisweilen schlitzt er den obersten Brief vom Stapel der Kundenanfragen auf. Den Rest der Zeit arbeitet er daran, zu verbergen, wie lange er schon im Rückstand ist.

Die schöne Anja mit der Traumfigur fühlt sich als Hausfrau gefangen in Routine und kleinbürgerlicher Langeweile. Sie träumt von einem ganz anderen Leben, als Model oder Malerin. Anerkennung holt sie sich durch gelegentliche Aus- und Zusammenbrüche.

Alle drei führen ein höchst beschäftigtes Leben im Wartestand.

Warum tun Menschen immer gerade das nicht, was für sie nötig ist? Der Therapeut C. G. Jung anerkannte einen psyschischen Faktor in ihm, der sich seinem Willen "in unglaublichster Weise entziehen kann. Ich fühle mich ohnmächtig dieser Tatsache gegenüber und was das Allerschlimmste ist: ich bin in sie verliebt, so dass ich sie erst noch bewundern muss." In Seminaren, die der Psychologe Rückert für leidende Aufschieber hält, klagten sich die Teilnehmer zunächst heftig an, wenn sie über ihren inneren Schweinehund berichteten und wie sie diesem Folge leisten. Immer breitete sich danach gute Stimmung aus, bemerkte Rückert. "Der Vorgang der Vermeidung - obwohl das Ergebnis trostlos ist -, wie man sich selbst austrickst, überlistet und in den Schlendrian wegsacken läßt, wird oft mit Spaß und Genuss geschildert."

Ende der Tyrannei Oft sind es auch Pflichten, die der Aufschiebende erfüllen will oder muss. Er verhält sich dann wie ein Auftraggeber, der auf die dringende Erledigung pocht. "Als Aufschiebeexperte sind sie auch der Auftragnehmer, also einer aus der Werkstatt. Für den sind Ihre Eile, Ihr Drängen, das Produkt, nicht so wichtig. Je mehr der Auftraggeber drängt, umso mehr schaltet der Auftragnehmer auf stur."

Eine kleine Gruppe von Aufschiebern hat ein aufgeblähtes Selbstwertgefühl, meint Hans-Werner Rückert. "Ein aufgeblasenes Selbstwertgefühl ist stets in Gefahr, dass ihm einmal die Luft ausgeht. Deshalb empfiehlt sich das Aufschieben." Es entschärft sozusagen den Vergleich zwischen Wirklichkeit und Ideal. Wer alle Aufgaben meidet, wo sich die Diskrepanz zeigen könnte, stagniert aber in seiner Entwicklung.

Die meisten Aufschieber haben ein niedriges Selbstwertgefühl, hat Rückert herausgefunden. Sie glauben, dass es durch besondere Leistungen kompensiert werden kann. So kommt es, dass sie an Perfektionismus leiden und völlig überhöhte Ansprüche an sich stellen - die schließlich zum Aufschieben führen können.

Auch die wissenschaftliche Erklärung des Phänomens ist wenig schmeichelhaft. Persönlichkeitsstörungen verschiedenster Art oder neurotische Konflikte können die Ursache dafür sein, sich tage-, wochen- oder jahrelang mit einer Aufgabe zu beschäftigen, ohne sie tatsächlich anzupacken. Ein Trost: Egal ob die aufschiebende Person gestört, neurotisch konfliktbelastet oder gesund ist: Im Verhalten sind Aufschieber im Allgemeinen gleich. Es fehlt an Fertigkeiten, mit gewöhnlichen oder besonderen Problemen umzugehen, die bei jedem Vorhaben auftauchen können. Oft wurde auch nur verabsäumt, das Projekt in übersichtliche Einzelschritte zu gliedern.

Beate will ein Marketingkonzept, Helmut eine Entscheidung, ob er seinen Arbeitsplatz wechseln oder die Kundenanfragen beantworten soll, Anja strebt eine Karriere an. Was dabei konkret zu tun ist, haben sie noch nicht bedacht. Den dreien, soviel sei gesagt, konnte geholfen werden.

Wenn Wille und innerer Schweinehund gleich stark sind, sodass Sie sich keinen Zentimeter von der Stelle rühren, gibt es mehrere Möglichkeiten: Sie führen Ihr Vorhaben durch. Sie geben es auf und tyrannisieren sich nicht länger damit. Sie schieben es weiter vor sich her, hören aber auf, sich dafür zu verachten. Für alle drei Varianten ist der Ratgeber von Hans-Werner Rückert eine wertvolle Hilfe.

BUCHTIPP "Schluss mit dem ewigen Aufschieben: Wie Sie umsetzen, was Sie sich vornehmen.". Hans-Werner Rückert, Campus Verlag Frankfurt/ New York, 1999, 274 Seiten, ÖS 218,-.

AUS DEM INHALT Gegen das Aufschieben empfiehlt der Experte Hans-Werner Rückert: * Erstellen Sie eine Liste von sämtlichen Aufgaben, inklusive Vergnügen und Freizeitvorhaben.

* Streichen Sie alles, was Sie nie ernsthaft vorhatten.

* Legen Sie Ziele, Wünsche und Prioritäten fest: Achten Sie darauf, dass es realistische Ziele sind.

* Identifizieren Sie Ihre Konflikte, etwa Ärger, Angst, Perfektionismus und irrationale Einstellungen ("Die Aufgabe ist zu hart"; "ein Scheitern wäre eine Katastrophe").

* Prüfen Sie, ob Sie trotz dieser Konflikte gegenwärtig eine Chance haben, Ihre Vorhaben durchzuführen.

* Prüfen Sie, ob Ihre aufgeschobenen Vorhaben genügend mit Ihren Zielen und Werten übereinstimmen. Wenn nicht, geben Sie diese auf.

* Planen Sie auch kleine Schritte.

* Verdoppeln Sie die dafür veranschlagte Zeit.

* Belohnen Sie sich für den Erfolg jedes Schrittes.

* Beobachten Sie sich und notieren Sie alle Schritte zur Veränderung.

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