Die neuen Tagelöhner: Vom Praktikum ins Prekariat

Werbung
Werbung
Werbung

Die Rede von der "Unterschicht" scheint überholt: Nicht nur der "Rand", auch die Mitte der Gesellschaft ist von prekären Arbeitsverhältnissen betroffen.

Sie sind jung, ambitioniert und mit akademischen Ehren versehen: Eigentlich müsste ihnen die Welt oder zumindest der Arbeitsmarkt offenstehen. Doch der schert sich keinen Deut darum: Immer mehr Akademiker haben nur die Wahl zwischen Arbeitslosigkeit - oder einem Praktikum. Die Wahl fällt nolens volens auf Zweiteres: Schließlich, so die Hoffnung, könnte das Knüpfen von Kontakten oder eine weitere Zeile im Lebenslauf die Aussichten auf eine fixe Anstellung erhöhen. Doch die vermeintliche Übergangslösung entpuppt sich nicht selten als erster Schritt ins Prekariat (ein vom Begriff "Proletariat" abgeleiteter Neologismus, der "ungeschützte Arbeitende und Arbeitslose" als neue soziale Gruppierung beschreibt). Wer zuerst unbezahlt arbeitet, wird sich schließlich später mit einem schlecht bezahlten Werkvertrag oder freien Dienstvertrag leichter abfinden können. Am Ende können Jungakademiker zum Schnäppchenpreis auf dem Arbeitsmarkt gehandelt werden.

Mehr als ein Drittel der Hochschulabsolventen in Deutschland beginnt ein Praktikum, wobei nur 23 Prozent der männlichen, aber 44 Prozent der weiblichen Absolventen diesen Schritt wagen. In Österreich rechnet man mit ähnlichen Zahlen. Konkrete Studien sind freilich Mangelware, klagt die "Plattform Generation Praktikum". Um zumindest einen Einblick zu erhalten, haben die Soziologen Anna Schopf und Paul Ringler eine Online-Befragung unter 460 Personen durchgeführt - und die Ergebnisse 2007 in der Studie "Arbeit ohne Wert" veröffentlicht.

Familienplanung vertagt

Demnach fand ein Drittel der Praktika unentgeltlich statt. Dies war nur möglich, weil zugleich über 80 Prozent der Praktikanten durch ihre Eltern unterstützt wurden. Ein Ergebnis mit Folgen: Schließlich wird damit die Phase der finanziellen Abhängigkeit sukzessive verlängert und jene der Familienplanung hinausgeschoben. Immerhin zwei Drittel der Befragten - darunter vor allem Hochschulabsolventen - waren der Meinung, dass sie dieselbe Arbeit geleistet hätten wie ihre (angestellten) Kollegen. Kein Wunder, dass Frust, Minderwertigkeitsgefühl und Burnout um sich greifen.

Vor allem Absolventinnen und Absolventen der Geistes- und Sozialwissenschaften fällt der Einstieg ins Berufsleben schwer, hat eine aktuelle Studie des Wiener Forschungsinstituts abif (analyse beratung und interdisziplinäre forschung) zu Tage gefördert. Während bei ihnen zwischen 20 und 30 Prozent atypisch beschäftigt sind, sind es in den Studienrichtungen BWL und Jus unter zehn Prozent.

Dennoch: Betroffen sind alle Branchen. Was also tun? "Ein Hauptproblem liegt in der fehlenden Definition, ob es sich bei Praktika um ein Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis handelt", meinte Benedict Raho von der "Plattform Generation Praktikum" im Rahmen einer Diskussion zum Thema "Arbeiten zum Nulltarif" im Albert Schweitzer Haus in Wien.

Und Bernd Kulterer von der Interessenvertretung "work@flex" der Gewerkschaft der Privatangestellten fordert überhaupt eine "Modernisierung des Arbeitnehmerbegriffs": Nicht nur persönliche, sondern auch wirtschaftliche Abhängigkeit von einem Arbeitgeber müsse als Kriterium herangezogen werden. Zudem müsse man stärker zwischen echten Unternehmern und Schein-Selbstständigen trennen und Umgehungsverträge, die etwa als "Freie Dienstverträge" übertitelt seien, aber Charakteristika eines echten Dienstvertrages aufweisen würden, bekämpfen.

Zweiklassengesellschaft

Zumindest für freie Dienstnehmer (derzeit österreichweit rund 25.000) wurde mit Beginn dieses Jahres einiges erreicht: die Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung und die Abfertigung neu, das Krankengeld ab dem 4. Tag oder das Wochengeld (bemessen nach dem Nettoeinkommen der letzten drei Monate). Dennoch bestehen nach wie vor gravierende Schlechterstellungen: So haben freie Dienstnehmer keinen Kündigungsschutz, Mindestlohn oder bezahlten Urlaub und auch keine Einbeziehung in die Kollektivverträge (also kein 13. und 14. Gehalt). Außerdem gelten für sie nur wenige Arbeitsrechtsbestimmungen.

Das alles führe zu Zuständen wie "zur Zeit der Tagelöhner", warnt Bernd Kulterer. Immerhin hat die wachsende Heerschar an Ausgebeuteten schon eine Schutzpatronin, an die sie ihr Wehklagen richten kann: die Heilige Prekaria.

Infos: www.generation-praktikum.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung