Die mit dem Zitronenbaum flüstern

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Eine Bäuerinnenbewegung in Bangladesch kämpft gegen die Vergiftung der Felder und Nahrungsmittel ihres Landes durch chemische Düngemittel.Die Frauen wollen wie früher wieder biologischen Landbau betreiben.

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Eine Bäuerinnenbewegung in Bangladesch kämpft gegen die Vergiftung der Felder und Nahrungsmittel ihres Landes durch chemische Düngemittel.Die Frauen wollen wie früher wieder biologischen Landbau betreiben.

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Mehr als 50 000 Familien in Bangladesch bewirtschaften ihre Felder bereits nach der Methode der "Neuen Landwirtschaft". Ihre Dörfer haben sie zu "giftfreien Zonen" erklärt. Die Bewegung wird sich ausweiten, denn sie bietet einen Ausweg aus Bangladeschs nationaler Katastrophe, von der zirka 75 Millionen Menschen betroffen sind: arsenverseuchtes Trinkwasser. Die Bäuerinnen in Bangladesch haben "Bisch" den Kampf angesagt. "Bisch" heißt wörtlich "Gift", doch die Bäuerinnen verstehen darunter fast alle "Errungenschaften" der grünen Revolution: Pestizide, Herbizide, Kunstdünger und auch die neuen Hochertragssorten. Dabei hatte Mitte der sechziger Jahre alles so gut angefangen.

Die neuen Sorten, die man im Handel kaufen konnte, brachten höhere Erträge, Kunstdünger gab es umsonst oder stark subventioniert, und die Regierung baute die Brunnen, die für die moderne Landwirtschaft nötig waren. Doch nach einigen Jahren fielen die Ernten immer geringer aus, die Bodenfruchtbarkeit ging zurück und die Artenvielfalt reduzierte sich drastisch.

Vergiftete Fische Über 15.000 verschiedene, dem jeweiligen Standort optimal angepaßte Reissorten hat man noch vor wenigen Jahrzehnten in Bangladesch angebaut. Bei den heutigen Hochertragssorten stehen nicht mehr als zwölf zur Auswahl. Zahlreiche Heilkräuter und andere Nutzpflanzen fielen den Reismonokulturen zum Opfer. Durch die verwendeten Gifte starben die Fische in den Teichen und Bächen, so daß sich insgesamt die Lebensbedingungen zunehmend verschlechterten. Am meisten leiden die Frauen, denn mit der grünen Revolution haben sie ihre wichtige traditionelle Rolle als Hüterinnen des Saatguts verloren. Früher konservierten die Frauen das Saatgut, bestimmten die Aussaattermine und bereiteten es zur Aussaat vor.

Doch mit den Hochertragssorten, die man nun abgepackt auf dem Markt kaufen kann, verloren sie diese Aufgabe. Auch für alle Arbeiten nach der Ernte, wie Trocknen und Schälen, waren die Frauen verantwortlich. Ärmere Frauen haben den Reis der reicheren geschält. Alle Frauen des Dorfes standen so in Beziehung, und gleichzeitig war dies eine ihrer wichtigsten Einkommensquellen. Die Schälmühlen, die mit der grünen Revolution ins Land kamen, setzten dem ein Ende. Mit der wirtschaftlichen Bedeutung der Frauen schwand auch ihr soziales Ansehen. Sie waren nur noch für das Kochen verantwortlich. Die Männer verloren den Respekt und begannen, sie zu mißhandeln. Aus Verzweiflung nahmen die Frauen selbst "Bisch", die Selbstmorde häuften sich. "Nayakrischi Andolon", die "Bewegung für eine neue Landwirtschaft", setzt sich seit zehn Jahren gegen diese Entwicklungen zur Wehr.

Mehr als 50.000 Haushalte praktizieren bereits eine ökologisch verträgliche Form der Landwirtschaft, das heißt, sie verzichten auf chemische Schädlingsbekämpfungsmittel sowie auf Kunstdünger, und sie verwenden wieder die alten, angepaßten Sorten. Begriffe wie "Ökologie" oder "Biodiversität" sind den Frauen der Bewegung fremd. Für sie stehen Nahrungssicherheit, die Gesundheit der Familie und "Ananda" im Vordergrund. Mit "Ananda" bezeichnen sie das höchste Glück, das für sie aus einem gemeinschaftlichen Leben in Kooperation mit der Natur entsteht.

Die Frauen waren sofort von Nayakrischi begeistert. Einerseits, weil sie am meisten unter der modernen Landwirtschaft gelitten haben. Und andererseits, so stellt Farida Akhter fest, weil sie über ein viel ausgeprägteres Empfinden für die Zusammenhänge der Natur verfügen. Farida Akter, Ökonomin und Leiterin der Nichtregierungsorganisation UBINIG (Zentrum zur Erforschung von alternativen Entwicklungsstrategien), die die Bewegung für eine neue Landwirtschaft ins Leben gerufen hat, illustriert dies an einer kleinen Geschichte: Eines Abends war sie bei ihrer Großmutter auf dem Land. Man hat Hühner geschlachtet und gutes Essen zubereitet, denn es waren viele Gäste gekommen. Aber es gab keine Limonen, die man üblicherweise zum Fleisch reicht. Schließlich verlangten die Männer doch nach Limonen. Faridas Großmutter ging also zum Limonenbaum und flüsterte in die Zweige. Sie bat ihn um Verzeihung, daß sie nachts Limonen pflückte, denn die Frauen in Bangladesch glauben, daß auch die Bäume nachts schlafen. Und nun hatte sie ihn geweckt. "Diese Art von Beziehung ist charakteristisch für Nayakrischi." meint Farida Akther "Wir müssen wieder dahin kommen, so zu empfinden."

Rekha Begum, einer Bäuerin aus Tangail, fällt dieses Empfinden nicht schwer. Sie war froh, als UBINIG vor fünf Jahren den Frauen in ihrem Dorf gezeigt haben, wie man Kompost macht. Sie konnte sich den Kunstdünger kaum noch leisten und außerdem war sie von dem vielen Gift krank geworden.

Reis schmeckt besser In Bangladesch und Indien sind noch zahlreiche, giftige Spritzmittel auf dem Markt, die in Europa längst verboten wurden. Mit den Samen der alten Gemüsesorten hat sie ihr Feld so bestellt, wie sie es von UBINIG gelernt hat. "Das Gemüse schmeckt viel besser und auch meine Gesundheit hat sich deutlich verbessert." Mit dem Gemüse konnte Rekha Begum machen, was sie will, doch mit dem Reis war die Sache schwieriger, denn ihr Mann war gegen die Nayakrischi-Methode. Schließlich gelang es Rekha Begum, ihn zu überreden, ihr einen Teil der Reisfelder zu überlassen. "Als er gemerkt hat, daß mein Reis besser schmeckt, und daß ich weniger Geld dafür einsetzen muß, war er von der Sache überzeugt. Heute ist mein Mann sogar noch begeisterter von Nayakrischi als ich!"

In Rekha Begums Dorf haben mittlerweile alle Bauern auf ökologischen Landbau umgestellt. Insgesamt haben sich 14 Dörfer in der Provinz Tangail zur "giftfreien Zone" erklärt und entsprechende Schilder im Dorf angebracht. Den Bauern in Bangladesch, so berichtet Farida Akhter, ist der Verlust vieler Pflanzen und Tierarten sehr bewußt. Ständig erzählen sie ihr, daß diese oder jene Art nicht mehr zu finden sei.

Der Begriff "Biodiversität" ist ihnen freilich fremd, sie drücken das ganz anders aus. Sie sagen, sie wollen "alles"! Sie wollen wieder alles haben, was hier wächst! Um das Überleben von möglichst vielen Arten zu sichern, haben die Menschen in den Nayakrischi-Dörfern gemeinschaftliche Saatgut-Banken eingerichtet, wodurch sie auch die Verfügungsmacht über das Saatgut in den Dörfern halten. Wie überall in Südasien findet derzeit in Bangladesch ein Kampf zwischen den Bauern und den internationalen Agrokonzernen statt. Die Agromultis wollen sich im Rahmen der WTO-Regeln Patentrechte auf Pflanzensorten sichern, die die Bauern über Jahrhunderte gezüchtet und weitergegeben haben.

Für die Menschen in Bangladesch ist es eine völlig abwegige Vorstellung, daß man sich Patentrechte auf Saatgut sichern kann. Sie sprechen von "Chor-Dakat", von "Dieben und Räubern". Mit den gemeinschaftlichen Saatgut-Banken wollen sie sich vor den Dieben und Räubern schützen. Eine Neuorientierung der Landwirtschaft ist besonders dringlich geworden, seit man vor drei Jahren entdeckt hat, daß große Teile der Bevölkerung arsenverseuchtes Wasser trinken.

In einem gewaltigen Projekt hatte das Kinderhilfswerk der Vereinten Nation (UNICEF) 1971 nach der Unabhängigkeit von Pakistan begonnen, in vielen Tausend Dörfern Brunnen zu bohren, um die Menschen, die an Durchfallerkrankungen und so weiter litten, mit sauberem Trinkwasser zu versorgen. Gleichzeitig versuchte man, die Menschen durch Aufklärungskampagnen von den Vorteilen des Brunnenwassers zu überzeugen. Der Erfolg ist beeindruckend. 97 Prozent der Menschen trinken heute das Wasser der drei Millionen Brunnen. Niemand, so verteidigt die UNICEF das Projekt, hätte damit gerechnet, daß die Böden des Delta-Schwemmlandes natürliches Arsen enthalten. Normalerweise kommt das giftige Element nur in hartem Gestein und vulkanischen Ablagerungen vor.

Verseuchte Brunnen Professor Quazi Quamruzzaman vom Dhaka Community Hospital hat sich als einer der ersten in Bangladesch mit dem Arsenproblem befaßt und weitreichende Untersuchungen durchgeführt. Er kommt zu dem Ergebnis, daß das Brunnenwasser in 48 von 64 Distrikten arsenversucht ist und schätzt, daß zirka 75 Millionen der 120 Millionen Menschen gefährdet sind. Selbst kleine Dosen Arsen können zu Krebs führen, wenn man sie lange Zeit hindurch nimmt. "In unserem Krankenhaus sind bisher zehn Menschen an Krebs durch Arsenvergiftung gestorben. Und etwa 4000 weisen erste Symptome, wie Hautrisse, auf.

Die Hautrisse entwickeln sich nach sechs bis acht Jahren. Zahlreiche Forscher vermuten, daß die Bewässerung mit Grundwasser das Problem verschärft oder sogar herbeigeführt hat. Wenn man zur Bewässerung der Hochertragssorten viel Grundwasser entnimmt und somit der Wasserspiegel sinkt, kommt es zu chemischen Reaktionen im Boden, wodurch die giftigen Arsenverbindungen entstehen. Die Regierung hat inzwischen ein Strategiepapier vorgelegt, das darauf abzielt, arsenfreies Wasser bereitzustellen. Entweder Oberflächenwasser, Regenwasser oder auch das Wasser von arsenfreien Rohrbrunnen.

Die Weltbank, UNICEF und andere internationale Organisationen scheinen von diesen einfachen Lösungen wenig zu halten. Sie haben hochdotierte Experten beauftragt, nach technischen Lösungen zu suchen. Doch Professor Quazi Quamruzzaman ist skeptisch: "Diese Projekte und Pläne sind sehr stark an den Bedürfnissen der Berater orientiert. Es geht dabei um Millionen von Dollar. Wir im Community Hospital finden, man orientiert sich dabei zuwenig an den Bedürfnisse der lokalen Gemeinschaften. Die Menschen sollten in die Lage versetzt werden, selber mit dem Problem fertig zu werden." Nayakrischi, die Neue Landwirtschaft, kommt ohne die Bewässerung mit Grundwasser aus. Den angepaßten Sorten genügt die Bodenfeuchtigkeit oder die Bewässerung aus Teichen, die den Monsunregen speichern. Für das Trinkwasser könnte man wieder die zahllosen Bäche und Flüsse heranziehen. Professor Quazi Quamruzzaman hält das für einen gangbaren Weg. Denn die Verwendung der Hochertragssorten und die Abhängigkeit vom Grundwasser hätte nicht nur zum Arsenproblem geführt hat, sondern verursache auch zahlreiche andere Umweltschäden. "Nayakrischi könnte in der Tat unsere Zukunft sein!"

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