"Die können noch gebären"

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Immer mehr Frauen wollen ihr Kind per geplanter Sectio zur Welt bringen. Was bedeutet dieser Boom für die Gesellschaft, was fordert diese von den Frauen? Zu oft steht das "männliche" Skalpell gegen die weibliche Kraft zu gebären.

Es gehört schon zur Standardfrage anlässlich einer prominenten Schwangeren: Wird es ein Kaiserschnitt? Fast überrascht reagiert die Menschheit, wenn jene - wie zuletzt Arabella Kiesbauer - antwortet, natürlich geboren zu haben.

Auch in der allgemeinen Bevölkerung wird bereits jede vierte Frau per Bauchoperation von ihrem Kind entbunden, immer öfter ohne strenge medizinische Indikation: Schnell, planbar, sicher, manche meinen auch schmerzlos, so das neue Image des Kaiserschnittes, einst gefürchtete Not-OP. Was geht in den Eltern in spe vor?

"Es gibt den großen Trend: Wenige Kinder, später und möglichst einfach. Der Kaiserschnitt kommt dieser Entwicklung entgegen", sagt Peter Husslein, Vorstand der Universitätsklinik für Frauenheilkunde Wien. "Der Mensch von heute will genau ein, zwei Kinder, genau zu einem selbst gewählten Zeitpunkt; das ist mit der Natur nicht kompatibel." Planung gehöre eben zu unserem Zeitgeist. Jede Frau soll die Geburt haben, die sie haben will. Aber es komme auf die Beratung an, meint Husslein und bestreitet den von Kritikern oft geäußerten Vorwurf, den geplanten Kaiserschnitt zu propagieren. Es sei der gesellschaftliche Druck, der die Sectio-Rate, so seine Schätzung, bald auf 50 Prozent ansteigen lassen wird. "Man kann den Berg zu Fuß besteigen oder mit der Gondel rauffahren. Es wäre ein Übergriff auf die Patientenautonomie, würde man von allen Frauen verlangen, den Berg zu besteigen, wenn sie es nicht will." Zugleich fügt der Klinikvorstand aber hinzu, jüngst in Afrika gewesen zu sein: "Dort können sie noch gebären."

Sind unsere Frauen wehleidige hektische Zicken? "Natürlich ändert sich die berufliche und körperliche Situation der Frauen, aber das heißt, dass wir einen anderen Betreuungsaufwand brauchen", widerspricht Regina Zsivkovits, Hebamme und Beraterin im Hebammenzentrum in Wien. "In Österreich kennt kaum eine Frau die Hebamme, die sie unter der Geburt betreut." Bei individueller Betreuung durch eine Hebamme und möglichst wenigen Eingriffen in den natürlichen Ablauf seien die Kaiserschnittraten gering und die Zufriedenheit der Frauen groß. Zsivkovits, eine erfahrene Hausgeburtshebamme, ortet eine starke Verunsicherung bei Schwangeren: Erst zuletzt wird auf den eigenen Körper gehört. Trotz Emanzipation würde es im Bereich Geburt an Selbstwertgefühl mangeln. "Während der natürlichen Geburt werden Kraftressourcen entdeckt, die zu besitzen Frauen nicht geglaubt haben", beschreibt sie den Sinn des aktiven Gebärens und des Schmerzes. Die Hebamme kennt viele Frauen, die nach einer schwierigen vaginalen Geburt gesagt haben: "Wenn ich das geschafft habe, schaffe ich auch alles weitere im Säuglingsalltag." Brisant ist die Rolle der Väter bei der Geburt, so die Erfahrung vieler Geburtshelfer: Manche werdende Väter überfordert der Geburtsakt. Tritt dann eine Komplikation auf, entsteht leicht eine Allianz zwischen Arzt/Ärztin und Vater, die schneller zum Ausweg "Sectio" greifen. "Auch die Männer müssen gut auf die Geburt vorbereitet werden", rät Zsivkovits.

Was nun: Zerreißt es die Frauen zwischen der Mystifizierung der natürlichen Geburt und der Verharmlosung der Schnittentbindung? Die Hebammen fordern einen sachlichen Blick: der Kaiserschnitt soll wieder das werden, was er war: ein Notfallseingriff, gut vorbereitet und intensiv betreut. "Geburtshilfliche Daten müssen endlich evaluiert werden", fordert Renate Großbichler-Ulrich, Präsidentin des Österreichischen Hebammengremiums. Das werde bereits in den USA oder Kanada so gemacht, die Daten würden erhöhte Komplikationsraten durch zu viele Schnitte zeigen. "Dort ist der Trend wieder rückläufig." Die Risiken, wie etwa Plazentaprobleme, könnten durch eine wiederholte Sectio kontrolliert werden, entgegnet Husslein. Langzeitstudien sieht er wegen zu vieler Störfaktoren kritisch.

Weiters fordert das Hebammengremium eine "ehrliche Aufklärung" vor einer Sectio und eine gesundheitspolitische Entscheidung, wie etwa in Frankreich: Die Krankenkassen drängen auf eine Kaiserschnittrate von maximal zwölf Prozent, alles darüber wird nicht bezahlt. In Österreich ist der Kostenfaktor noch kein Thema: Die Kassen bezahlen einen Pauschalbetrag für den Bereich "Geburt". Vorsichtige Signale einer Trendumkehr gibt es auf rechtlicher Ebene: In Deutschland kam es erstmals zu einer Klage, weil eine Sectio gemacht wurde. Bisher wurde nur geklagt, weil zu spät sektioniert wurde.

www.hebammenzentrum.at

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