"Die Lokalpolitik is' ka g'mahte Wiesn"

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Mit ihren 28 Jahren ist Elisabeth Feichtinger nicht nur Österreichs jüngste Bürgermeisterin - sie hat in der bürgerlichen Hochburg Altmünster zum ersten Mal in der Zweiten Republik der ÖVP das Bürgermeisteramt abgenommen. Ein Porträt.

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Mit ihren 28 Jahren ist Elisabeth Feichtinger nicht nur Österreichs jüngste Bürgermeisterin - sie hat in der bürgerlichen Hochburg Altmünster zum ersten Mal in der Zweiten Republik der ÖVP das Bürgermeisteramt abgenommen. Ein Porträt.

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Ein Treffen Dienstag um 10 Uhr? "Da habe ich eine Termin mit der Landjugend." Um die Mittagszeit? "Da ist die Landtagsabgeordnete Pühringer bei mir." Am Tag darauf am Vormittag?"Da habe ich Bürger-Sprechstunde." Kurzfristig einen Termin bei der "Frau Bürgermeisterin", wie sie seit nunmehr vier Monaten genannt wird, zu ergattern, ist schwierig. Im Gemeindeamt Altmünster bestätigt sich der Eindruck - das Wartezimmer ist voll. "Immer, nicht nur heute", ruft die Sekretärin aus dem Vorzimmer. In überkommenen Klischees gedacht wäre Elisabeth Feichtinger mit ihren langen blonden Haaren und dem jungen Gesicht wohl eher die Sekretärin, die gleich den "Herrn Bürgermeister" holt. Doch es ist ihr eigenes stattliches Büro, in dem heute seit acht Uhr am Morgen Bürgerinnen und Bürger am runden Besprechungstisch Platz genommen haben.

"Die Anliegen der Leute sind vielfältig", erzählt Feichtinger bei einem Kaffee. Zu ihren beigen Jeans und dem abgestimmten Blazer trägt sie auffällig robuste Schnürschuhe. Heute ist sie bereits mit einer älteren Dame einen Wanderweg abgegangen, weil ihr der Wegzugang plötzlich versperrt wurde. "Es ist mir wichtig, mir selbst ein Bild zu machen, damit ich nicht nur weiß, was auf meinen Zetteln steht", betont Feichtinger mit fester Stimme. Angetreten ist sie bei den Wahlen im Herbst mit dem Vorhaben, die Politik bürgernaher zu machen. Nun ist Feichtinger Vollzeit-Bürgermeisterin über drei Ortschaften und rund 9700 Einwohner - und für 204 Gemeindemitarbeiter verantwortlich. Mit jedem und jeder will sie in nächster Zeit eine halbe Stunde lang ein persönliches Gespräch führen.

David gegen Goliath

Mit ihren 28 Jahren darf sie sich die jüngste Bürgermeisterin Österreichs nennen. Ihr Alter betrachtet sie als Vorteil. Im Wahlvideo vom Herbst verkündet sie: "Ich habe die Kraft und den Mut, die Dinge zu ändern, bin nicht in alten Seilschaften und Machtstrukturen gefangen, sondern viel freier!" Und fügt selbstbewusst hinzu: "Die Zeiten, in denen sich ein paar Herren die Politik im Hinterzimmer ausgemacht haben, sind hoffentlich bald vorbei." Schließlich gibt sie dem ÖVP-Altbürgermeister noch keck ein paar Tipps, sollte er die Wahl gewinnen: "Seien Sie keine Marionette der Mächtigen!" - Die Tipps haben sich als unnötig herausgestellt.

Feichtinger hat zum ersten Mal in der Zweiten Republik der ÖVP das Bürgermeisteramt in Altmünster abgenommen. Mit über 60 Prozent der Stimmen löste sie Langzeitbürgermeister Hannes Schobesberger in einer Stichwahl ab. Seither ist Bewegung in den Gemeinderat gekommen. Nun versucht Feichtinger, junge Menschen bei kommunalpolitischen Entscheidungen ins Boot zu holen. Ihre Initiative "Jugendparlament" ermöglicht Jugendlichen, konkrete Projekte in der Gemeinde umzusetzen.

Nicht nur wegen ihres Alters, sondern auch wegen ihres Geschlechts ist sie im Bürgermeisteramt noch immer eine Exotin - bei gerade einmal 6,7 Prozent liegt der bundesweite Frauenanteil derzeit. Immerhin hat sich die Zahl der Bürgermeisterinnen im Land seit 2003 von 45 auf 141 erhöht. Als HTL-Absolventin hat Feichtinger früh gelernt, die Dinge eher auf der Sachebene als auf der Beziehungsebene zu behandeln. "Hätte ich jeden blöden Sager ernst genommen, hätte ich es sehr schwer gehabt", erinnert sie sich an die Schulzeit. Jungen Frauen will Feichtinger ein Vorbild sein: Sehen doch Mädchen in der Region nun, dass auch für sie eine derartige Position realistisch ist.

Als Volksschul-, Sonder- und Religionslehrerin ausgebildet, kam Feichtinger im vergangenen Herbst nur wenige Wochen zum Unterrichten, ehe sie überraschend zur Bürgermeisterin gewählt wurde. Während des Wahlkampfes hat sie genau 4706 Haushalte mit einem Elektroauto besucht, wie sie stolz betont. Auf Facebook postete sie den jeweiligen Status der besuchten Haushalte. Auch wenn sie schon seit 2009 im Gemeinderat sitzt, sieht sie ihren Aufstieg pragmatisch: "Mein Vorgänger hat nicht mehr die Zeit neben dem Job gefunden, da bin ich zum Zug gekommen." Denn in den kleinen Kommunen war die parteiinterne Aufteilung lange klar festgelegt: "Zuerst musst du plakatieren gehen, dann Parteizeitung machen, dann wahlwerben, und dann darfst du vielleicht einmal ran, wenn gerade niemand anderer, kein Mann, Zeit hat."

Alte Vorurteile, neue Aktivitäten

Feichtinger ist sehr wohl bewusst, dass sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. "Sonst wäre ich es nie geworden", winkt sie ab. Die klassischen Vorurteile kamen auch ihr über mehrere Ecken zu Ohren: Weiblich, jung, blond, noch viel zu wenig Arbeits-und Lebenserfahrung.

Inzwischen hat sie bei den von ihr initiierten Bürger-Gesprächen neue Mitarbeiter angeworben. "Wir haben einen 18-jährigen Schüler genauso mit im Boot wie eine Flüchtlingshelferin oder auch eine Ärztin." Auf die Repräsentation aller Schichten und Geschlechter legt sie Wert: "Genau das ist das Problem der alten Großparteien, die auf dieses Hochdienen ausgerichtet waren."

Sie selbst ist auch politisch vorbelastet, ihr Vater war lange in der örtlichen SPÖ aktiv. "Es ist aber nicht alles rosarot in der Partei, ich sehe einiges kritisch", stellt sie klar. Dabei könnte sie selbst noch eine steile Karriere in der Partei hinlegen. Bei der SPÖ-Neujahrskonferenz 2016 stand sie neben dem damaligen Sozialminister und nunmehrigen Bundespräsidentschafts-Kandidaten Rudolf Hundstorfer als jugendliches Aushängeschild auf der Bühne. Nach dem Abtreten von Jungpolitikern wie Laura Rudas oder Niko Pelinka bräuchten die Roten wie alle Parteien nicht nur einen frischen Anstrich, sondern auch junge Gesichter, die tatsächlich in der Politik reüssieren.

Fähiger Nachwuchs dringend gesucht

Gerade in der Lokalpolitik wird es aber immer schwieriger, junge Talente zu rekrutieren. Jene mit Potenzial ziehen oft zur Ausbildung oder für den Job aus der Region weg. Der Bürgermeistersessel gilt nicht mehr als besonders attraktiv: Knappe Gemeindefinanzen, wachsende Auflagen von Bund und Land, die direkte Konfrontation mit kriti schen Bürgern. Eine Umfrage des österreichischen Gemeindebunds ergab aber auch, dass Kommunalpolitiker das höchste Vertrauen genießen - sie stehen auch am direktesten in Kontakt mit ihren Wählern.

Ein typischer Arbeitstag dauert für die Neo-Bürgermeisterin von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends, hinzu kommen Abendund Wochenend-Veranstaltungen. Ihr Mann, spaßhalber "first husband" genannt, kommt dann eben mit -"sonst würden wir uns nicht mehr sehen." Dass er selbst Gemeinderat und Parteikassier ist, macht es einfacher. "Zwar kommt er aus einer ÖVP-Dynastie, aber ich habe ihn nie in die SPÖ gezwungen", lacht Feichtinger.

Wie mühsam der Job im Alltag sein kann? "Ganz ehrlich: Im Salzkammergut sagt man: 'Es is' ka g'mahte Wiesn.'" Gerade in Altmünster bestünden nach wie vor alteingesessene Netzwerke, "und jetzt kommt da eine Bürgermeisterin, die offen und transparent gleiches Recht für alle leben möchte." Feichtinger ist klar, dass manche nur darauf warten, dass sie einen Fehler macht.

Wer sich mit ihr schwer tut?"Es gibt nicht nur ältere Herren, sondern auch ältere Damen, die ein Problem haben mit der Vorstellung, dass eine junge Frau die Chefin einer Gemeinde ist." Obendrein hat sie keine Kinder, ihr Mann kocht abends - für manche traditionell denkende Altmünsterin ein absolutes gesellschaftliches No-Go. "Umgekehrt gibt es aber auch genauso die Herren, die dann sehr schnell ihre Meinung ändern, wenn sie sehen, dass man gut zusammenarbeitet", betont Feichtinger.

Bis 2021 hat sie jetzt Zeit, sich zu bewähren . Die Erwartungen sind hoch, Herausforderungen gibt es reichlich. Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit kamen 23 Asylwerber in den Ort, was für Aufregung innerhalb der Bevölkerung sorgte. Feichtingers Universalrezept lautet auch hier Dialog. "Man kann den Leuten nicht sagen: 'Du darfst die Ängste nicht haben!', sondern man muss die Dinge offen aussprechen", ist sie überzeugt. Ansonsten werde aus Angst allzu schnell Wut. Trotz aller Mühsalen habe sie Lust, nach dieser Amtszeit in der Politik zu bleiben. Altmünster wolle sie treubleiben -sagt sie heute. Aber wer weiß, was wird, wenn tatsächlich ein Anruf aus der Löwelstraße kommt.

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