Die letzten Schillinge zusammengekratzt

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Anton Schmid ist Kinder- und Jugendanwalt in Wien. Er beklagt, daß Österreich bei der Umsetzung der Kinderrechte kein Musterland ist.

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Anton Schmid ist Kinder- und Jugendanwalt in Wien. Er beklagt, daß Österreich bei der Umsetzung der Kinderrechte kein Musterland ist.

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dieFurche: Das Ansehen einer Nation muß davon abhängen, wie Gesundheit, Bildung und Ernährung der Kinder gewährleistet sind, wie Kinder vor Mißbrauch und Ausbeutung geschützt werden, und welche Möglichkeiten zur Beteiligung von Kindern an politischen Entscheidungen, die sie selbst betreffen, existieren. Das schreibt die UNICEF in einem Begleitschreiben zur Kinderrechtskonvention. Wie beurteilen Sie das Ansehen Österreichs?

Schmid: Ich kann das Ansehen einer Nation im internationalen und im internen Zusammenhang sehen. Weltweit gesehen nimmt Österreich beim Schutz der Kinder einen Spitzenplatz ein. Das ist keine Frage. Aus europäischer Sicht sind wir allerdings schon wieder sehr entwicklungsbedürftig. Vor allem, wenn wir uns mit Ländern wie Schweden, Finnland vergleichen wollen.

Europa ist sicherlich die Nummer eins im Verwirklichen der Kinderrechtskonvention. Entscheidend ist aber immer der Blickwinkel, aus dem die eigene Situation betrachtet wird. Es muß immer der Blick zu denen gerichtet sein, die noch besser sind als man selbst ist.

dieFurche: Die Ratifizierung der Kinderrechtskonvention verlangt ja unter anderem auch, daß die Regierung für die Bekanntheit der Kinderrechte zu sorgen hat. Worin liegt hier Ihrer Meinung nach der größere Bedarf: Sollen Erwachsene oder Kinder mehr über Kinderrechte erfahren?

Schmid: Die Information ist für beide Gruppen gleich wichtig. Es ist wie bei der Frage: Was soll man zuerst lernen? Kraulen oder Schwimmen im Schmetterling-Stil? Ich sage, Schwimmen muß man zuerst lernen, und darum geht es. Es sollen einmal alle die Kinderrechte kennenlernen und verstehen. Da herrscht ein enormer Nachholbedarf, das ist sagenhaft.

dieFurche: Die österreichische Regierung muß alle fünf Jahre einen Bericht über die Umsetzung der Kinderrechtskonvention bei den Vereinten Nationen vorlegen. Der Bericht der österreichischen Regierung wurde in den letzten Wochen in Genf diskutiert. Es gab Lob für die Reformen im Bereich Gewalt und sexueller Mißbrauch. Die Regierungsvertreter mußten jedoch harte Kritik bezüglich der Behandlung minderjähriger Flüchtlinge hinnehmen. Was sagen Sie dazu?

Schmid: Das ist eine Katstrophe, darüber braucht man gar nicht erst zu diskutieren. Es handelt sich um eine grobe Verletzung, wenn Jugendliche in Schubhaft kommen. Sie haben nichts anderes getan, als die Grenze illegal zu überschreiten. Es gibt Anträge, Ansuchen und Ersuchen an den Minister, diese Angelegenheit zu ändern. Er hat derzeit nicht die Einsicht dafür.

dieFurche: Worin liegt dabei das größte Problem für die Jugendlichen?

Schmid: Natürlich kann man nicht sagen, alle Jugendlichen, die zu uns kommen, erhalten sofort die Staatsbürgerschaft. Ich verstehe schon, daß das nicht sein kann. Aber es ist eine Katastrophe, daß sie nicht in sozialen Einrichtungen aufgefangen werden, wo der ganze Hintergrund ihres Weges - Warum sind sie geflohen? Was ist zu Hause passiert? Welche Sprache verstehen oder sprechen sie? -aufgearbeitet wird.

Bei uns wird ganz schnell der Asylantrag über das Bundesasylamt gestellt, abgelehnt, und dann wird der Jugendliche - zum Beispiel "um eine Flucht zu verhindern" - in Schubhaft gesteckt. Das ist mehr als lächerlich. Dort werden die Jugendlichen menschenunwürdig aufgenommen.

Wir fordern daher Clearingstellen, wie es sie auch in Deutschland gibt. Dort werden Jugendliche, wenn sie aufgegriffen werden, aufgefangen, um ihre persönliche Situation abzuklären. Dann kann die Republik immer noch sagen: "Den nehmen wir nicht auf. Das geht nicht. Wir können ihm kein Asyl geben" oder etwas Ähnliches. Und dann schaut man, was mit dem jungen Menschen weiter passiert.

dieFurche: Die UN-Kommission fordert Österreich auch zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Regierung und Institutionen wie der Kinder- und Jugendanwaltschaft auf. Es wurde empfohlen, Strukturen zu schaffen, um die Umsetzung der Kinderrechtskonvention besser überwachen zu können. Ist das auch ein Anliegen von Ihnen?

Schmid: Die Regierung weigert sich nicht, mit der "National Coalition" zusammenzuarbeiten. Aber sie ist selbstverständlich nicht sehr aktiv dabei, sich selbst Kontrollinstanzen zu schaffen. Das liegt in der Natur der Sache. Was ich mir wünsche, sind Diskussionen. Meinetwegen können die Leute auch sagen: "Kinderrechte sind ein Blödsinn!" Aber der erste Schritt muß sein, daß diese Rechte überhaupt wahrgenommen werden.

Ich werde es wahrscheinlich nicht mehr erleben, daß die Menschen wirklich davon überzeugt sind. Aber das Thema wird weitergehen, und es ist sehr wichtig, daß sich öffentliche Institutionen damit auseinandersetzen, und daß darüber in den Medien zu lesen ist. Der Durchschnittsbürger wird sich wahrscheinlich noch lange nicht damit auseinandersetzen wollen. Aber ich wünsche mir, daß die Kinderrechte ein Thema werden.

Die Vereinigungen kratzen derzeit ihre letzten Schillinge zusammen, um spezielle Aktivitäten aufgrund des Jubiläums "Zehn Jahre Kinderrechte" durchzuführen. Ich selbst habe den Vorschlag eingebracht, daß Wien als erste Stadt der Welt ein Kinderrechtedenkmal errichten sollte. Wir haben jede Menge Kriegerdenkmäler, es gibt die Straße der Menschenrechte in Wien, aber nichts, was an die Rechte der Kinder erinnert. Aber diese Idee wurde, wie man so schön sagt, nicht einmal ignoriert. Der Staat müßte massiv zum Bekanntmachen der Kinderrechte beitragen.

Ich weiß natürlich, daß jetzt sicherlich keine gute Zeit ist für solche prinzipiellen Diskussionen. Unsere Forderungen und Meldungen sind nichts im Vergleich dazu, was derzeit im Kosovo passiert.

Das Gespräch führte Verena Resch.

Bevor Anton Schmid Kinder- und Jugendanwalt wurde, war er in der außerschulischen Jugendarbeit tätig. Seine erste Amtsperiode (seit 1994) geht in diesem Jahr zu Ende. Er hat sich fiir eine neuerliche Kandidatur entschieden.

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