Die Lust an der LANDNAHME

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Die ländliche Idylle - sind das bloß romantische und naive Vorstellungen von einem besseren Leben? Mitnichten.

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Die ländliche Idylle - sind das bloß romantische und naive Vorstellungen von einem besseren Leben? Mitnichten.

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Den Anstoß zur "Alpenphilosophie" gab das Magazin Servus in Stadt und Land. An diesem Magazin fällt dem Philosophen einiges auf. Zunächst der erstaunliche und beeindruckende Erfolg, die große Leserzahl, die in kürzester Zeit dafür gewonnen werden konnte. Sodann die Ästhetik und Kraft der Bilder, die gewiss auch an der Professionalität der Fotografen liegt, vor allem aber an der Methode, jede Spur der Moderne zu vermeiden. Dabei - und das ist das eigentlich Spannende - fehlt es aber an jeder ideologischen Verbissenheit oder verstaubten Rückwärtsgewandtheit. Man hat schlicht den Eindruck, dass das Auge der Fotografen das Hässliche meidet und deshalb alleine das Bewährte und Harmonische ins Bild nimmt.

Projektionsfläche und Fassade?

Warum spricht der Alpenraum die Menschen auch weit entfernter Kulturen so an? Ist es eine wirkliche Idylle oder bloß eine Projektionsfläche für Sehnsüchte und eine Fassade für Touristen? Haben die Bilder aus den Alpen deshalb so eine Kraft, weil sie tiefere Weisheiten vermitteln, die unserer schnelllebigen Zeit verloren gegangen sind?

Diese Fragen ließen uns Stadtphilosophen nicht los, und so zogen wir durch das Land: Wir bereisten die Österreichischen, Schweizer, Liechtensteiner und Bayerischen Alpen und besuchten die Menschen, um die letzten Spuren schwindender Lebensentwürfe und Lebensphilosophien zu finden. Die Reisen hatten das Ziel, mit manuell entwerfenden und produzierenden Menschen ins philosophische Gespräch zu kommen. Der Sinn des Ganzen war, zu erfahren, ob das Leben solcher Menschen Tugenden, Einsichten und Lebensweisheiten bietet, die im urbanen Raum nicht mehr zu finden sind.

Wir sprachen mit Bauern, Handwerkern und Traditionshütern, besuchten Museen und Betriebe, Höfe und Almen, Feste und Gipfel. Mancher begegnete uns mit kluger Skepsis. Nur langsam konnten wir davon überzeugen, nicht gekommen zu sein, um zu richten oder vorzuführen, zu kontrollieren oder zu schikanieren, zu profitieren oder zu belehren. Viele Städter vor uns hatten Spuren des Misstrauens hinterlassen. Doch letztlich war jeder Abschied freundlich.

"Das schönste Wappen auf der Welt, das ist ein Pflug im Ackerfeld", so lehrt uns eine Weisheit der Alpen, die wir auf einem Kachelofen in der Stube einer Bäckerei gefunden haben. Die Schmuck-Kachel, die in der Tat wie ein Wappen in den Ofen eingelassen ist, zeigt ein paar Ackerschollen, auf denen ein Pflug ruht. Kein Mensch ist zu sehen. Es ist, wie wenn uns das Bild sagen wollte: Wir Bauern reden zwar nicht viel, doch wir sind stolz auf unsere Arbeit. Zwar kann es nicht von großen Heldentaten berichten, doch dafür reicht es bis an den Ursprung, wo vor Jahrtausenden das sesshafte Leben begann.

Die Viehhaltung, die Fleisch-und Käseproduktion, der Wein-und Obstbau, diese ungemein sinnliche Erfahrung, einen Acker zu bebauen und ihm die wertvollsten Dinge zu entlocken, dabei auszuharren, diese großen Mühen auf sich zu nehmen, auch Rückschläge zu verkraften, dann und wann am Boden zerstört und am Rande der eigenen Existenz zu sein, aber stets verwachsen mit dem eigenen Grund und Boden,-das macht den echten und freien Bauern aus. Ein Bauer sät und erntet aus freien Stücken. Das allein schon ist ein Wappen wert, weil es das Urbild aller produktiven Tätigkeit ist.

Die Freiheit des Eigenen

Das Eigene spielt im Alpenraum eine große Rolle. Oft schilt man die stolzen Alpenbewohner Spießbürger, deren private Höfe Refugien von Biedermännern seien. Tatsächlich bedarf wahre Freiheit des Eigenen. Ohne Eigenes sind wir stets Abhängige. Wilhelm Röpke, der der Österreichischen Schule der Ökonomik nahestehende deutsche Wirtschaftsphilosoph, schrieb: "Der unverschuldete Bauer auf ausreichender Bodengrundlage ist der freieste und unabhängigste Mensch in unserer Mitte; weder Nahrung noch Arbeitslosigkeit brauchen ihm Sorgen zu bereiten, und die Unterwerfung unter die Launen der Natur, die er für diejenigen des Marktes und der Konjunkturen eintauscht, ist eine solche, die das Menschentum nicht zu verbittern, sondern vielmehr zu veredeln pflegt. Seine Existenz ist, wie wir die Dinge auch drehen und wenden mögen, unter allen die menschlich befriedigendste, reichste und geschlossenste." Freilich ist es heute so, dass ein Gutteil aller Landwirte zum Teil von staatlichen Unterstützungen und EU-Förderungen lebt, was deren Freiheit einen etwas schalen Beigeschmack gibt. Aber trotzdem: Immer noch ist deren Arbeit nur dann zu bewältigen, wenn man in Generationen denkt. Ständig muss etwas ausgebessert und neu aufgebaut werden. Unterlässt man dies, kommt die Rechnung zwar mit Verspätung, aber letztlich unausweichlich.

Kundige Augen prüfen, wie wir bei unseren Reisen erfahren haben, beim Kauf eines Hofes, ob es bei der Instandhaltung der Wege und Leitungen Unterbrechungen gab. Für das Kalkül des Einzelnen "rechnet" sich diese Instandhaltung oft nicht, doch ohne den weiten Zeithorizont der Alpenbewohner wäre die Besiedelung der Alpen nie gelungen. Die Nachhaltigkeit war im Alpenraum daheim, lange bevor Politiker den Ausdruck als Modewort für ihre Zwecke entdeckten. Was die traditionellen Lebensformen, die sich im Alpenraum noch finden lassen, unter anderem auszeichnet, ist, dass die Kinder die Eltern bei der Arbeit stets beobachten können. Man kann sehen, wie die Eltern säen und mähen, melken und misten, jäten und ernten, backen und schweißen, drechseln und hobeln. Für Kinder ist das, was für die Eltern harte Arbeit ist, ein Spiel. Und sie bewundern stets jene, die das Spiel beherrschen. Solche Eltern müssen nicht um Anerkennung und Aufmerksamkeit buhlen, sondern sie werden gleichsam von selbst bewundert, einfach deshalb, weil sie etwas können und weil das offensichtlich ist. Eltern, die ihr Können tagtäglich offen unter Beweis stellen, haben kein Autoritätsproblem. Sie sind Vorbilder, das reicht völlig aus. Mehr muss gar nicht sein.

Bauern und Handwerker sind nur sehr selten in der Gefahr, völlig sinnlose oder schädliche Dinge zu tun, was man von Angestellten und Bürodienern in den urbanen Zentren nicht behaupten kann. Heutzutage beklagt sich fast jeder Angestellte über sinnlose Tätigkeiten oder meint, gar nicht hinter den eigentlichen Sinn seiner Tätigkeit zu kommen. Fast jeder glotzt tagein, tagaus auf den Bildschirm, ohne dass er all das, was dort zu sehen ist, initiiert hätte. Wer so ein fremdbestimmtes Leben führt, kann kaum ein Vorbild sein. Es ist nämlich nicht die große weite Welt mit all ihren Problemen, die uns beschäftigen sollte. Das ist eine oft schauerliche Traum-und Albtraumwelt aus medialen Bildern, die uns bloß innerlich erregt, aber selten zu sinnvollem Handeln führt. Viel wichtiger ist, die unmittelbare Umgebung zu verstehen, sich dort zurechtzufinden, wo man zuhause ist. Und das ist am Land viel eher möglich als in der Stadt.

Ein sichtbares Gegengewicht

Der große Vorteil an der Abgeschiedenheit des handwerklichen und bäuerlichen Lebens, vor allem in den Bergen, liegt auch darin, dass die sozialen Probleme, die eine Stadt nun einmal produziert, nicht unmittelbar in die Lebenswirklichkeit der Menschen eindringen. Zwar gibt es auch dort all die Verkommenheiten, die möglich sind, aber nicht derart konzentriert. Vor allem: Es gibt ein sichtbares Gegengewicht. Es gibt den gesunden Betrieb, den lieblichen Garten, Großeltern auf der Sonnenbank, selbst produzierte Lebensmittel, jede Menge Vieh und Haustiere, fröhliche Feste, Reste von natürlicher Religion, mehr Schamgefühl und insgesamt mehr positive Vorbilder. Lauter Dinge, die jemand, der in städtischen Problembezirken aufgewachsen ist, so gut wie niemals zu Gesicht bekommt.

Ein Leben und vor allem ein Arbeitsleben am Land, das es versteht, mit dem Landstrich zu verschmelzen, ist dem Stadtleben vorzuziehen. Bloß ist es nicht jedem möglich und auch nicht für jeden das Richtige. Das Burgtheater gibt es nur in Wien. Doch es ist zu vermuten, dass es immer mehr Leute geben wird, denen ein einfaches Leben in der Abgeschiedenheit am Herzen liegt und die es im Verbund mit ihren Familien und Freunden aus freien Stücken wählen werden, einfach weil sie auf der Suche sind, weil sie, da sie in den Städten alle Tradition verloren haben, sich etwas aufbauen wollen, etwas, das sie mit ihren Händen geschaffen haben und worauf sie stolz sein können.

Der Autor ist promovierter Philosoph, betreibt eine Philosophische Praxis und leitet das Institut für Wertewirtschaft in Wien

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