Die Korrektur des Wachstums

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Wolfgang Petritsch über die Mechanismen, die zur Weltwirtschaftskrise führten, den fehlenden Willen, daraus zu lernen und die Unlust heimischer Politiker, notwendige Reformen zu starten.

Wolfgang Petritsch ist Botschafter Österreichs bei der „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“, OECD, in Paris. Petritsch war davor Hoher Beauftragter in Bosnien-Herzegowina und SPÖ-Kandidat im Wahlkampf 2002.

Die Furche: Die OECD, bei der Sie Österreich vertreten, sollte für Zusammenarbeit und Entwicklung der Industriestaaten stehen. Haben Sie nicht den Eindruck, dass beides derzeit ad absurdum geführt wird? Zusammenarbeit und Fortschritt gibt es kaum. Man betrachte nur die Felder wirtschaftliche Neuordnung, Tobin Tax, Klimaschutz, nachhaltige Entwicklung.

Wolfgang Petritsch: Die Staaten sind in einer Krisenabwehrsituation. Dabei kann man schon eine beträchtliche Übereinstimmung zwischen den Staaten feststellen, vor allem was das Deficit Spending betrifft, das jetzt auch von der OECD unterstützt wird, damit man die Krise überwindet.

Die Furche: Das Geld auszugeben ist eine relativ leichte Übung. Aber wie bekommt man die Milliarden wieder herein?

Petritsch: Das ist jetzt die zweite große Frage. Wir beschäftigen uns im Augenblick mit den zwei großen Brocken, wie schaffe ich einerseits Jobs und andererseits die Konsolidierung des Budgets. Das ist in gewisser Weise die Quadratur des Kreises.

Die Furche: Dann halten Sie das Problem für unlösbar?

Petritsch: Die OECD bemüht sich derzeit um Auswege, die sich Innovation zum Ziel gesetzt haben. Indem man etwa nicht in überholte Strukturen investiert, wie etwa in den Kauf neuer Autos, sondern dass man mit neuen Produkten und Erfindungen in eine neue Richtung geht. Das ist, was die OECD „grüne Wirtschaft“ nennt.

Die Furche: Wir warten also auf einen jener technologischen Innovationsschübe, die nach Joseph Schumpeter die Konjunktur am Leben erhalten. Aber trampeln die Staaten mit ihren Maßnahmen nicht viel zu sehr auf ausgetretenen Pfaden, um einen solchen Schub zu erreichen?

Petritsch: Da setzt meine Kritik an. Unser Wachstumsbegriff ist problematisch. Innovation durch Zerstörung des Alten, wie Schumpeter meint, ist überholt. Zerstörung ist ja schon das Kennzeichen unserer Gesellschaft. Wenn man an die Zerstörung der Natur denkt, an den Verbrauch von Ressourcen, dann ist das keine Basis für Innovation. Hier müsste man nachhaltiges Wachstum und ressourcenverbrauchendes Wachstum unterscheiden und neu gewichten.

Die Furche: Sie sprechen von der Diskussion über die Zusammensetzung des BIP. Derzeit ist darin ja beispielsweise der Energieverbrauch als positiver Faktor enthalten.

Petritsch: Genau dazu gibt es Ansätze von EU und OECD, den Versuch, neue Wege zu beschreiten. Wir werden zwar nicht das Bruttoinlandsprodukt ersetzen, es aber erweitern. Außerdem muss man sich auch die Frage stellen – und vielleicht damit einen Tabubruch begehen – ob Wachstum, wie wir es verstehen, stets sinnvoll und notwendig ist.

Die Furche: Das ist insofern auch für die OECD ein Tabubruch, als ihr Wirtschaftsprogramm den Namen „Going for Growth“ führt und „herkömmliches“ Wirtschaftswachstum ein zentrales Element ihrer Strategie darstellt.

Petritsch: Das entspricht ganz der traditionellen Denkart und man sieht daran auch, dass diese Revolution nicht sehr weit fortgeschritten ist. Die Diskussion ist da noch zu eng gefasst, weil auch der OECD Grenzen gesetzt sind und sie nicht die Arbeit von Gesellschaftsphilosophen machen kann.

Die Furche: Eine Wirtschaft ohne Wachstum würde im ersten Schritt einmal eine Erhöhung der Arbeitslosigkeit bedeuten. Und wer erklärt dann den Betroffenen, dass sie für einen guten Zweck auf die Straße gesetzt wurden?

Petritsch: Das ist eben im herkömmlichen Modell so. Aber es geht jetzt nicht darum, das Wachstum einzustellen, sondern es in jene Bereiche zu verlagern, wo es in erneuerbare Energieformen gelenkt werden kann, wo es neue Arbeitsplätze bringt. So könnten die großen Herausforderungen unserer Zeit – Klimawandel, Energieverschwendung, Ressourcenraubbau – bewältigt werden.

Die Furche: In Österreich beschränkt sich die Ökologisierung vorerst auf eine Erhöhung der Mineralölsteuer.

Petritsch: Man wird neue Wege gehen müssen. Ein Beispiel: Südkorea hat von vorne herein 80 bis 90 Prozent der zusätzlichen Krisen-Ausgaben für grüne Innovation gesetzt. Die sind da ganz radikal, müssen aber auch nicht mit dem Nachteil fertig werden, viele Partikularinteressen, wie etwa jene der Sozialpartner, zu befriedigen. Man kann eine Krise nur entschieden bekämpfen, niemals mit Halbheiten.

Die Furche: Denkt die Politik zu kurzfristig?

Petritsch: Wenn man Politik als Lenkung der Gemeinschaft versteht, dann ist da in den vergangenen Jahrzehnten viel abgebaut worden unter den Stichworten Privatisierung und Rationalisierung. Regierungen müssen wieder zu öffentlichen Akteuren werden, und zwar als effiziente, schlanke Staaten.

Die Furche: Brechen wir das auf das Beispiel Österreich herunter. Hier schafft es die Politik nicht einmal, ihre eigene Verwaltung und das Verhältnis zwischen Bund und Ländern auf eine sparsame Basis zu stellen.

Petritsch: Weil hier eben der wichtige Dialog der Verantwortlichen nicht stattfindet. Jeder denkt und spricht für sein „Viertel“ vom Ganzen. Wir müssen zu einem neuen Selbstverständnis kommen. Sonst wird es erst Reformen geben, wenn die Sache wirklich am Zusammenbrechen ist. Wir können bis dahin natürlich noch lange so dahinwursteln. Aber ich denke wir sind uns einig, dass es das nicht sein kann.

Die Furche: Die notwendigen Reformen gibt es aber auch auf internationaler Ebene nicht, wenn man etwa an die Regulierung der Finanzmärkte denkt.

Petritsch: Das hat auch mit einer Mentalität zu tun, die wir in den vergangenen Jahren entwickelt haben. Dieses „alles ist möglich“, vor allem das schnelle Geld und völlig aberwitzige Renditen. Die Casino-Mentalität wurde von oben sanktioniert, aber auch von den Medien. Wer waren die großen Helden der 90er-Jahre? Die Investment Banker. Dieser Zeitgeist hat sich niedergeschlagen und sehr konkrete Folgen gehabt. Für ein Umdenken bräuchte es aber auch intellektuelles Leadership, das ich derzeit nicht sehe.

Die Furche: Man kann diesen Mangel an Einsicht ganz konkret an den Bilanzen der österreichischen Banken festmachen. Sie erwirtschafteten im abgelaufenen Quartal wieder Milliardengewinne. Dafür gibt es aber keine realwirtschaftliche Begründung. Der Verdacht liegt nahe, dass sie nichts anderes gemacht haben als vor der Krise, nämlich auf den Finanzmärkten spekuliert.

Petritsch: Richtig. Es zeigt sich, dass der Gewinndruck, der von den Banken gekommen ist, nun auch zu ihrem Fluch wird. Denn sie müssen Gewinne produzieren, komme was da wolle. Man muss heute nach zwei Jahren Diskussion auch einräumen, dass es wahrscheinlich keine substanziellen Änderungen im Finanzregulierungsbereich geben wird. Das auch deshalb, weil jene, die die Krise verursachten, nun für den Weg aus der Krise verantwortlich sind. Das kann nicht funktionieren und das ist die Herausforderung: Wir müssen neue Rahmenbedingungen schaffen. Pathetisch gesagt muss die Gesellschaft neu gedacht werden.

* Das Gespräch führte Oliver Tanzer

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