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Alle reden und schreiben über sie. Ich auch. Sie wissen schon, die neue Wunderpille gegen die Hemmschwelle. Die Versuchung, unter humoristischem oder medizinischem Vorwand eines der letzten Tabus ausgiebig zu bequatschen, ist einfach zu groß. Viagra heißt das pharmazeutische Marktnischenprodukt, welches beweist, daß wir von der Sättigung unserer Bedürfnisse noch weit entfernt sind. Zu jeder Zeit wurde übrigens noch immer die Antwort auf menschliche Nöte erfunden, vom Stickstoffdünger bis zur Atomenergie. Die Erfahrung macht bekanntlich klug, aber immer erst nachher. Und die Selektion der erwähnten Nöte bestimmt die Reihenfolge. Die Pille gegen Schnupfen oder Krebs steht in der Warteschlange. Alles gleichzeitig geht eben nicht.

Wem also hilft Viagra? Der Übersee-Post, den Apothekern und den Aktionären. Alles Leidende an der Globalisierung und Deregulierung. Die Österreicher, unaufgeklärt und vorsichtig wie sie nun einmal sind, zudem auch überaus höflich und rücksichtsvoll zu allen Fremden, überlassen den Triumph erster Erfahrungen mit Viagra den Amerikanern. Das fördert die Neugier und Spannung und den unzulässigen Import. Die Schwellengeängstigten genießen zu allen Reizen auch noch den des Verbotenen und besorgen sich die Pille per Post oder Fernreise. Der Preis spielt keine Rolle. Es geht auch ums Prestige. Ein heißer Tip übrigens für heimische Pickerl-Erzeuger, um an dem Erfolg der US-Pharmafirma Pfizer bescheiden mitzunaschen: Ein Auto-Pickerl mit der Aufschrift "Ich hab Viagra" oder so ähnlich. Die tote Produktionszeit bis zum nächsten Autobahn-Pickerl ließe sich profitabel nützen. Und die leidige Protzerei mit dem Handy hätte eine Abwechslung. Die Polizei überprüft außerdem gar nicht, wer den Aufkleber etwa mißbräuchlich verwendet und die Pille gar nicht vorweisen kann. Arbeitsplätze und Wirtschaftsbelebung jedenfalls werden gefördert, die Sozialpartner applaudieren.

Die Apotheker, die gegenwärtig vor der Liberalisierung ihrer Niederlassungen zittern und um den Konsum von Hustensaft und Leukoplast im eingeschränkten Geschäftsradius bangen, können dank Viagra aufatmen. Nicht nur, daß die lästige Verrechnung mit der Krankenkasse wegfällt, die sich bereits vorausblickend von einer Viagra-Vergütung distanziert. Die Wunderpille hat einen in der Branche als anständig, im Volksmund als saftig bezeichneten Preis und damit eine prächtige Handelsspanne. Über unerwünschte Nebenwirkungen informieren Gebrauchsanweisung, Arzt oder Apotheker.

Über die angenehmen Nebenwirkungen für die Aktionäre des Pfizer-Konzerns wurde bereits berichtet. Wer da beizeiten investiert hat, der kann sich die Pille leichter leisten. Vielleicht gibt es für Aktionäre später auch eine Natural-Dividende. Der Kapitalismus ist halt schon wieder den sozial Schwachen voraus, die sich mit dem Absud von Sellerie und Spargel aphrodisieren müssen.

Bleibt zuletzt noch die bei medizinischen und pharmazeutischen Neuheiten nebensächliche Frage der Auswirkungen auf die menschlichen Beziehungen. Sehen wir die Dinge einmal einfach: Er nimmt die Pille, um aktiver zeugungsfähig zu sein, sie nimmt die Pille, nämlich eine andere, um die Folgen solcher Zeugung zu verhindern. Ist das nicht eigentlich absurd? Es gleicht dem Urlaubsverhalten vieler Landsleute, die Tausende von Kilometern abspulen, um einen Ferienort zu erreichen, an dem sie es so gemütlich wie daheim erwarten. Das Vergnügen besteht nur in Reise und Stau.

Es ist bezeichnend und bisher kaum kommentiert, daß die Pille mit Viagra einen weiblichen Namen hat. Warum heißt sie nicht Viagrus? Haben die PR-Produktnamenserfinder herausbekommen, daß die männliche Zielgruppe einen weiblichen Köder braucht? Womit die Vermutung unterlaufen wäre, daß der neue Potenzprotz nicht etwa die aggressive Antwort auf den Feminismus sein kann. Wir erleben weiter nichts als einen weiteren Schritt zur Pillen-Funktionalisierung der Menschheit. Immer noch besser als eine neue Vernichtungswaffe. Wie bei allen Pillen, die im Akutfall für manche Menschen eine Hilfe sein können, stellt sich die Frage, ob es nicht klüger gewesen wäre, die Einflüsse zu vermeiden, die die Pille dann erforderlich machen. Aber daran läßt sich eben nicht verdienen.

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