Die per Gesetz zu Rechtlosen werden

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Rechte und Gerichte werden gerne als Spielplatz spitzfindiger Winkeladvokaten gesehen, und oft sind sie das auch. Aber eigentlich regeln sie Zivilisationsfragen. Deshalb werden Parlamente gewählt. Damit sie den Staat, den sie verwalten, in einen zivilisatorischen Mantel hüllen. Afghanistan wurde von den Taliban nach den Anschlägen des 11. September zurückerobert und sollte genau so einen Mantel bekommen. Es sollte auf den Weg der Demokratie und der Menschenrechte gebracht werden. "Der Kampf gegen den Terrorismus“, so hörte man damals von Laura Bush, "ist auch ein Kampf für die Rechte der Frauen“. Der Krieg gegen den Terror neigt sich in diesen Monaten, zumindest in Afghanistan, seinem Ende zu. Es ist ein "erklärtes“ Ende, kein faktisches. Denn der Krieg ist nicht vorbei. Aber der Kampf für die Rechte der Frauen, der ist nun wirklich an seinem Ende angelangt. Und dazu hat es die Taliban nicht einmal gebraucht. Ein altes afghanisches Sprichwort, das nicht von den Gotteskriegern erfunden wurde, sondern von alten Stammespatriarchen sagt: "Der Platz einer Frau ist bei ihrem Mann oder in ihrem Grab“. So wird es wieder sein. In Zukunft, so sagt es ein neues Gesetz, sollen afghanische Frauen dem Zugriff ihrer Familienangehörigen vollständig ausgesetzt sein. Es soll afghanischen Männern erlaubt sein, ihre weiblichen Familienmitglieder zu züchtigen, ohne dafür gerichtlich belangt werden zu können. Verwandte, welche die Gewalttaten zur Anzeige bringen wollen, sollen dazu in Zukunft nicht mehr berechtigt sein. Das gilt auch für Ärzte und Anwälte des Beschuldigten. Das frei gewählte afghanische Parlament hat dieses Gesetz bereits angenommen und mit dem Titel versehen: "Verbot der Befragung von Individuen als Zeugen“. Nun muss es nur noch von Präsident Hamid Karzai unterzeichnet werden. Im Wesentlichen ist dieses Gesetz kein Verbot, sondern eine Erlaubnis für Vergewaltigung, Zwangsheirat und Folter an der Hälfte der Gesamtbevölkerung des Landes, mehr als 12 Millionen Menschen. Das ist gleichzeitig das traurige Fazit der vergangenen 13 Jahre: Afghanistans Männer haben eine ganz andere Ansicht der Zivilisation als jene, mit der man sie ausstatten wollte. Die Zivilisation, die sie meinen, kennt das Adjektiv "zivilisiert“ nicht mehr. Wenn die ausländischen Truppen abgezogen sein werden, werden sie ihr Werk zu Ende bringen, was am Ende bedeutet, dass alle Gesetze, welche sie beschließen werden, allein den Zweck haben, Rechtlosigkeit herzustellen und eine neue alte Sklaverei.

Oliver Tanzer

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